Mittwoch, 22. Januar 2020

Jenseits der Blogroll - 01/2020


Das aktuelle Datum hat schon wieder eine Zwei als erste Ziffer. Die Links und Fundstücke des Monats:

Politik und Gesellschaft. Anlässlich jüngerer politischer Entwicklungen werden oft Parallelen zu den 1920er-Jahren gezogen. Der Zeithistoriker Martin Sabrow im Interview über schiefe Vergleiche und wieso die 'Goldenen Zwanziger' ein im Nachhinein geschaffener Mythos sind.

Georg Weingarten über die Anfänge der Grünen vor 40 Jahren. Die übrigens durchaus braune Sprenkel aufwiesen.

Georg Seeßlen über die Greta-Krise und den deutschen Wald.

"Bekanntlich wird der Krieg gegen die Intelligenz stets im Namen des gesunden Menschenverstands geführt." (Roland Barthes)

Wieso man sich nicht blenden lassen darf, wenn Rechte sich als 'konservativ' tarnen, erklärt Liane Bednarz. Eine gefährliche Mogelpackung.

Warum das "Wehrprogramm" der AfD in die Katastrophe führte, wenn es umgesetzt würde, erläutert General a.D. Klaus Naumann.

Weltrettung im Supermarkt ist nicht machbar, befindet Kathrin Hartmann. Denn auch ethischer Konsum ist letztlich Konsum und hält somit ein unethisches System am Leben.

Kultur. Immer wieder zu gefallen weiß Magnus Klaues Serie über 'lahme Literaten'. Zum Beispiel Martin Suter und Patrick Süskind.

Hätte besser in den letzten Monat gepasst, aber egal. Der Musiker Andrew Ridgeley über 'Last Christmas', seine Freundschaft mit George Michael und seine Zeit bei 'Wham'.

Sport. In Zeiten, da die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nicht mehr recht Anlässe liefert für scheißrotgoldenen Partynationalismus, bemüht man sich medialerseits offenbar, Handball als den besseren Fußball hochzupushen. Weil ehrlicher, bodenständiger, kein ganz großes Geld im Spiel. Und deutscher. Denn Migrationshintergrund sucht man in der nationalen Auswahl vergebens (was unter anderem damit zu tun hat, dass Handball in Deutschland eher in der Provinz zu Hause ist). Kein Zufall also, dass AfD-Spitzentröte Weidel sich zu dem absurden Tweet verstieg, es handele sich bereits um "Hetze gegen Deutsche", wenn der WDR darauf hinweist, dass der DHB mit seiner rein biodeutschen Mannschaft eventuell im Lande vorhandenes Potenzial verschenke. Dietrich Schulze-Marmeling und Wolfram Eilenberger haben schon 2016 auf die nationale Ausbeutbarkeit des Handballs hingewiesen.

Kulinarik Genuss, gutes Leben. Im Hotel 'Vier Jahreszeiten' in München ist das teuerste Sandwich der Welt zu bekommen. Das Club-Sandwich De Luxe ist für schlappe 111 Euro zu bekommen. Pommes inklusive. Was soll die Aufregung? Für Leute, die sich eine durchschnittliche Münchner Innenstadtmiete leisten können, ist das ein echtes Schnäppchen.

Anderes Ende der Fahnenstange: Marc Schürmann über die regionale Imbiss-Spezialität Pommesbrötchen. Es handelt sich um eine kleine Portion Pommes mit Majo und Sauce in einem aufgebackenen und aufgeschnittenen Pita- bzw. Dönerbrot. Kein Witz. Soll zuerst im Hagener Imbiss 'Mikado' serviert worden sein und steht immer noch auf der Karte.

Zunächst wollte ich es nicht glauben, dass Alfons Schuhbeck, der Pate vom Platzl, der Mampf-Magnat von München, jetzt allen Ernstes Gewürzsalz für Nudelwasser feilbietet. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Dann setzte der bajuwarische Fress-Fuzzi noch einen drauf, und zwar mit einer Gewürzzubereitung für Butterbrot. Auch da rieb ich mir ungläubig die Augen. Und wurde eines Besseren belehrt.

Nun ja, man hätte es ahnen können. Verhökert Gwyneth Paltrow auf ihrer hochgradig albernen Kuschel-Lifestyle-Seite goop auch eine Kerze, die angeblich nach ihrer Mumu riecht (nachprüfen dürfte sich als schwierig erweisen, erst recht in Zeiten von #Metoo). Der Hecht sei "eine Mischung aus Geranien, säuerlicher Bergamotte und Zedernholz, denen Damaskus-Rosen und Ambrettesamen entgegen stehen". Kann man mögen oder nicht. Aber sehr hilfreich für den Fall, dass man mal eine Ausrede braucht, wenn man morgens nicht zum Duschen gekommen ist und nach ungewaschenem Genital müffelt. Man kann dann locker sagen: "Ich rieche nicht streng, Ignorant! Das ist eine Mischung aus Geranien, säuerlicher Bergamotte..."

Das Rezept. Man gestatte mir ein kurzes Essay. Gegenden der Welt ohne eigenständige kulinarische Traditionen sind leicht daran zu erkennen, dass man dort, sobald elementare Grundbedürfnisse befriedigt sind und man materiell in der Lage ist dazu, anfängt, mit 'Exotischem' herumzuexperimentieren. Bevor man kollektiv dem Authentizitätsfimmel verfiel, bedeutete das meist, etwas anderes als eine Süßspeise mit Südfrüchten zu kombinieren und dem Ergebnis einen Namen zu verpassen, der irgendwie nach weiter Welt klingt. Wobei das Gericht absolut nichts mit dem Ort zu tun haben musste, nach dem es benannt war. Hawaiianer, die zum ersten Mal mit der in den 1960ern von einem kanadischen Gastronom erfundenen Pizza Hawaii konfrontiert werden, dürften ziemlich ratlos dreinschauen. Ähnlich dürfte es ihnen mit dem angeblich von dem Fernsehkoch Clemens Wilmenrod kreierten gleichnamigen Toast ergehen. Inder werden sich zuweilen fragen, was sich hinter exotischen europäischen Genüssen wie 'Indisches Hähnchencurry mit Ananas' oder 'Putenpfanne Bombay' verbirgt und verschämt den Notausgang suchen. 

Auch die wackeren Eidgenossen haben da so ihre Leichen im Keller. Obwohl sie dank jahrhundertelangem diskretem Verwalten größerer Vermögen aus aller Welt über einen gewissen Wohlstand verfügen und mit einer soliden (gut)bürgerlichen Esskultur gesegnet sind. Bei ihnen hört das Grauen auf den Namen 'Riz Casimir' (i.e. 'Reis Kaschmir'). Im Prinzip ein Ragout aus Kalb-, Schweine- oder Hühnerfleisch, das mit Currypulver und Sahne abgeschmeckt, mit Ananas, Bananen, Mandeln, Rosinen und Cocktailkirschen aus der Dose versehen und im Reisrand serviert wird. Erfunden hat das süßliche Gelump 1952 ein gewisser Ueli Prager. Der war gelernter Koch und Gründer des seinerzeit noch exklusiven 'Mövenpick'-Hotels in Zürich. Prager war als junger Koch in der Welt herumgekommen und eines Tages auf die Idee verfallen, seine verwöhnte Kundschaft mit etwas 'Exotischem' zu verwöhnen. Heute ist es in der Schweiz angeblich so beliebt wie bei uns die Currywurst.

(Ganz falsch lag Prager übrigens nicht. Denn in die nordindische Küche ist von der persischen geprägt und es werden tatsächlich süße Zutaten wie getrocknete Aprikosen und Rosinen verwendet.)

Wer jetzt Lust bekommen hat, kann den Gaumenschmaus in jedem Mövenpick-Hotel auf der Welt jederzeit ordern, denn der steht dort bis heute auf der Speisekarte. Wem das zu teuer ist, findet hier das Rezept





4 Kommentare:

  1. Der Pommesbrötchenlink funzt nicht, aber nimm den hier.
    https://sz-magazin.sueddeutsche.de/essen-und-trinken/pommesbroetchen-hagen-88046
    Die Soße zum Bifteki ist im Mikado übrigens auch super.

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  2. Ist das, was es bei Frau Bossi da so an Rezepten hat, etwa authentische eidgenössische Küche? Dann erschiene mir dieses Land noch fremdartiger, als ich es sowieso vermutete.

    Ich habe übrigens tatsächlich eine Nachbarin, die dieses Nudelwassersalz benutzt und drauf schwört. Wie (zudem ätherische, also sofort wegdampfende) ölige Aromen durch das Kochwasser in die Nudel gelangen sollen, konnte sie mir dennoch nicht erklären. Ein bisserl gelb machts, das ja …

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    1. Das kann man so direkt nicht beantworten. Betti Bossi ist eine fiktive Figur, sollte ursprünglich im Auftrag der Firma Unilever für Margarine anstatt Butter werben, igitt, und wurde dann zu so einer Allzweck-Lifestyle-Rezeptemarke mit eigenem Versandhaus. Ein deutsches Pendant fällt mir spontan nicht ein.
      Tja, eine Prise Kurkuma macht die Nudeln auch gelb, den gibts für kleines Geld im Asia-Laden des Vertrauens. Aber wie sagt man so schön? A fool and his money are soon parted. Könnte wetten, die Lady hat auch Himalaya-Salz für 20 Euro das Kilo vorrätig...

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