Sonntag, 19. Januar 2020

Schmähkritik des Tages (35)


Heute: Micky Beisenherz über das "Deppenemirat" Dubai - reloaded

"Ist Instagram der unbestritten dümmste Ort des Internets, so wird es jedes Jahr im Winter durch zahllose Posts aus ebendiesem Bling-Bling-Kalifat noch einmal eine ganze Terz trauriger. Und wenn Sie sich immer schon gefragt haben, was all diejenigen, die fürs neue iPhone oder neue Yeezies vorm Laden pennen und am Black Friday die Malls stürmen, sonst noch für Sehnsüchte haben: Et voilà. There you have it: Dubai it is. It's that time of the year! […]

Was um alles in der Welt muss in jemanden fahren, dass er sich allen Ernstes dafür entscheidet, Lebenszeit und, ja, Geld zu investieren, um dorthin zu fliegen und tatsächlich dort Urlaub (!) zu machen? Ich kenne Flugbegleiterinnen, die wie ein Hund leiden, allein bei dem Gedanken, in Ausübung ihres Berufes nur ein paar Stunden in dieser gehypten Buddelkiste verbringen zu müssen. [...]

Vor allem unter Profifußballern scheint es ein unausgesprochener Ehrenkodex zu sein, Sekunden nach dem Abpfiff des letzten Hinrundenspiels die Louis-Vuitton-Koffer zu packen, die tätowierte Cora-Schumacher-Replikantin aus dem Apropos-Store zu zerren, um mit Tiler-Miguel, Iron Maik, Dijon-Delaney und den anderen, die Papa eigentlich nur als Name auf seinem Unterarm kennt, Richtung Deppenemirat zu jetten. Damit belegen sie unnötigerweise das unschöne Klischee, dass beim balltretenden Besserverdiener der Mangel an Tiefe durch eine verhältnismäßig große Höhe des Kontostandes ausgeglichen werden soll. [...]

Der in Sachen Stil oder Intellekt bislang als Stealthbomber bekannte Franck Ribéry brachte es als eine Art Pionier der Geschmacklosigkeit fertig, kulinarisch mal so richtig satt einen in den Winkel zu schlenzen: In der dubaiischen Filiale des Nusr-Et, einer Steakhauskette ließ sich der älteste Kinderstar Frankreichs ein mit Blattgold überzogenes Ribeye-Steak für 1200 Euro servieren. Das allein ist schon nicht sehr klug, aber hey: Blattgold (und Kokain) sind Gottes Wege, dir zu sagen, dass du zuviel Geld hast. Vermutlich war es das billigste Gericht auf der Karte, und das hat man nun davon. [...]

Dubai, das ist Philipp Plein als Stadt, eine Shisha Bar mit angeschlossenem Flugplatz, der Lamborghini Gallardo unter den Reisezielen: Laut, geschmacklos und attraktiv für Zuhälter. Oder diejenigen, die eine Inselbegabung davor bewahrt hat, ihr Geld vor so wenig Publikum verdienen zu müssen. Hier ist alles vertikal. Mehr Phallussymbole siehst du nicht einmal im Wartezimmer vom Urologen. Gegen diese Destination wirkt selbst Las Vegas wie das Forum Romanum." (Stern, 7. Januar 2020)


Anmerkung: Der für den 'Stern' kolumnierende Micky Beisenherz verdient seinen Lebensunterhalt unter anderem auch als Autor für das bei RTL laufende, von mir möglichst ignorierte 'Dschungelcamp'. Das führt ihn zu Beginn eines jeden Jahres ans andere Ende der Welt, nach Australien. Zwischenlandung ist immer in Dubai. Mit Aufenthalt. Auch letztes Jahr um diese Zeit hat Beisenherz sich schon mit dem Bling-Bling-Kalifat auseinandersetzt.

Seinen Schilderungen zufolge, scheint es sich um einen Ort zu handeln, an dem all jene sich sammeln, die absolut nicht wissen, wohin mit dem zusammengerafften/ geerbten/ergaunerten/erpressten/hinterzogenen Schotter, deren höchstes Glück im Konsum liegt und die es aus irgendwelchen Gründen gewaltig nötig haben. Ein Reiseziel also, das man, sofern auch nur die Hälfte der Ausführungen in der oben zitierten Kolumne halbwegs stimmt, als Mensch mit Resten von Kultur und Geschmack zeitlebens getrost meiden kann, ohne befürchten zu müssen, etwas Substanzielles im verpasst zu haben.

Moment mal, ist es nicht irre dünkelhaft, kleingeistig gar, sich über anderer Leute Vergnügungen zu erheben oder gar darüber lustig zu machen? Hier muss man vielleicht einen Unterschied machen. Selbstredend ist es jedem unbenommen, in Rahmen der Legalität, versteht sich, seine Zeit nach Belieben zu verbringen oder Kohle rüberzuschaufeln. Weil Geschmäcker nun einmal verschieden sind und sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten lässt, auch nicht über billig wirkenden Ölscheich-Geschmack.

Anders liegt der Fall hingegen, wenn der Verdacht nicht aufhört zu keimen, permanent ostentativ ausgestelltes (lies: 'geteiltes') Konsumieren möglichst absurd teuren Krams - "Schätzchen, bring uns mal dat Teuerste von der Karte!" - diene als Surrogat für Selbstbewusstsein oder gar dazu, dem weniger bzw. nicht besitzenden Pöbel vor Augen zu führen, wo sein Platz in der Nahrungskette ist. Da geraten Spott und Hohn dann förmlich zu einem Gebot des Anstands, wenn nicht gar zur Notwehr.

Übrigens: Wussten Sie schon, dass der Steakhausmann bei dem der erwähnte Franck Ribéry seinen 1200-Euro-Blattgold-Fleischbrocken orderte, berühmt geworden ist für die Art, wie er das Angeberfutter salzt? Hier im Ruhrgebiet wurde Kindern früher gesagt: Wenn du nicht zur Schule gehst und nichts lernst, dann musst du später Ritzenschieber werden. 'Ritzenschieber' ist örtliches Idiom für jene komplett ungelernten Arbeitskräfte, die früher tagein, tagaus mit langen Eisenschiebern die Straßenbahnschienen freikratzen mussten (heute erledigen Spezialfahrzeuge den Job). Das bayerische Pendant zum Ritzenschieber ist der 'Breznsoizer' ('Brezelsalzer'). Kam mir aus unerfindlichen Gründen in den Sinn.




4 Kommentare:

  1. »Ritzenschieber« klingt doch nahezu nach einer qualifizierten tätigkeit. In Nordhessen sagte man früher kindern, die nicht anständig lernen, daß sie später bananenbieger oder kaffeebohnenritzer werden können.

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    1. Nur dass es das Berufsbild des Ritzenschiebers wirklich gab, die Drohkulisse also durchaus real war...

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    2. Das ist klar. Ritzenschieber ist mit sicherheit eine harte arbeit gewesen, das war mit sicherheit eine drohung. Kaffeebohnenritzer bedeutet, Du bist selbst für die stupideste arbeit zu doof, Du endest in der gosse.

      Den beruf des bananenbiegers hingegen habe ich mir als kind eigentlich eher als angenehm vorgestellt: man muß nur die geduld bewahren, die bananen krümmen sich von selbst und man kann in der zeit viele interessante bücher lesen. Leider ist mir eine derartige stelle nie angetragen worden. Vermutlich war mein schulabschuß zu gut. Menno!

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  2. Im Gegensatz zur Kritik der Sözen, die ausschließlich Schwächere trifft ("Ritzenschieber", "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen", trifft es hier mal den Geldadel. Logischerweise stöhnt das Sozenkollektiv dann, wenn auch noch der Profifußball betroffen ist, am Meisten. Die Kritik ist in Kolumnenform natürlich so immer wieder aufgreifbar und lässt sich inzwischen auf jede größere Stadt des Planeten anwenden, also in etwa eine universelle Vorlage. Würde hingegen das Konsumverhalten der unteren Schichten angeprangert, hätten wohl weniger was dagegen.

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