Mittwoch, 15. April 2020

Schmähkritik des Tages (37)


Heute: Julie Delpy über den Film 'Forrest Gump' von 1994

"Er [der Film] ist doof und faschistisch. Denn letztlich läuft er auf die Botschaft hinaus: 'Wenn du dumm wie Affenscheiße bist, kannst du es in Amerika zu etwas bringen.' Und das Hippiemädchen, das gegen den Vietnamkrieg demonstriert hat, muss mit Aids bestraft werden. Der Film ist wirklich bösartig. Alle, die gegen diesen Krieg demonstriert haben, werden als Versager gezeigt. Der Schwachsinnige dagegen, der bringt's zu was. Dabei hat die Dummheit ja ohnehin die Oberhand, und dann wird sie hier auch noch glorifiziert." (Tagesanzeiger, 2.5.2012)

Anmerkung: Damit es nicht immer nur um Corona und die Folgen geht. Außerdem mal wieder eine Schmähkritik, die diesen Namen auch verdient. An dieses, schon etwas ältere Zitat musste ich wieder denken als ich mir Wolfgang M. Schmitts Analyse von Robert Zemeckis' Film 'Forrest Gump' zu Gemüte führte. Als der Film damals, 1994, in die Kinos kam, wurde ein Riesenhype darum veranstaltet. Man musste ihn einfach gesehen haben. Und wer ihn gesehen hatte, war hingerissen und schwärmte einem noch tagelang die Ohren voll davon.

Die Kritik feierte den Film fast einhellig. Ein Meisterwerk! Ein 'reiner Tor', ein moderner Parsifal! Vermutlich auch, weil viele sich blenden ließen von den für die Zeit bahnbrechenden computergenerierten Effekten. Ich habe mir ihn erst ein paar Jahre später auf VHS angesehen ("Opa, was ist VHS?") und dachte so: Hä? Was soll der Trubel?

Allerdings ist auch mir damals - Asche auf mein Haupt - die hundsgemeine, autoritäre und eiskalte Ideologie nicht aufgefallen, die hinter diesem vordergründig so freundlichen und humanen Film steht, und die Schmitt überzeugend herausarbeitet. Man bekommt vorgeführt, dass wer aufmuckt, bestraft wird und dass, wer immer brav und unhinterfragt alles mitmacht, egal wie brutal und sinnlos, und immer irgendwas macht, egal wie stupide, vom Schicksal belohnt wird (gern auch zu Lasten lästiger Konkurrenten, die mal eben dran glauben müssen, wie die anderen Shrimp-Fischer).

Auch Forrests so gelassen wirkender Fatalismus, der sich äußert in dem immer wieder auftauchenden Satz "Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel. Man weiß nie, was man bekommt.", ist bei näherem Hinsehen blanker, inhumaner Zynismus. Zunächst ist der Spruch selbst rattendoof, wurde damals aber kuhäugig und romantisch glotzend zitiert. Natürlich weiß man, was man in einer Pralinenschachtel bekommt. (Pralinen???) Und wenn man auch nur ansatzweise des Lesens mächtig ist, erfährt man bei einigen Fabrikaten sogar, was für welche. Weil's auf der Schachtel steht.

Ansonsten ist das nichts weiter als sich philosophisch gebendes Geblubber. In dem Film gibt es nämlich noch eine zweite Handlung um Forrests große Liebe Jenny Curran (Robin Wright). Die wurde als Kind sexuell missbraucht, gerät immer wieder an schlechte Männer, wird drogensüchtig und stirbt am Ende an AIDS. Tja, Jenny, müsste Forrest ihr zum Trost eigentlich sagen, das Leben ist halt wie eine Pralinenschachtel... Aber das passiert natürlich wohlweislich nicht. Denn dann läge die ganze soziale Kälte dieser aufgeblasenen Geschichte sofort offen zutage.

Madame Delpy erklärte übrigens im gleichen Interview, Filme, in denen Tom Hanks mitspielt, seither zu boykottieren.





6 Kommentare:

  1. Der Film hat mich von vorn bis hinten angekotzt.

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  2. Die Kritik ist nicht neu. Etwas Vergleichbares las man damals in Ultimo und anderen Stadtzeitschriften. Ich hatte den Film immer als satirische Parabel begriffen, lag damit aber wohl falsch.

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  3. Der Film ist kitschig, aber die Romanvorlage ist nicht schlecht. Habe ich in der Schule gelesen und die Kritik an der amerikanischen Gesellschaft und dem American Dream kommt dort gut zur Geltung, Ich-Erzähler Forrest wirkt derber, weniger liebenswert und trotz Dummheit nicht so kindlich. Wer den Film mag, wird vom Buch enttäuscht sein und umgekehrt.

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    1. In seliger Unkenntnis der Romanvorlage möchte ich das gern glauben.

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  4. Siewurdengelesen16. April 2020 um 18:42

    Zu meiner Schande muss ich zugeben, dass ich "irgendwann" den Film mal im Fernsehen oder von Konserve lediglich konsumiert habe.

    Dabei war das für mich nur ein in ein paar adrette Bilder gepackte Tränendrüsendrückerstory und sonst nicht viel. Da jetzt die Jenseitskritik der US-amerikanischen Gesellschaft herzuleiten, kam mir dabei nicht in den Sinn. Das Narrativ des "American Dream" gibt´s auch nicht nur einmal, sodass es m.E. wenig Sinn hat, da jede zu zerpflücken. Selbst der Zeitraum 18 Jahre nach Erscheinen des Films macht das etwas witzlos und lässt die Kritik m.E. verpuffen.

    Das Einzige, was mich hier angesichts der doch sehr harschen Worte für mich interessant ist: Gibt es eigentlich eine Reaktion der Gegenseite - sprich von Hanks oder dem Regisseur etcpp? Das dürfte ja nicht spurlos an ihnen vorüber gegangen sein.

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  5. Hmmh, ist es nicht selber faschistisch, Menschen mit geistiger Behinderung als "dumm wie Affenscheiße" zu bezeichnen? Man kann auch nicht behaupten, dass es Gump "zu etwas gebracht hat", denn er weiss schlicht und ergreifend nicht, was das bedeutet.

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