Freitag, 17. April 2020

O tempora Corona! (4)


Als Gewohnheitsschwimmer muss man sich zur Zeit alternative Formen suchen, sich zu bewegen. Wie gut, dass das Fahrrad treue Dienste leistet und das Wetter mitspielt. Und die Kirschen blühen auch um die Wette.




Hanamis sind natürlich verboten. Kein Problem hingegen scheinen Zusammenrottungen von 150 Widerstandshelden zu sein, die die Freilassung einer ihrer Meinung nach unterdrückten Querdenkerin feiern, die am Karsamstag allen Ernstes eine 'Auferstehungsverordnung' erlassen hat und damit mit Anlauf vor die Wand gerannt ist. Ich werde nie verstehen, wie Menschen, die pausenlos Unsinn verbreiten, auf die Idee kommen, die Meinungsfreiheit sei irgendwie in Gefahr. Wer weiß, vielleicht steckt ja Methode dahinter und diese Durchblicker sind in Wahrheit selbst Teil eines Durchseuchungsexperimentes. Denken Sie mal drüber nach...

Was kann man noch tun? Raymond Chandler lesen zum Beispiel. Philip Marlowe beim Ermitteln durch L.A. zu begleiten, fügt der Welt noch immer Wahrheit und Schönheit hinzu. Wie zeitlos das ist, erkennt man unter anderem daran, dass seine Sprüche auch nach knapp achtzig Jahren immer noch cool und kein bisschen peinlich sind. Große Literatur. Trivial ist da gar nichts dran. Im Gegenteil, es ist frappierend, wie viel Mitdenken Chandler dem Leser zumutet. Und wer Marlowe bloß für einen Trenchcoat tragenden Klischeefritzen und Macho hält, hat nichts verstanden und soll halt weiter wokes Zeug lesen.


Auch ist es ein Gerücht, dass Marlowe permanent besoffen ist. Der Eindruck ist vor allem durch diverse Verfilmungen entstanden. Und dadurch, dass Humphrey Bogarts Figur des Rick Blaine aus 'Casablanca' andauernd verwechselt bzw. gleichgesetzt wird mit der des Philip Marlowe (etwa in 'Tote schlafen fest'). Marlowe trinkt Whisky meist nicht pur, sondern bevorzugt Highballs aus Bourbon und Ginger Ale. Könnte man auch mal wieder machen, dachte ich. Whisky mag ich zwar nicht, aber Rum und etwas Gin waren im Hause. Zitronen, Cola und Tonic Water ließen sich besorgen. Aber keine Eiswürfelbeutel. Eiswürfelbeutel! Überall ausverkauft! Wird das jetzt auch gebunkert? Oder kann man da wie MacGyver irgendwas Überlebenswichtiges draus bauen?

Beim Klopapier ist eine Lawine in Gang gekommen, die hält keiner mehr auf. Wann immer jetzt irgendwo welches zu bekommen ist, dann wird es sofort weggekauft, weil alle denken: Oh Gott, wer weiß, wann es wieder welches gibt! Und dann muss ich unbedingt noch Oma, Opa und den Kindern Bescheid sagen, damit die auch welches kaufen. Wir haben doch bloß noch 198 Pakete im Haus, das könnte knapp werden. Nein, die Lawine muss man einfach totlaufen lassen. Aber Eiswürfelbeutel?

Und Dosenravioli. Die bekommt man seit Längerem auch nicht mehr. Soll bei den Lebensmitteln das erste gewesen sein, das ausverkauft war. Dosenravioli! Echt jetzt? Sind wir schon so weit? Verzeihung, eine gewisse Vorratshaltung mag ja nicht unklug sein, aber es gibt unzählige Möglichkeiten, aus diversem Haltbarem genießbares Essen zu machen. Die glipschigen Mini-Sofakissen gehen nur, wenn die letzte verbliebene Alternative Verhungern ist. So viel Selbstachtung sollte nun wirklich sein. Muss irgendwas mit Regression zu tun haben. Kindheit und so. Ferienlager. Bella Italia. Guilty Pleasure.


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Natürlich gehen die Essgewohnheiten anderer mich nichts an, doch frage ich mich schon, was das aussagt über eine Gesellschaft, die sich sonst als kulinarisch irre weltläufig und innovativ aufspielt und nicht müde wird zu betonen, dass alles immer frisch und bio sein muss.

Vermutlich verputzen die Dosenschießer das Zeug ja auch nicht pur. Der wahre Connaisseur zeigt sich bekanntlich, wenn's kreativ wird*. Früher luden Mädchen zum Essen ein und machten witzige Partysalate*. Mit Mayo. Würg. Auch heute kennt die Phantasie keine Grenzen. Ravioli, Sahne, dick ausgefettete Auflaufform, Paniermehl, Käse, Butterflöckchen, rät Gabi*. Dazu noch #stay@home-bedingter Bewegungsmangel - herzlichen Glückwunsch, der Arzt hat gerade wichtigeres zu tun. Ein Gutes hat das Ganze: Jede verkaufte Dose Ravioli bedeutet rechnerisch mehr vernünftiges Essen für andere.

(* Triggerwarnung)

Ach so, die Liste der Hassfiguren gehört dringend erweitert. Und zwar um die hier:

Home Office-Verzichtsesoteriker
Jetzt, wo man mal auf sich selbst zurückgeworfen ist, merkt man erst, wie wenig man doch eigentlich braucht und was wirklich wichtig ist. Skiurlaub, Sternerestaurants, Wellness-Wochenenden, Shopping - alles unnötig. Ein Dach über dem Kopf, ein gutes Buch, ein Feuerchen im Kamin. Man braucht so wenig. Hätte ich nie gedacht. Meine Frau und ich legen jetzt in einem Teil unseres Gartens ein Gemüsebeet an. Wir denken, das bringt uns dem Ursprung unserer Lebensmittel wieder näher. Man vergisst so leicht, dass das alles nicht einfach aus dem Supermarkt kommt. Ich denke, etwas mehr Demut, Entschleunigung und Muße würde uns allen guttun. Habe ich übrigens schon erwähnt, dass ich C3-Professor bin und mein Gehalt voll weitergezahlt bekomme?

"Spätestens nach ein paar Wochen herrscht in den Portemonnaies vieler Menschen deshalb dauerhaft das, was man sonst nur halbtags aus der Nordsee kennt: Ebbe. […] Rund 68 Prozent der Fachkräfte mit Berufsausbildung in Deutschland, die überwältigende Mehrheit also, kann nicht vom Home-Office aus arbeiten, da es ihr Beruf schlicht nicht zulässt. […] Es ist eine unappetitliche Mixtur aus bürgerlichem Hochmut und protestantischer Verzichtsethik, die sich in den vergangenen Tagen breitgemacht hat […], die Sehnsüchte eines satten Millieus. Und es ist die völlige Ignoranz all jenen gegenüber, die nicht das Glück haben, nach Besoldungsgruppe W entlohnt zu werden." (Johannes C. Bockenheimer)

Was für die Leerräumeritis a'la Marie Kondo gilt, das gilt auch hier: Dergleichen Minimalismus und Verzicht muss man sich erst einmal leisten können.





5 Kommentare:

  1. Neben dem großartigen Chandler lohnt sich auch noch Hammett, der selbst als Privatdetektiv gearbeitet hat: Der Malteser Falke, Rote Ernte, Der dünne Mann.

    Ich unterstütze die geschlossenen Restaurants in den Nachbardörfern, die ihr Essen jetzt ausliefern. So rette ich Menschenleben und die örtliche Gastronomie, in dem ich mich ganz der Faulheit hingebe (selbstverständlich per Anruf und ohne die Verbrecher von Lieferando) :o)

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    1. Hammett lohnt unbedingt, ist aber knapper und lakonischer. Bei Chandler gefällt mir gerade die bildhafte Sprache. Und ich sollte an dieser Stelle unbedingt noch Wolli Schröder erwähnen, den Marlowe von Essen.

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  2. Nicht doch, der Highball ist Marlowes Notfalldrink. Im "Langen Abschied" pichelt er mit Terry Lennox einen Gimlet nach dem anderen, und das war auch Raymond Chandlers Lieblingsdrink. Gimlets schmecken auch besser. https://laist.com/2017/03/20/gimlet_like_raymond_chandler.php

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    1. Dass Chandler selbst eine innige wie ungesunde Beziehung zu Gimlets hatte, war mir bekannt. Gimlet als Marlowes bevorzugter Drink, an den ihn auch Lennox erst bringt, taucht, in der Tat erst in The Long Goodbye auf (was in dem verlinkten Artikel auch so geschrieben steht).

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  3. Die Ravioli-Rezepte lesen sich als stammen sie von Rudi Löhlein...

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