Dienstag, 22. Dezember 2020

Am Wegesrand

 
Da stand er. Im Herbst an der Straße. Opel Manta B. In wasweißichnicht-metallicgrün. Unrestauriert, aber auch unverbaut. Keine breiten Radkästen, nirgendwo Spoiler, Bodykits, Lufthutzen, Sidepipes oder sonstiger Zinnober. Keine neongrelle Lackierung, keine Kenwood- oder Yokohama-Aufkleber. Wie in Rüsselsheim vom Band gerollt. Seltenheit, so was. Klar, man soll nicht alles symbolisch aufladen, aber hier kam die Vergangenheit hoch.

(Das Gebäude rechts ist übrigens keine Uni.)

Die späten Achtziger und frühen Neunziger waren die hohe Zeit der Blondinen- und Mantawitze. Jeder, der dazugehören wollte, hatte mindestens ein paar auf Lager, entsprechende Witzesammlungen standen in den Buchläden, gleich zwei Manta-Filme kamen in die Kinos und an den Fachschaften an den Unis kursierten Fax-Dossiers, die laufend aktualisiert wurden. Wir erinnern uns:

Der kürzeste Mantawitz? Steht ein Manta vor der Uni. Hihihi!
Welche beiden Fremdwörter beherrscht die (blonde) Freundin eines Mantafahrers als einzige? "Manni, feste!" und "Fick tief!". Höhöhö!
Zwei Mantafahrer. Der eine so: "Ey, ich hab‘ mir jetzt nen Duden gekauft." Der andere so: "Und, schon eingebaut, ey?" Hohoho!
Manni und seine Freundin abends im Auto auf dem Parkplatz. Sie so: "Küss‘ mich da, wo’s schmutzig ist." Manni so: "Bisse bekloppt, ey? Ich fahr doch getz nich‘ noch nach Gelsenkirchen!" Huhuhu!

Einige waren so absurd, dass sie fast schon wieder gut waren. Etwa der:

Ein Mantafahrer fährt mit hoher Geschwindigkeit rückwärts auf einer engen Straße einen Berg hinauf. Ein Polizist hält ihn an und fragt, was das denn solle. Der Fahrer so: "Da oben wohnt meine Ische, ey, und da kannze nicht drehen, ey." Der Polizist rollt die Augen und winkt ihn großzügig durch. Eine Stunde später kommt der Mantafahrer mit hohem Tempo rückwärts den Berg heruntergefahren. Wieder hält der Polizist ihn an und fragt, was das denn jetzt solle. Der Mantafahrer so: "Ey, da oben kannze doch drehen, ey."

Oder der:

Letztens wurde eine Blondine zerlumpt, völlig entkräftet fast verhungert und halb erfroren im Himalaya aufgegriffen. Wieso? Man hat ihr gesagt, die Toiletten seien am Ende des Ganges.

Und so weiter und so weiter

Vielleicht war das kein Zufall. Man könnte eine Interpretation versuchen: Angesiedelt waren die Scherzchen meist in den Industrierevieren Nordrhein-Westfalens. So im Nachhinein kann man diese Witzewellen durchaus als popkulturelle Begleitmusik zum Strukturwandel begreifen. Mit der Schwerindustrie wurde gleichzeitig das proletarische Milieu und dessen Lebensgefühl als zurückgeblieben hingestellt, lächerlich gemacht und damit erledigt. Sich über Prolls lustig zu machen, wurde Teil der Jugendkultur. Und nahm das vorweg, was dann ab den Neunzigern medial mit vermeintlich faulen Arbeitslosen veranstaltet wurde.






9 Kommentare:

  1. Bingo, gerade zum letzten Absatz.
    Wolfgang Schmitt hat auch hier wieder intelligentes dazu zu sagen...

    https://youtu.be/edF2D-zeND8

    Steht ein Manta vor der roten Ampel. Kommt ein AOK Chopper angefahren und bleibt neben dem Manta stehen.
    Kurbelt der Mantafahrer das Seitenfenster runter und fragt:"Ey, wat bringt denn Deine Kiste?"
    Darauf der Angesprochene:"So um die 6km/h."
    "Boah ey, da kannste besser laufen."

    Fred

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  2. Übrigens ist Metallicgrün die drittscheußlichste mir bekannte Farbe. Die Zweitscheußlichste ist Gold-Metallic (hab mal einen verbeulten Manta mit dem Lack am Feldwegrand stehen gesehen). Die Scheußlichste das unsterbliche Trabant-Grün.

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    1. Moooment, Vattern hatte Anfang der Achtziger einen grünmetallicfarbenen Ascona B mit 2-Liter-Maschine (und Clairon-Kassettenradio). Für mich das coolste Auto, dass die Verursacher je sich geleistet haben. Hatte nur wegen des Automatikgetriebes einen Spritkonsum (Super natürlich), als wäre ein Schwarzes Loch im Motor verbaut gewesen.
      @Fred: Ich gebe zu, das war eine Inspiration...

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    2. @Stefan Rose: »Ascona B, das coolste Auto, das die Verursacher je sich geleistet haben«
      Entschuldigen Sie, dass ich hier widersprechen muss: nicht zu vergessen der Diplomat B *)

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    3. Ups, natürlich ist das so, aber den Diplomat konnten die Altvorderen sich als kleine Angestellte damals eben nicht leisten. Schon gar nicht mit Achtzylinder.

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    4. Also, der Ascona war wirklich irgendwie ein tolles Auto. Habe ich nie gehabt, aber immer gemocht.

      Was den Diplomat B und das Leistenkönnen angeht: Bis weit in die 70er wurde es in den meisten Firmen in Deutschland auch nicht gern gesehen, wenn ein Angestellter ein besseres Auto als sein Vorgesetzter hatte.

      Ein ehemaliger Chef von mir hat erzählt, wie ein Kollege von ihm in den 70er Jahren jahrelang gespart (billig gewohnt, wenig gereist, einfach gegessen) und sich dann einen neuen Mercedes zugelegt hatte. Das sei ein Skandal gewesen, weil der Chef Opel fuhr, und nicht Diplomat oder Kapitän, sondern kleiner. Das ist als totaler Affront rübergekommen, und der soziale Druck sei dann derart hochgekocht, dass der arme Mann den Karren notgedrunen verkauft hat und auf ein "standesgemäßes" Gefährt umgestiegen ist ("umsteigen musste").

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  3. Und was fährt der esoteriker? ’nen mantra!

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