Wien zur Zeit des Fin de siècle fand ich von jeher faszinierend. Wie an dieser Nahtstelle zwischen West und Ost vor dem finalen Ersten Weltkrieg noch einmal alles versammelt war in Kunst und Wissenschaft. Klimt, Kokoschka, Schiele, Freud, Schnitzler, Schönberg, Mahler. Bis dieses letzte Aufblühen des alten Europa dann im Blutbad versoff. Natürlich enthält diese Ex post facto-Sicht einiges an Pathos und Kitsch. Klammert zum Beispiel aus, dass dieser jugendstilüppige, blattgoldsatte Exzess weitgehend den Oberen Zehntausend vorbehalten war. Die überwiegende Mehrheit der Schlechtergestellten musste, wie überall sonst, sehen, wie sie zurecht kam. Die protifierte (und profitiert noch heute) eher vom 'Roten Wien' der Zwanziger.
So verfiel ich einst auf die Idee, meine Magisterarbeit über das Bild der Donaumonarchie in den Romanen Joseph Roths zu verzapfen. Der wird oft zum reinen Nostalgiker verklärt, doch ist das arg verkürzt. Zwar hing Roth durchaus an diesem versunkenen Vielvölkergebilde namens K.u.K.-Monarchie, misstraute den Segensversprechen der Demokratie und sah das faschistische Unheil früh kommen. Andererseits war er Linker und sah sehr klar, dass dieses alte Feudalreich seine Zeit hinter sich, den Kräften des 20. Jahrhunderts nichts entgegenzusetzen hatte und seine mittelmäßigen, vor allem mit sich selbst beschäftigten Eliten den Untergang erst recht nicht aufhalten konnten. Das verleiht seinen Arbeiten, vor allem seinem Opus Magnum und Schlüsselroman 'Radetzkymarsch' (1932), innere Spannung und Doppelbödigkeit.
(Übrigens halte ich Axel Cortis und Gernot Rolls 'Radetzkymarsch'-Verfilmung von 1995 für eine der großartigsten Literaturverfilmungen aller Zeiten. Man muss Zeit und Muße mitbringen für diese mehr als vier Stunden Verfall und Niedergang, aber es lohnt sich.)
Apropos versoff: Es ist überliefert, dass Roths Freund und Förderer Stefan Zweig den schweren Trinker einmal fragte, wieso um Himmels Willen er denn so viel trinke. Darauf soll Roth ihm geantwortet haben: "Und warum trinken Sie nicht? Glauben Sie vielleicht, Sie kommen lebend davon?"
Dies Nähkästchengeplauder mag erklären, wieso ich so hocherfreut war zu erfahren, dass es nun mit 'Vienna Blood' eine Krimiserie gibt, die im Wien des Ancien régime um 1900 angesiedelt ist. Inspektor Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer) ermittelt in Mordsachen. Ihm zur Seite gestellt wird der junge angehende Nervenarzt Max Liebermann (Matthew Beard). Liebermann kommt aus einer jüdischen Familie und studiert bei Sigmund Freud, dessen revolutionäre Ansätze gerade die Psychiatrie und generell die Sicht auf psychische Krankheiten durcheinanderwirbeln.
Und, wie isses nun? Es ist kaum eine Überraschung, dass bei so einer Konstellation vor allem Konventionelles und Erwartbares herauskommt. Der alternde Inspektor ist ein zynischer Grantler mit Leiche im Keller und Hang zu gewaltsamen Lösungen, dessen Polizeikarriere ins Kippeln geraten ist. Der junge Studiosus ist voller Ideale und Tatendrang und rennt ein ums andere Mal vor Wände. Logisch, dass die beiden sich zusammenraufen und sich immer mal wieder gegenseitig den Arsch retten werden. Man leistet sich sogar kurze Anklänge an 'Sherlock', verfolgt das zum Glück aber nicht zu sehr. Beard ist, bei allem Respekt, kein Cumberbatch.
Das Optische ist tadellos, man hat sich wirklich Mühe gegeben, die verflossene K.u.K.-Grandezza opulent ins Bild zu setzen. Vor allem die Frauen sehen aus wie von Gustav Klimt und Egon Schiele gemalt. Das ist alles schön und gut und untadelig. Auch sind die zu lösenden Fälle kurzweilig genug, dass man neunzig Minuten dranbleibt. Nur ist das eben, da für den Weltmarkt und daher für maximale Kompatibilität produziert, nicht wirklich wienerisch. Der Schmäh, die Zwischentöne, das Abgründige hinter dem Picksüßen, den prunkvollen Jugendstil- und Ringstraßenfassaden kommt definitiv zu kurz für mich. Für eines aber ist 'Vienna Blood' ununwunden zu loben: Wie Antisemitismus zum Thema gemacht wird.
Die Geburtsstunde des modernen Antisemitismus lässt sich recht genau datieren. Zwar ist Antisemitismus ein seit dem Mittelalter bekanntes Phänomen, spielte aber während des 19. Jahrhunderts kaum mehr eine Rolle jenseits heute bizarr anmutender Folklore. Dann aber kam der so genannte Gründerkrach. Durch den Wiener Börsenkrach vom 9. Mai 1873 verloren viele ihr Geld. Man suchte Schuldige und glaubte sie in den Juden gefunden zu haben. In Wien fing das an (und fiel auch anderswo auf fruchtbaren Boden). Im dem Wien, in dem ein junger Tunichtgut namens Adolf Hitler erfolglos sich als Künstler versuchte.
Und so muss Liebermann sich nicht nur mit Verbrechen und seelischen Abgründen befassen, darunter den eigenen, sondern auch mit zunehmenden Anfeindungen wegen seines jüdischen Hintergrunds. Seinem Vater wirft er vor, sich der Hautevolee Wiens anzudienen, obwohl offenkundig ist, dass sie ihn als Juden niemals wirklich akzeptieren wird. Er selbst sieht sich Vorwürfen seines Ordinarius ausgesetzt, sich an die modischen 'jüdischen' Spinnereien des Doktor Freud zu verschwenden. Das war in so einer Produktion so noch nicht da. Spannend. Werde weiter gucken.
Die erste Staffel von 'Vienna Blood' mit drei Folgen à 90 Minuten ist in der ZDF-Mediathek anzuschauen.
Joseph Roth ist ein großartiger Schriftsteller. Als Einstieg reicht die kleine Geschichte "Die Legende vom heiligen Trinker". Er verbrachte die Tage in Gaststätten, wo er schrieb und trank, und die Nächte in Hotels. Aufgrund der enormen Lebenshaltungskosten schrieb er Artikel und Bücher, als wäre der Teufel hinter ihm her. Seine Biographie lohnt sich auch als Lektüre. Danke für den TV-Tipp.
AntwortenLöschenAuch die Novelle 'Die Kapuzinergruft' ist als Einstieg sehr zu empfehlen.
LöschenUnd 'Das falsche Gewicht', großartig verfilmt mit Helmut Qualtinger...
Löschenallein für solche Serien wie Vienna Blood bin ich froh,dass es ein Staatsfernsehen gibt ohne Reklamesch....dazwischen.
LöschenDen Antisemitismus als "Rassenkonstrukt" gibt es so erst seit dem 19. Jhr.
AntwortenLöschenDer Antijudaismus, also Judenfeindschaft aus religiösen Beweggründen, hat mit dem Christentum Einzug in Europa gehalten.
Meine 5 Cent dazu.
Fred
Das ist, präziser ausgedrückt, ziemlich genau das, was ich meinte, danke
LöschenIch habe jetzt alle drei Folgen gesehen und fand die Zeitreise als alter Volker Kutscher-Leser großartig. Ich habe mich an einen Urlaub in der Villa Excelsior in Bad Gastein erinnert, in der Freud regelmäßig seine Sommerferien verbracht hat. Der Hotelier erzählte mir, seine Patientinnen seien dort regelmäßig zu Kuraufenthalten gewesen, daher seien auch alle Zimmer mit schallgedämpften Doppeltüren ausgestattet (die Hysterikerinnen ...). Das Haus und der ganze Ort, in dem sich früher Sissi, Bismarck und die ganze Rasselbande des Hochadels getroffen haben, atmet noch heute den Charme der untergegangenen K.u.K.-Monarchie, die in "Vienna Blood" genüsslich seziert wird.
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