Samstag, 27. Februar 2021

Urban & fresh livin'

 
Die Ferienwohnung, die der geliebte Arbeitgeber für mich zwecks Dienstreise angemietet hat, hört auf einen Namen. Früher, als man mit der Familie im Sommer drei Wochen lang in Norddeich festsaß und sich langweilte, weil Norddeich gar keinen Sandstrand zum Burgenbauen hatte, gab es so was wie 'Pension Heidemarie' oder Wohnungen, die 'Seeblick' hießen und alles sah aus wie in den Sechzigern. Hier und heute, in der in die sanften Hänge des Teutoburger Waldes geschmiegten ostwestfälischen Provinz ist das freilich ganz anders. Meine temporäre Hütte steht für mondänes, urbanes, zeitgemäßes Wohnen.


'City Living' -- so haben sie die Butze benamt, in der temporär zu logieren ich die Aufgabe habe. Ja "leck das Crack aus meiner Spalte und nenn’ mich Waldemar"! 'City Living'! Wow! Young! Fresh! Mundane! Coco-loco-moco-paco-an-saco-easy-life. Yeah! Like! Und mal ehrlich, was kann es Erholsameres geben, als nach einem brutal harten Tagewerk voller Megahammerbrüllficktrades und Milliardenumsätzen und der (illegalen) After-Work-Party, auf der du, die Füße in einer Wanne voll Champagner, ein paar Lines von den Brüsten der blutjungen Praktikantin geschnorchelt hast, noch einen letzten Drink zu nehmen auf der Dachterrasse, den Blick über die nächtliche Skyline schweifen zu lassen und sich zu sagen: Wow, ich bin schon ein einigermaßen toller Hecht, ich. Very stable genius.
 
Und was passt wohl besser zu diesem crazy ausgeflippten Lebensgefühl als diese Stadt, diese eine Stadt? New. York. Big. Apple. Neuyork. Manhattan. Fifth. Avenue. Times. Square. The City That Never Sleeps (was jenseits eines gewissen Alters eher lästig ist, vor allem, wenn man arbeiten muss) und in der du dir die Miete nicht leisten kannst. Yeah! Und weil derjenige, der dieses mondäne Loft einst eingerichtet hat, das offenbar schwer gecheckt hat, ist die ganze Bude vollgepflastert mit New York-Bildern aus dem Baumarkt. Und wenn mal zufällig nicht, dann eins mit irgendeiner anderen Silhouette voller verglaster Betonpimmel. Merkt eh keiner. Wegen der After Work Party.




Nee, datt iss nich Nüjork, datt iss Gütersloh, oder?











No, happiness is bekanntlich a warm gun - Ohne Kalenderspruch geht nix.

 
Ich wäre schon sehr dankbar gewesen, wenn das Geld, das man für die geschmackfreie Wanddekoration ausgegeben hat (von den lustigen Sprüchen wie oben habe ich noch gar nicht angefangen), statt dessen in ein, zwei schärfere Küchenmesser und ein Nudelsieb geflossen wäre. Von einer brauchbaren Bratpfanne mit Deckel und einem Herd mit nur marginal mehr Power als ein batteriebetriebenes Puppenstubengerät ganz zu schweigen. Einem Diktum Enzensbergers zufolge, wollen Kleinbürger alles mögliche, nur nicht Kleinbürger genannt werden. Und Provinz erkennt man zuverlässig, wie schon früher hier angemerkt, an dem verkrampften Getue, bloß nicht Provinz zu sein.



1 Kommentar:

  1. Guten Tag,
    evtl. ist der Beitrag ja der Befürchtung und den daraus resultierenden Gefühlen geschuldet, dass es Herford evtl. — so wie Bielefeld — gar nicht gibt. Und dann hatte — ebenfalls reine Vermutung — der Forist in der für seine von Herford durcheinandergebrachte Gefühlswelt, die nachhaltige Angst aus diesem Paralleluniversum nicht mehr ins Hier und Jetzt zurückkehren zu können.
    Da ich dies sehr gut nachvollziehen kann, sähe ich mich in dieser Situation allerdings doch — wieder zuhause — von unbändiger Dankbarkeit übermannt, daß mir doch nix Zeitsprungmäßiges widerfahren ist.

    Gruß
    Jens

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