Samstag, 17. April 2021

Der gute Flic von Saint-Denis


Kurz vor Weihnachten brachte ein werter Mitblogger, wie ich ein Freund des guten Lebens, mich auf Martin Walkers Kriminalromane um den französischen Dorfpolizisten Bruno. Inzwischen habe ich alle Bände durch. Ein vorläufiges Fazit.


Was erwartet man, was kann man erwarten von einer Romanserie, die mit der Zuverlässigkeit eines Schiffsdiesels vor sich hin tuckert, die nunmehr bei Band 12 angelangt ist und von der demnächst Band 13 erscheinen wird? Schlüsselromane Flaubertschen oder Houellebecqschen Ausmaßes im Jahrestakt sicher nicht. Man sucht und bekommt das Gewohnte, wie wenn man alte Freunde wiedersieht, vertraute Gesichter und Orte. Die Routine beim Lesen wächst mit der Schreibroutine des Autors. Ist das handwerklich sauber gemacht, wird man gut unterhalten und verblödet auch nicht dabei. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

2009 veröffentlichte der studierte Historiker und langjährige Guardian-Korrespondent Martin Walker seinen ersten Roman um Benoît Courrèges, der von allen nur Bruno genannt wird. Bruno ist Chef de Police im fiktiven Kleinstädtchen Saint-Denis, ein Dorfpolizist der Police municipale, der dem Bürgermeister untersteht und von der Kommune bezahlt wird. Saint-Denis ist nicht zu verwechseln mit der realen Stadt bei Paris, in deren berühmter Kathedrale fast alle französischen Könige begraben sind, sondern liegt im Périgord. Am Fluss Vézère, irgendwo zwischen Sarlat und Périgeux, ganz in der Nähe der berühmten Höhle von Lascaux und etwa eine Stunde von Bordeaux entfernt.

Neben dem Burgund ist das Périgord eine der Herzkammern französischen Schnabulierens. Vor allem Enten geht es hier ans Gefieder. Cassoulet und Foie gras sind die bekanntesten örtlichen Spezialitäten, zahlreiche traditionelle Gerichte verlangen nach Entenfett, auch gejagt wird nicht wenig. Und es ist eine der wirtschaftlich ärmsten Regionen Frankreichs. Weswegen, so lernen wir in den Büchern, vieles selbst angebaut und erzeugt wird und noch die Tauschwirtschaft blüht. Durchs Périgord verlief einst auch die Demarkationslinie zwischen deutsch besetzter Zone und Vichy-Frankreich, was es zu einer Hochburg der Résistance machte.

Begleitet man Bruno bei seiner morgendlichen Runde über den heimatlichen Markt, mit der er seine Arbeitstage normalerweise beginnt, kommt einem unwillkürlich ein berühmtes gallisches Dorf in den Sinn. Man kennt sich, man ist befreundet, man pflegt seine Lebensart und trotzt tapfer den Zumutungen von Moderne und Globalisierung, deren positive Seiten man aber natürlich gern mitnimmt. Man erzeugt weiter Foie gras, wählt aber mehrheitlich die Verts. Man ist durchaus multikulturell, steht aber unverbrüchlich zu den Werten der République Francaise. Über allem schwebt das Motto: Die Welt mag scheiße sein, das Leben ist schön. Freunde französischer Lebensart kommen voll auf ihre Kosten.

"Der einzige Begriff der Nation, den ein denkender Mensch akzeptieren könnte, ist der französische: Er ersetzt die biologische oder kulturelle Zwangsgemeinschaft durch eine Idee, die zwar ebenso fiktiv ist, aber mit dem rein formalen Regelwerk der Demokratie gefüllt werden kann." (Burks)

(Milde Spoiler voraus.)

Die Assoziation zum gallischen Dorf ist durchaus gewollt. Walker selbst bezeichnete seine Figur in einem Interview mal als modernen Asterix. Wenn er nicht gerade Verbrechen aufklärt, für Ordnung sorgt, Kinder aus tödlicher Gefahr errettetet oder sonstwie gutes tut, hat Bruno ein Programm am Hacken, für das es Miraculix' Zaubertrank braucht: Er ist im Tennisclub, trainiert die Rugby-Jugendmannschaft, joggt jeden morgen, hält Hühner im Garten, baut sein eigenes Gemüse an, geht auf die Jagd, stellt seine eigenen Pâtes, Rillettes und Konserven her, ist begnadeter Koch, überdies Mitglied in diversen Vereinigungen und Clubs und bewegt schließlich noch regelmäßig das Pferd, das Pamela, seine aus England eingewanderte On-off-Freundin, ihm geschenkt hat. Reiten hat er übrigens in kürzester Zeit von ihr gelernt. Nebenbei will auch noch der getreue Hund versorgt sein und wenn es ihn doch mal langweilt, dann greift er gern zu anspruchsvoller historischer Fachliteratur.

Menge Holz. Als er in einem Band verzückt einer Probe des örtlichen Kirchenchores beiwohnt, der nichts weniger als mal eben Bachs dreistündige Matthäus-Passion einstudiert - ein Trumm nebenbei, der jeden Amateurchor, erst recht den einer kleinen Kleinstadt, zuverlässig an seine Grenzen bringt -, überkommt einen eine andere Asterix-Assoziation. Die an Troubadix nämlich. "Bitte tu’s nicht, Bruno!“, wollte ich da laut ausrufen. "Bitte nicht auch noch singen!" Was er dann zum Glück nicht tat.

Es mag Geschmackssache sein, liefert auf jeden Fall nur wenig Erkenntnis, Literatur bloß auf mögliche autobiographische Bezüge abzuscannen. Aber im Falle Walkers darf man vermuten, dass er ein ums andere Mal auch seine eigene Geschichte vom Ankommen im Périgord erzählt, wo er die Hälfte des Jahres als Teilzeitimmigrant verbringt. Das erinnert zuweilen an Donna Leon, die Amerikanerin, die es nach Venedig verschlagen hat, die sich standhaft weigert, Guido Brunetti in Rente zu schicken und durch eine Welt wandert, auf die sie mit anderen Augen schaut als die dort Endemischen. Nur dass man in Saint-Denis nicht die endlosen Predigten einer feministischen Professorin ertragen muss.

Interessant aber, dass es bei Walker fast immer Frauen sind, die es nach Saint-Denis verschlägt und so verzaubert sind von Land und Leuten, dass sie am liebsten nicht mehr weg wollen.

Da ist Yveline, die neue Kommandantin der Gendarmerie, die junge Staatsanwältin Annette, Amelie, Inspektorin des Innenministeriums und begnadete Sängerin, Florence, die allein erziehende Mutter von zwei Kindern, die Bruno aus einem miesen Job mit übergriffigem Chef herausholt und ans örtliche College als Lehrerin vermittelt. Alle haben sie eines gemeinsam: Haben sie erst einmal bei einem der zahlreich zelebrierten Gelage an Brunos Esstisch gesessen, sind sie für den Rest der Welt verloren. Alle wickelt der Chef de Police um den kleinen Finger. Auch die neben dem Rallyesport ursprünglich dem Vegetarismus frönende Annette ist bald zu Foie gras, Confit de canard und Lardons bekehrt. Nur Isabelle Perrault von der Police Nationale ist hin- und hergerissen zwischen einer großen Karriere und einem Leben mit Bruno. Weswegen sie mit ihm eine weitere On-off-Beziehung führt.

Und das war es eigentlich schon mit den Abgründigkeiten. Es ist durchaus sympathisch, dass hier ein Ermittler am Werk ist, der keine wahnsinnig originelle Macke hat, nicht irgendeine Neurose mit sich herumschleppt oder sich von Lebenskrise zu Lebenskrise hangelt. Allein seine Angewohnheit, obwohl durchaus als Junggeselle begehrt, sich grundsätzlich mit höchst eigenständigen Frauen einzulassen, die keine feste Bindung und nicht wie von ihm ersehnt, eine Familie gründen wollen mit ihm, macht ihm zu schaffen. Zumal durchaus Potenzial da wäre für ein zünftiges Trauma. Bruno hat eine militärische Ausbildung und war einst Blauhelm in Bosnien. Und so wirft er gelegentlich auch seine Gewaltlosigkeit über Bord, greift zur Dienstwaffe und begibt sich ins Feuergefecht.

Vieles am Erfolg der Bruno-Romane ist der Sehnsucht nach einer heilen Welt geschuldet. Bei allen Zumutungen der Gegenwart ist Brunos Welt noch eine intakte, weitgehend analoge. Internet und Asoziale Hetzwerke spielen bloß eine untergeordnete Rolle, Zeitungen werden gekauft und regelmäßig gelesen, Journalisten sind keine prekären Selbstausbeuter, sondern Angestellte, die von ihrer Arbeit ordentlich leben können. Überhaupt ist in Saint-Denis einen Job zu finden vor allem eine Frage des guten Willens, notfalls hilft Bruno mit seinen Beziehungen etwas nach. Der Front National taucht eher nebenbei auf, die Gelbwesten überhaupt nicht. Die Verbrechen, die geschehen, werden immer mit Erfolg aufgeklärt und die herrschende Ordnung wiederhergestellt. Das Leitmotiv, das sich durch alles zieht, ist Essen und Trinken. Bruno beim Kochen über die Schulter zu schauen, den Protagonisten beim gemeinsamen Tafeln Gesellschaft zu leisten, ist unterhaltsam und nimmt viel Raum ein. So viel, dass man sich zuweilen fragt, was übrig bliebe, wenn man das wegließe.

Der Historiker Walker kennt sich hervorragend aus im Périgord und lässt den Leser ausgiebig teilhaben an seinem Wissen. Das ist oft interessant. Neben einer Menge Kochrezepte lernt man einiges über den byzantinischen französischen Staats- und Polizeiapparat und seine nicht immer durchschaubaren Zuständigkeiten von Gendarmerie, Police municipale und Police nationale. Über die Nachwirkungen des Algerienkriegs und der Résistance, über die jahrhundertelang gewachsenen Strukturen der Winzer, Händler und Trüffelhöker. Dem ohnehin eher gemächlichen Erzählfluss hilft das aber nicht unbedingt. Im Gegenteil. Die in Rezensionen beliebte Formel 'flott geschrieben' ist hier weniger angebracht.

Zudem tappt Walker des öfteren in die Falle, in die gelernte Wissenschaftler tappen, die sich am Erzählen versuchen: Er verfällt ins weitschweifige Erklären. Und so bleibt man öfter an literarischen Schwachstellen hängen wie dieser (die einem ein fähiger Lektor eigentlich austreiben müsste):

"Wieder einmal machte Bruno die Erfahrung, dass er, trotz gründlichster Ausbildung und obwohl er sich solche Momente immer wieder vor Augen führte, angesichts einer auf ihn gerichteten Waffe einem unwiderstehlichen Adrenalinschock ausgesetzt war." (Martin Walker: Reiner Wein)

Ja. Puh. Danke für diese Info. Auch dass französische Wörter höchst inkohärent und scheinbar beliebig verwendet werden oder auch nicht, ist ärgerlich und stößt dem aufmerksamen Leser ab einem gewissen Punkt sauer auf. Das alles aber soll den insgesamt positiven Gesamteindruck nicht wirklich trüben. Bei allen Schwächen gibt es weit schlechtere Krimilektüre. Es wäre dennoch eine schöne Abwechslung, wenn demnächst auch der stets so tadellos agierende Bruno mal einen Fleck auf die Weste bekäme, ihn seine Vergangenheit einholen würde oder so etwas.

Vielleicht war es ein Fehler von mir, alle Bände in relativ kurzer Zeit zu lesen. Binge Reading ist nicht immer eine gute Idee, es fördert mitunter Schwächen zutage wie die eben erwähnte. So charmant Setting und Hauptfiguren sind, so herzwärmend die Liebe zum guten Essen, zum Wein und zum guten Leben zelebriert wird, irgendwann, so ab Band 10, stellten sich erste Abnutzungserscheinungen ein bei mir. Sicher, Fans solcher Serien mögen keine Experimente. Es ist legitim und geht völlig in Ordnung, beim Lesen schlicht unterhalten zu werden und in eine schönere Gegenwelt abtauchen zu wollen. Es gibt aber eine Grenze zwischen wohligem Seriengenuss und nerviger Wiederkehr des immergleichen. Deren Verlauf ist individuell verschieden, bei mir haben Brunos Abenteuer sich ihr inzwischen bedrohlich angenähert.

Daher bin ich noch unschlüssig, ob ich mir auch den dreizehnten Band 'Französisches Roulette' besorgen werde, der am 24. April bei Diogenes erscheint. Vielleicht ist eine Pause die bessere Idee. Verfilmungen sind übrigens auch keine geplant. Wer jemals versucht hat, die diesbezüglichen Verrenkungen der ARD mit den Kommissar Dupin-Romanen länger als zehn Minuten zu ertragen, weiß, dass das ebenfalls eine sehr gute Idee ist.





 

3 Kommentare:

  1. Bei mir hat sich nach Band 12 die große Leere eingestellt, ich hab die Wein-und-Trüffel-Gang doch arg vermisst, deshalb hab ich Band 13 schon im Original gelesen (und die 14 vorbestellt, soll im Juni auf Englisch erscheinen). Es spricht nichts dagegen, mit der Lektüre noch zu warten, mit bahnbrechenden Umwälzungen kriminalistischer oder privater Natur wartet Walker nicht auf. Allerdings schubst er unseren Bruno jetzt deutlich in Richtung einer Dame, mit der er bisher noch nichts hatte, die aber die ideale feste Partnerin für ihn wäre. Mehr sag ich jetzt nicht, will ja nix spoilern.

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    1. Na wenn das was wird, dann können wir uns vielleicht ab ca. Band 18-19 auf spannende Sorgerechtsstreitigkeiten freuen.

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