Montag, 19. April 2021

Schmähkritik des Tages (47)

 
Heute: Friedrich Küppersbusch über Sahra Wagenknechts Buch 'Die Selbstgerechten'

"Weltklassepointe: Wagenknecht bashed Linksidentitäre als »skurrile Minderheiten ... mit irgendwelchen Marotten« - und kaum setzt der erwartbare Furor ein, zieht sie ihren iranischen Vater nebst Migrationshintergrund aus der Frise und kontert klassisch linksidentitär. Wie man denn bei ihrer Herkunft Kritik üben könne? Wagenknechts Virtuosität im Spalten ist so fruchtbar – wenn es gegen »die da oben« losgeht - wie toxisch - wenn sie im eigenen Lager wütet. Deshalb gerann ihr die »Sammlungsbewegung« zur Sekte. »Sozialismus, aber national« ist NPD in sexy Netzstrümpfen, nicht jedes Hufeisen bringt Glück." (taz, 11.4.2021)

Anmerkung: Dem ist so weit zuzustimmen. Nun ja, fast. Preisfrage: Welcher prominente Politiker, der nicht Mitglied der Grünen war, sprach sich hierzulande einst als einer der ersten dafür aus, die multikulturelle Gesellschaft als Realität zu akzeptieren und bezeichnete Deutschland als Einwanderungsland? Antwort: Es war Heiner Geißler von der CDU. Das ist nur auf den ersten Blick widersprüchlich.

Die Forderung nach einer multikulturellen Gesellschaft bzw. nach Multikulturalität ist keine genuin linke. Eher eine (neo-)liberale. Zumindest ist sie ganz in deren Sinne. Der Arbeiterschaft/-klasse migrantische Konkurrenz als Reservearmee vor die Nase zu setzen, die bereit und willens ist, für Elendslöhne zu arbeiten und gleichzeitig an Humanismus und internationale Solidarität zu appellieren, war und ist eine der Säulen der Globalisierung und der zentralen Strategien, die Linke zu spalten und kalt zu stellen.

"Sage mir, wer dich lobt, und ich sage dir, worin dein Fehler besteht.", soll Lenin einst gesagt haben. Der verlogene Applaus völkischer AfD-Töffel für Wagenknecht ist die eine Sache. Die chicen Bekenntnisse des Kapitals zu Vielfalt und Diversity sind aber nicht minder verdächtig. Dem Kapital nämlich sind Fragen nach Hautfarbe, Herkunft, Gender, Religion, sexueller Orientierung etc.pp. weitgehend egal. So lange sich weiter Gewinne machen lassen und die Besitzverhältnisse nicht infrage gestellt oder gar angetastet werden. Dass so viele so genannte 'Identitätslinke' da offenbar kein Problem drin sehen, sollte mindestens genau so nachdenklich machen.






4 Kommentare:

  1. Frau Wagenknecht müßte sich doch noch erinnern, wie es ist, mit der Vorwurf der Lifestyle-Linken konfrontiert zu werden, denn sie stand doch mal für "Hummer und Sichel"!

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  2. Ich würde das Buch trotzdem lesen.

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  3. Gerade auf Deinem letzten Absatz und insbesondere dem letzten Satz kann ich mit einem kräftigen "jawoll" antworten.
    Warum man für diese Erkenntnis wie Wagenknecht, "linkskonservativ" werden muss/soll, ist für mich wiederum unerklärlich.

    Fred

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  4. Das schöne an dieser neuen „Kultur“ ist, dass es dem Neoliberalismus perfekt in die Hände spielt:

    Der neoliberale Traum ist, dass das in punkto Reichtum obere Prozent der Bevölkerung genauso divers ist wie die restlichen 99 Prozent, damit niemand seine ökonomische Situation mehr auf Diskriminierung schieben kann. Dann können die Reichen nämlich behaupten, dass jeder seinen Platz in der Gesellschaft verdient habe. Bei Diversity-Bestrebungen geht es nicht in erster Linie darum, Ungleichheiten zu minimieren, sondern sie zu rechtfertigen. [1]
    Wenn wir nun genauso viele oder noch mehr Geschlechter, Ernährungsweisen, Ethnien wie Menschen haben führt das für mich in letzter Konsequenz zur Entsolidarisierung in der Gesellschaft: Wenn sich die Belegschaft eines Unternehmens mit Fragen auseinandersetzt, wie:

    Der Obdachlose draußen vor dem Empfangsgebäude ist privilegiert, weil weiß. Die aus dem Senegal stammende Management-Assistentin mit 70.000€ Jahreseinkommen gehört aber einer zu schützenden Minderheit an.

    oder Frage,

    wer auf welche Toilette gehen muss und ob man Unisextoiletten oder für jedes der Geschlechter ein eigenes Häusl bereitstellt,
    da bleibt nicht mehr viel Zeit sich zusammenzuraufen und einen Betriebsrat oder Gewerkschaft zu gründen. Aus Sicht des Großunternehmens kostet die woke Lösung auch fast nichts. Ein paar diversity-officer sind viel billiger als wenn du z.B. Arbeiter anständig bezahlen musst.
    Der alte Satz And, you know, there's no such thing as society. ist fest im Bewusstsein verankert.
    Mit dem Dreischritt [2] als Arbeitsanweisung investiert der marktkonforme Mensch nun auch seine Identität in seinen individuellen Humankapitalstock.

    [1] https://www.zeit.de/politik/2019-07/us-wahlkampf-demokraten-vielfalt-identitaetspolitik-klassenkampf-oktopus
    [2] https://www.blickpunkt-wiso.de/post/warum-menschen-sowas-mitmachen-neoliberales-denken-und-handeln--1985.html

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