Donnerstag, 20. Mai 2021

#Borchert@100

 
Heute vor 100 Jahren wurde in Hamburg-Eppendorf Wolfgang Borchert geboren. Als kranker Mann aus dem Krieg zurückgekehrt, schrieb er in der kurzen Zeit, die ihm blieb, alles nieder, was er im Kopf hatte, und das war eine Menge. Sein Opus magnum 'Draußen vor der Tür', dem Untertitel nach ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will, soll er im Krankenhaus in gerade mal acht Tagen zu Papier gebracht haben. Den riesigen Erfolg des Stückes hat er schon nicht mehr erlebt.

Borchert wurde 1941 in die Wehrmacht eingezogen und nahm mit der Heeresgruppe Mitte am Angriff auf die Sowjetunion teil. Obwohl kein Widerstandskämpfer, eckte er immer wieder an. Das NS-Regime hielt er für einen schlechten Witz und machte daraus auch kein Geheimnis. Mehrfach wurde er zu Gefängnisstrafen wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt, auch der Vorwurf der Selbstverstümmelung stand im Raum. Ende 1944 kam er frei und verbrachte die letzten Kriegsmonate als Garnisonssoldat. Aber seine Gesundheit war bereits schwer angeschlagen. Fortgeschrittene Tuberkulose.

Es ist Mode geworden, seinen flammenden Appell 'Dann gibt es nur eins' ein wenig nonchalant als Pazifismuskitsch abzutun, wie Jan Philipp Reemstma dies getan hat. Ihn leicht abwertend als Hauptvertreter eines Genres namens 'Trümmerliteratur' zu bezeichnen. Dass er über nichts anderes schrieb als Krieg, Zerstörung, Gefängnis und Lazarett. Worüber denn sonst, möchte man da fragen.

Verbreitet auch der Fehler, literarisches Ich und Autoren-Ich gleichzusetzen. Borchert war mitnichten nur der gramgebeugte, ewig Leidende, zu dem er gern stilisiert wurde und wird. Freunde berichteten, er sei ein begnadeter Spaßvogel und großer Spötter gewesen. Eine Goebbels-Parodie brachte ihm eine seiner Gefängnisstrafen ein. Bei einem Spaziergang entlang der Elbe soll er seinen Begleiter einmal demonstrativ gefragt haben, wieso die Briten bloß die Arbeiterviertel zu Klump gebombt, die edlen Villen am Elbufer aber verschont hätten. Von seinem Hang zum Sarkasmus zeugt auch die abgründig-fiese Collage 'An diesem Dienstag'. Ein böse funkelndes kleines Meisterwerk.

Kommunisten haben ihm, dem aus der Kleinbourgeoisie stammenden, später zwar antifaschistische Gesinnung attestiert, doch mangelndes proletarisches Klassenbewusstsein vorgeworfen. Westdeutsche Wohlstands- und Salonlinke nahmen übel, dass so wenig von deutscher Schuld die Rede ist bei ihm. Nun ja.

Stilistisch steht Borchert eh meilenweit über vielem anderen. Man nehme etwa die Kurzgeschichte 'Nachts schlafen die Ratten doch' zur Hand und beginne zu lesen:

"Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. Staubgewölke flimmerte zwischen den steilgereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste."


Meine Fresse, was für ein Anfang! Groß. Reine Musik. Filmisch. Mit drei kurzen Sätzen eine ganze Szenerie eingefangen. Am Expressionismus der Vorkriegszeit geschult, aber unverkennbar auch beeinflusst vom lakonischen Stil amerikanischer Short Stories. Kein Wort zu viel. Überhaupt war und ist Borchert einer der ganz wenigen deutschsprachigen Autoren, die das Genre Kurzgeschichte wirklich beherrschten, ohne je ins Klischeehafte und Peinliche abzurutschen.

Oder 'Das Brot'. Es gibt so pathetisch sich ausnnehmende Formeln, die uns fremd geworden sind heutzutage. Etwa die, dass Liebe auch Verzicht bedeuten kann. Wie bitte? In Zeiten von Tinder und immer vollen Discountern? Haha, also bitte! Bei Borchert steht in ganz schlichten und klaren Worten, ohne jeden Anflug von Rührseligkeit, warum das wirklich so sein kann, wenn man hungert und friert.

Borcherts Brillanz vor allem im Feld der Kurzgeschichte ist auch ein Problem. Denn dadurch wurden schon ganze Generationen Schüler in der Mittelstufe mit seinen Geschichten genervt, mussten sie interpretieren. Meist die oben genannten. Und konnten meist nicht recht etwas anfangen damit. Es passiert quasi nichts, es wird mehr geredet. Die Verwüstungen treten indirekt zutage, dann aber umso heftiger.


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Mir ist das auch erst später in Klasse 12 dank meines damaligen Deutschlehrers aufgegangen. Der spielte uns die Aufzeichnung der Uraufführung von 'Draußen vor der Tür' von 1947 vor mit Hans Quest in der Hauptrolle. Völlig kalt gelassen haben diese eineinhalb Stunden damals keinen, glaube ich. Ich war völlig gefangen. Geflasht. Tritt in die Magengrube. Noch am selben Tag kratzte ich mein Geld vom Zeitungen austragen zusammen und besorgte mir sein Gesamtwerk. 'Draußen vor der Tür' hat mir damals einen Zugang zur Literatur jenseits von Eskapismus und Unterhaltung geöffnet. Dafür bin ich noch heute dankbar.

Borcherts Werk passt bequem in einen Band. Ein Drama, zwei Geschichtensammlungen, paar Gedichte, paar Essays, mehr nicht. Und doch so viel. Erst recht in diesen Zeiten, in denen Säbelrasseln längst wieder zum normalen politischen Tagesgeschäft gehört und Aufmerksamkeit immer öfter denen zuteil wird, die sich durch maximale verbale Verrohung hervortun.






3 Kommentare:

  1. Guter Tipp. Danke. Habe ich tatsächlich seit dem Deutsch-Leistungskurs 1982-85 nicht mehr gelesen. Gutenberg-Projekt hat alles am Start.

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  2. Unserer Deutschlehrerin Frau Franz hatte es Wolfdierich Schnurre angetan. Aschinger, Erbsensuppe, die Brötchen umsonst. Oder so ähnlich.

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  3. Borchert kannte ich noch nicht. Habe gerade "An diesem Dienstag" gelesen und bin schwer beeindruckt. Gefällt mir sehr, so lakonisch. Vielen Dank für diesen Tipp!

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