Donnerstag, 4. November 2021

Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (28)

 
Da ich gerade frei hatte und einige Besorgungen zu tätigen hatte, entschloss ich mich spontan, mal wieder meinen alten Studienort Essen aufzusuchen. Weil Essen, wie wir alle wissen, quasi offiziell die Einkaufsstadt par excellence ist. Zumindest erhoffte ich mir als hartnäckiger Nicht-Kunde des raumfahrenden, glatzköpfigen Multimilliardärs dort eine größere Auswahl, denn in heimischen Gefilden. Zumal mir auch der Zeitpunkt teuflisch geschickt gewählt dünkte. Die Herbstferien waren gerade vorbei und das Weihnachtsfest warf zwar schon seine kitschigen Schatten voraus, doch waren die Weihnachtsmärkte noch nicht aufgebaut, sodass der ganz große Ansturm noch nicht begonnen hatte. Was ich nicht ahnte: Die Unternehmung gestaltete sich angesichts dessen, was ich alles gelernt habe, zur wahren Studienreise.

Also, was habe ich gelernt im einzelnen?

Etwa dass die Essener Innenstadt, die für mich als Büchermensch (Heine-Buchhandlung, G.D. Baedeker), als Musikfreund und CD-Käufer (Karstadt Hören & Lesen, Radio Schossau, Müller for Music,...) und PC-Zocker in den Achtzigern und Neunzigern Fundgrube und Wallfahrtsort zugleich war, außerhalb der beiden Konsumtempel Limbecker Platz (früher Karstadt-Hauptfiliale) und Rathaus-Galerie (früher City-Center am Porscheplatz) inzwischen arg runtergerockt ist. Handyläden, Billigketten, Outlets. Immerhin wenig echter Leerstand an der Limbecker und der Kettwiger. Zum Glück ist Andrä noch da. Und Spirituosen Banneke.

Dass die Wegelagerer von Sanifair inzwischen auch Kundentoiletten in Einkaufszentren übernehmen. Pecunia non olet.

Dank der Filiale eines sich 'Pommesmanufaktur' schimpfenden Hökers weiß ich nunmehr, dass man Poutine durchaus essen kann. Wenn die verwendete Bratensauce nicht von Maggi ist. War sie aber. Kennen gelernt habe ich auch ein neues Kassiersystem. Ich orderte meine Bestellung an der Kasse, bezahlte, bekam einen Bon in die Hand gedrückt, mit der Bitte, weiter links am Pass zu warten, bis ich aufgerufen würde. So tat ich. Dann rief dauernd einer "Manny!" und blickte hilfesuchend in die Runde. "Ich hatte eine Poutine", sagte ich irgendwann. "Ah, dann sind Sie Manny!". "Nein, bin ich nicht, der Manni hat früher auf dem Pütt immer Nachtschicht gemacht. Ich bin der Stefan, angenehm." Dann guckte ich auf meinen Bon. Da prangte oben der Name "Manny". Verstehe. Die junge Dame, die mich abkassiert hatte, hört wohl auf den Namen Manuela oder so. Oder es ist ein Künstlername. Muss man erst mal drauf kommen, auf so eine Idee.

Butterdosen scheinen irgendwie aus der Mode zu sein. Fressen die Leute nur noch Lätta und andere chemisch aufgerüschte Industriefettcremes, und gehören diejenigen, die noch mit Guterbutter hantieren, einer aussterbenden Spezies an, die ihre Butterdosen geerbt hat? Die Teile, die man bekommt, wenn überhaupt, sind entweder aus Weichkunststoff oder aus nicht minder weichen Metallen. Beides würde meinen Messern nicht lange standhalten. Ansonsten bekommt man entweder edelstes Porzellan oder Chromagan mit Platinauflage und Bleikristall-Deckel. Zu Preisen, für die ich mein Chalet in St. Moritz beleihen müsste. Beides fraglos eine Zierde der festlichen Tafel, aber nicht für den rauen Alltagseinsatz geeignet. Glas ist eine Alternative. Mein aktuelles Exemplar habe ich mir im Sommer von Manufactum andrehen lassen, jenem Vollversorger überbezahlter Grünwähler. Zu einem Preis übrigens, für den ich mich nicht von diversen Immobilien trennen musste. Leider ist das Pressglas von derart minderer Qualität, dass bereits ein etwas zu scharfer Blick die Ecken abplatzen lässt.

Wenn man im laufenden Weihnachtsgeschäft eine Filiale des professionellen Heimverschandlers Nanu-Nana betritt, dann addieren die verschiedenen synthetischen Duftnoten der dort zu Hekatomben bevorrateten Duftkerzen sich zu etwas, dessen Effekt zunächst dem Tränen- bei weiterem Vordringen in die Räumlichkeiten dem von Senfgas nicht unähnlich ist. Die Wissenschaft rätselt noch, wie die sich dauerhaft dort aufhaltenden Angestellten und Kundinnen das scheinbar komplett schadlos überstehen.

Puh! Menge Lernstoff für ein paar Stunden.

(Ach so, wenn Sie mal nach Essen kommen und entsprechend interessiert sind: Münsterkirche und Domschatz lohnen den Besuch, da ist dem Kollegen vollauf zuzustimmen. Ich war aber erst vorletztes Jahr dort) Wenn Sie's nett haben wollen, fahren Sie lieber gleich runter nach Werden. Wie es mittlerweile in Rüttenscheid zugeht, wo wir einst öfter auf Juck waren, weiß ich nicht. Hatte wegen des Schmuddelwetters auch keine Lust, noch einen Abstecher zu machen. Ich weiß nur, dass die einst von der ostwestfälischen Nachtigall Droste besungene Ampütte an der Rü noch existiert.)







7 Kommentare:

  1. Vorsicht, Beckmesserei:
    Zumal mir auch der Zeitpunkt teuflisch geschickt gewählt dünkte.
    Dünkte, deuchte - donk? Dücht? Mal den Brentano fragen.

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  2. Aus Essen kommt übrigens Katja Werker, zumindest dort aufgewachsen.
    Die hier:
    ---https://www.youtube.com/watch?v=2jEAaE1Dg5Y---
    Kann also alles nicht so schlimm sein.

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  3. Passt ja mehr zu Deiner Themenserie "Strukturwandel", doch aus Anlass der gestrigen WDR Lokalzeit Dortmund, in der über eine kleine Brauerei im Ruhrgebiet berichtet wurde, die Bottroper Bier herstellt:

    https://bottroper-bier.com/ueber-uns/

    Bis dahin kannte ich dieses Label nur als spassigen Songtitel von Jürgen von Manger alias Tegtmeier von 1977 nach der Melodie von "Griechischer Wein".

    https://youtu.be/hcVgx85iWN0?t=88

    Für Spätgeborene vermutlich unbekannt. Titel und Interpret! Nun gibt es das wirklich.

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  4. Vielleicht mal was für eine spätere Folge der ,,Grenzerfahrungen'':
    Ich empfehle einen Besuch des ,,Knüllermarktes'' in Duisburg. Eine wahre Hölle der Nippeskultur!

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  5. ... Butterdose:

    https://www.ebay-kleinanzeigen.de/s-anzeige/butterdose-porzellan/1918786906-86-2032

    10 Euro — um die Ecke ...
    Nichts zu danken.

    Gruß
    Jens

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    1. Danke, sehr aufmerksam. Aber mir wurde bereits von lieben Menschen geholfen. Ich habe eine geerbt.

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