Was die mediale Begleitung des Ukraine-Kriegs angeht, gilt wohl mehr
denn je, dass Seriösität sich am ehesten daran ablesen lässt, wie sehr
sich entsprechend Qualifizierte in der Öffentlichkeit zurückhalten und
sich auf das beschränken, was sie beherrschen. Dass Ralf Raths vom
Panzermuseum länger keine Videos mehr zum Thema veröffentlicht hat, mag
daran liegen, dass gerade die Dauerausstellung umgebaut wird. Oder dass
er das, was so zu sagen ist, bereits gesagt hat. Empfehlenswert sind momentan zum Beispiel die Analysen von Oberst Reisner
vom österreichischen Bundesheer, die sich dadurch auszeichnen, geradezu
einschläfernd dröge und nüchtern zu sein und sich aufs Militärische zu
beschränken. Zudem ist Österreich kein NATO-Mitglied.
Deutschland ist NATO-Mitglied und hat nicht nur politische Hasardeurinnen wie Sahra Wagenknecht, sondern auch peinliche Kinnmuskelspanner wie Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter. In deren Welt sowie in nicht unbeträchtlichen Teilen der deutschen Qual-litäts-Journaille ist alles ganz einfach: deutsche Leoparden in die Ukraine, rassel, rassel, bumm, bumm, Iwan tot, Krieg zu Ende, alle glücklich. Unleash the beast, yeah! Germans to the front! Deutsche Führungsrolle, yes! Scholz, der sich alldem hartnäckig verweigert, ist ihnen ein Feigling, eine Milchsemmel, ein eierloser Zauderer, der sich nicht traut, das Nötige zu tun.
"Letztendlich wurden zwei Weltkriege geführt, um [...] eine dominante Rolle Deutschlands zu verhindern." (Henry Kissinger)
Mag alles sein, das mit der Milchsemmel oder den Eiern, ich kenne Scholz nicht persönlich. Auffallend ist aber doch, dass auch Großbritannien keine Challenger-, die USA keine Abrams- und Frankreich keine Leclerc-Panzer liefern. Allesamt Baumuster in etwa auf dem Level des Leopard 2, die ihren russisch-sowjetischen Pendants, die in der Ukraine zum Einsatz kommen, technisch überlegen sind. Könnte man in einem Militärbündnis vielleicht drüber nachdenken. Aber noch nicht mal das geschieht (ohne dass Biden, Johnson/Truss und Macron meines Wissens dafür in ähnlicher Weise angegangen werden wie Scholz). Warum eigentlich?
"Ich denke, die nächsten sechs Monate bis zum Frühling werden entscheidend sein. Wenn die Europäer durchhalten und da halbwegs unbeschadet durchkommen, dann hat Russland keine Trümpfe mehr in der Hand." (Adam Tooze)
(Tut auch mal gut, wenn andere meine Einschätzung teilen.)
In der Tat bedeutet die erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive im Norden einen Wendepunkt des Krieges. Inwieweit das in militärischer Hinsicht der Fall ist, kann ich nicht beurteilen, strategisch aber ist der Krieg damit in einer kritischen Phase. Man mache sich folgendes klar: Der 22. Juni 1941, der Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, der das Land komplett auf dem falschen Fuß erwischte, wirkt in Russland bis heute traumatisch nach. Jetzt von der ukrainischen Armee wieder überrumpelt und ausmanövriert worden zu sein, bringt da sicher ungute Erinnerungen wieder hoch. Zumal aus russischer Sicht der Feind nunmehr direkt an der Grenze steht. Von jeher der Alptraum aller russischen Machthaber, der Worst case, den es mit allen Mitteln zu vermeiden gilt.
Vor diesem Hintergrund könnte der Einsatz westlicher, vor allem deutscher Kampfpanzer, die in der russischen Militärdoktrin Offensivwaffen sind, für Russland eine rote Linie darstellen, deren Überschreiten eine weitere Eskalation rechtfertigte, eventuell sogar den Einsatz taktischer Atomwaffen (wiewohl das kompletter Irrsinn wäre). Joe Biden benützte jüngst das Bild, man versuche mit den Waffenlieferungen, den Frosch zu kochen, ohne dass er aus dem Topf springe. Und er sprach das Thema Atomwaffen ungewohnt deutlich an.
Putin hat heute bekanntlich eine Teilmobilmachung verkündet - was heißt: Es werden 300.000 zwangsweise ausgehobene, schlecht ausgerüstete, schlecht ausgebildete, schlecht geführte und schlecht verpflegte arme Teufel an die Front geworfen, derweil es an der Heimatfront langsam zu rumoren beginnt. Auch Kollege Xi Jinping hat ziemlich undiplomatisch verkündet, dass das Spiel aus ist. China hat in den letzten Jahrzehnten wie kein anderes Land vom freien Welthandel profitiert und ist Russlands einzige Hoffnung für eine Nachkriegsordnung. Es wird kaum im chinesischen Interesse sein, dass 1,4 Milliarden Chinesen radioaktiv verseuchte Luft atmen, wenn der Wind ungünstig steht oder dass die wichtigsten Absatzmärkte in Europa und Nordamerika strahlende Wüsten sind. Möglicherweise braucht es den Winter also gar nicht mehr.
Für den Westen gibt es indes gute Gründe, trotz allem nicht auf einen Sturz oder eine Absetzung Putins hinzuarbeiten: Jenseits drohenden Einsatzes von Nuklearwaffen kann es im wohlverstandenen Eigeninteresse liegen, dass der Krieg auch innerrussisch nicht zu sehr eskaliert. Getreu Kissingers Maxime "Ja, er ist ein Arschloch, aber er ist unser Arschloch", ist es wahrscheinlich besser, einen politisch schwer angeschlagenen Putin im Kreml zu halten, als zu riskieren, dass Russland in eine nicht mehr kontrollierbare bürgerkriegsartige Situation rutscht, aus der dann beispielsweise eine Militärdiktatur als Sieger hervorginge.
Ein Detail war in den vergangenen Tagen besonders aufschlussreich. Russland kauft beim Paria Nordkorea Munition. Warum nicht beim angeblichen Verbündeten China, dessen riesige Armee über prallgefüllte Waffen- und Munitionslager verfügt? Das sind erste Absetzbewegungen, im Februar klang Xi noch ganz anders.
AntwortenLöschenDie Offenheit, mit der Xi heute den Daumen gesenkt hat und zu Verhandlungen auffordert, kam für mich durchaus überraschend.
LöschenVielleicht war das jetzt nach anfänglichem Schreck der richtige Schritt Richtung Frieden.
AntwortenLöschen... jegliche Kriegspropaganda und in deren Windschatten die ganzen Schwätzer und Hetzer mit ihrem Halbwissen — widerlich und peinlich.
AntwortenLöschenOkay — tägliche, sachliche Berichten, so wie bei dem Wetterbericht gabs eventuell mal zu Zeiten des Vietnamkrieges (man möge mich berichtigen).
Je mehr Waffen und Kämpfer für die Ukraine weiterhin bereitstehen und je erfolgreicher die Gas- und Ölboykotte Russlands sublimiert werden, desto eher werden die Kriegsparteien wohl verhandeln — besonders, wenn man versuchen würde der russischen Regierung "Brücken zu bauen" aus dem ganzen Schlamassel "irgendwie" rauszukommen.
Bei dem ganzen Geld für die Nato sollte doch etwas übrig sein, um einen Arbeitskreis "Friedensverhandlungen" zu bilden, welcher mit Russland und der Ukraine spricht, um den Krieg möglichst schnell zu beenden ...
Gruß
Jens
Es gibt von ukrainischer bzw. westlicher Seite längst ein Angebot, das eine "Brücke" darstellt. Grundbedingungen für einen Friedensvertrag sind natürlich der vollständige Rückzug der russischen Truppen vom Staatsgebiet der Ukraine und die Anerkennung des Existenzrechts der Ukraine. Statt auf dieses Angebot zu reagieren, eskaliert Putin die Lage mit einer Mobilmachung.
Löschen... "Grundbedingungen" zu stellen, ist ja schonmal eine Art Blockadehaltung. Eine Verhandlungsführung, die anerkennt, dass der Gegner sein Gesicht wahren muss, sieht anders aus. Sorry.
LöschenIch stelle mir da ein "Freeze" vor. Jeder Soldat bleibt erstmal dort, wo er gerade ist und niemand schießt mehr auf den jeweiligen Gegner.
Und jetzt reden wir mal miteinander ....
Gruß
Jens
Das wäre nur ein Waffenstillstand. Du kannst nicht ein anderes Land überfallen, einen Teil besetzen und dann erwarten, dass du in Friedensverhandlungen deine Beute behalten darfst. Beide Seiten müssen das Gesicht waren, nicht nur der Aggressor.
LöschenJep. Ein "Freeze" könnte man als Zeichen dafür auffassen, dass die ukrainische Seite den Status quo anerkennt. Ein Waffenstillstand käme z.B. infrage, wenn beide Seiten zu dem Schluss kommen, dass der Krieg zu beenden sei (was aber offenbar nicht der Fall ist) oder z.B. die russische Militärführung dem Präsidenten unmissverständlich klarmachte, dass man mit seinen Mitteln am Ende sei, eine feindliche Invasion nicht mehr zu verhindern sei und man notfalls die Kanonen umdrehen würde, wie das in Deutschland Ende 1918 passiert ist.
Löschen... hmm,
Löschenich zitiere der Einfachheit halber einfach: "…Erzbergers Verhandlungsspielraum in Frankreich war von Anbeginn eng begrenzt: Foch machte unmissverständlich deutlich, dass die deutsche Delegation die von ihm diktierten Waffenstillstandsbedingungen anzunehmen habe. Jede Verhandlung über die Bestimmungen, die den Deutschen ein Weiterkämpfen unmöglich machen sollten, lehnte der Oberbefehlshaber nahezu kategorisch ab. Die Erfüllung der Waffenstillstandsbedingungen kamen einer offenen Kapitulation gleich: deutscher Rückzug aus den besetzten Gebieten in Frankreich und Belgien sowie aus Elsass-Lothringen, Besetzung der linksrheinischen Gebiete in Deutschland durch alliierte Truppen, Annullierung des Friedensvertrags von Brest-Litowsk zwischen Deutschland und Russland, ..."
Ich denke, dass damit die Machbarkeit meiner Vorstellung dokumentiert wird.
Gruß
Jens
Äh... nein. Die Situation ist nicht annähernd mit 1918 vergleichbar. Die Generalität war zu dem Schluss gekommen, dass es keinerlei militärischen Mittel mehr gäbe, den Krieg länger weiterzubetreiben (was man dann kurz darauf der Linken per Dolchstoßlegende in die Schuhe schob). Davon ist momentan wenig zu sehen.
LöschenDer Duke, Lapuente und Wellbrock im Widerstand. Aber sowas von.
AntwortenLöschen...mir gings nur darum zu beweisen, das zwei Kriegsgegner die aktuelle Situation akzeptieren und Frieden schließen, egal wo die eigenen Truppen im Feindesland stehen ...
AntwortenLöschenGruß
Jens
Die aktuell amtierende russische Regierung wird sehr wahrscheinlich weiter eskalieren. Das wird sie unabhängig von Verhandlungen oder Kriegshandlungen in der Ukraine tun. Selbst wenn jetzt hypothetisch die Ukraine und die westlichen Staaten der Meinung wären den Status Quo anzuerkennen und einen Friedensvertrag zu schließen, wäre eine weitere Eskalation in naher Zukunft sehr wahrscheinlich. Ich denke für die russische Regierung ist die aktuelle Weltordnung inakzeptabel. Insbesondere kann Putin persönlich nichts mit Demokratien anfangen und sieht deren Vertreter nicht als legitime Repräsentanten an. Das Ziel der russischen Regierung und insbesondere von Putin ist ein Destabilisierung der westlichen Demokratien und in damit einhergehend ein größerer Einfluss Russlands in der einer zukünftigen Weltordnung. Das Problem ist, dass man nicht mit einem Mann verhandeln kann, der nicht verhandeln möchte. So sympathisch mir eine Apeasment-Politik auch grundsätzlich ist, so erfordert sie eben ein Mindestmaß and Kompromißbereitschaft auf beiden Seiten. Das sehe ich hier nicht. Man sieht ja, dass die russische Regierung schon ziemlich viel versprochen und zugesichert hat (inklusive der teritorialen Integrität der Ukraine und Georgiens, sowie bis vor ca. einer Woche noch dem Abstreiten einer Mobilisierung). Angesichts dessen kann man ganz gut abschätzen wieviel ein Abkommen, Vertrag oder Versprechen dieser Regierung jetzt wert wäre: gar nichts. In der momentanen Situation sehe ich gerade keine Möglichkeit zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Möglicherweise muss es erst soweit eskalieren, dass eine andere Regierung in Russland übernimmt (dann hoffentlich nicht unter Führung der Ultranationalisten). Danach könnte es besser aussehen. Aber momentan wird alles was die russische Regierung sagt oder tut mit dem Ziel geschehen weiter zu eskalieren und das von mir eingangs beschriebene Ziel voranzutreiben.
Löschen