Samstag, 18. Februar 2023

Kulturpessimismus im Sonderangebot


Es ist doch immer wieder herzig, wie man noch für jeden tatsächlichen und gefühlten Missstand die Jugend Von HeuteTM verantwortlich machen kann, mit der es jetzt aber endgültig so was von abwärts geht. 2022, so barmten Fahrlehrerverbände und TÜV-Verband, seien so viele Führerscheinkandidaten durch die praktische Prüfung geflogen wie noch nie. Zwei Prozent mehr als 2019, zehn Prozent mehr als 2013. Eine Erklärung hat man auch schnell parat: Die Jugend Von HeuteTM glotzt während des elterlichen Kutschiertwerdens nur mehr aufs Smartphone, anstatt sich, wie sich’s geziemt, für den hochkomplexen technischen Vorgang des Autofahrens zu interessieren. Aha.

Nun kann es sich um eine bloße Koinzidenz handeln. Es könnte auch daran liegen, dass die Zahl der Verkehrsschilder dramatisch zugenommen hat (allein in der bescheidenen Heimatstadt um nicht weniger als 14.000 seit 2015). Nicht nur Fahranfänger sehen sich somit immer mehr Reizen ausgesetzt, die sie beim Fahren verarbeiten müssen. Zudem im städtischen Umfeld weitere Verkehrssituationen hinzugekommen sind, auf die man sich einstellen muss, wie Pop up-Radwege und Fahrradstraßen. Jede Menge Möglichkeiten, sich falsch zu verhalten.

Als einer der wenigen aus meiner Gymnasialklasse bin ich damals für meinen Führerschein jobben gegangen und habe später angefangen als die die meisten anderen in meiner Stufe, für die das ein selbstverständliches Geschenk zum 18. Geburtstag war. Dummerweise neigte ich in Prüfungssituationen sehr zur Nervosität. Mein Fahrlehrer hatte den Job gerade angefangen und war ebenfalls sehr nervös, ich war einer seiner ersten Prüflinge. Das addierte sich wohl irgendwie. Kurzum, ich versemmelte die Prüfungsfahrt, musste Stunden nachmachen und die Praktische wiederholen. Das kostete Geld, das ich leider nicht flüssig hatte.

Daher musste ich das Projekt Führerschein eine Zeit auf Eis legen. Glücklicherweise war Weihnachten nah. Ich bettelte Eltern, Oma und Opa um eine Finanzhilfe an und war dann Ende Januar stolzer Besitzer einer in zartem Rosa gehaltenen Fahrerlaubnis. Alles in allem hat mich das um die 1.800 D-Mark gekostet. Teurer Spaß. Aber, wie gesagt, es wäre billiger gegangen.

Zumal Führerscheine ein paar Jahre zuvor noch einmal deutlich günstiger waren. Ich musste bereits eine Mindestfahrstundenzahl sowie Nacht-, Überland- und Autobahnfahrten nachweisen und eine verpflichtende mindestens 45minütige Prüfungsfahrt hinlegen. Bis Mitte der 80er kam es durchaus vor, dass einigermaßen begabte Fahrschüler, die heimlich mit Papa geübt hatten, pro forma ein paar Fahrstunden abrissen und bei der praktischen Prüfung drei Mal um den Block fuhren.

Der ADAC veranschlagte 2022 die Kosten eines Führerscheins Klasse B zwischen 2.093 € und 3.810 €, im Schnitt wären das also 2.951 €. Ich habe mal wieder eine Tabelle angelegt und geschaut, wie das inflationstechnisch heute aussähe. Für die Jahre 1988 bis 2002, dem Jahr der Euro-Einfǘhrung habe ich eine jährliche mittlere Inflationsrate von zwei Prozent zugrunde gelegt, für die Jahre 2003 bis 2021 (das Ausreißerjahr 2022 ist noch nicht berücksichtigt) eine von 1,5 Prozent. Für die Umrechnung von DM zu Euro habe ich den damaligen fixen Wechselkurs von 1 € = 1,96 DM zugrundegelegt. 


Ergebnis: Der Führerschein, der mich 1988 1.800 DM gekostet hat, käme heute auf knapp 1.700 Euro. Die 2.951 €, die laut ADAC 2022 zu Buche schlagen, entsprechen somit einer inflationsbereinigten Preissteigerung von 73 Prozent. Seit 1991 ist der Reallohnindex aber längst nicht im gleichen Maße gestiegen wie die Preise. Eher hinterhergehinkt. Nicht nur, dass ein Führerschein heute doppelt so teuer ist wie damals, man bekommt auch deutlich weniger Fahrerlaubnis für sein Geld. Mit meiner alten Klasse 3-Fleppe und meinen 50 plus-Lebensjahren darf ich immer noch Gespanne mit maximal drei Achsen und 12 Tonnen Gesamtgewicht chauffieren. Heute darf man mit einer Klasse B viel weniger und braucht für alles Mögliche einen Extraführerschein.

Vor diesem Hintergrund grenzt es doch eigentlich an ein Wunder, dass die Anzahl der neuen Führerscheine so hoch ist wie nie, oder? Weiterhin sollte man bedenken, dass Fahranfängern der Einstieg in die Individualmobilität dadurch erschwert wird, dass die Hersteller fast alle günstigen Kleinwagen vom Markt nehmen. Wegen EU-Auflagen zum Spritsparen. Günstige Kleinwagen, neu oder gebraucht, waren für viele aber das klassische erste Auto.

Aber Hauptsache, mal kulturpessimistisch rumgejammert über die smartphonesüchtige Jugend.






6 Kommentare:

  1. ...also, soweit ich mich erinnere.....1970: Überland, Nacht und Autobahnfahrt gab es auch...meines Erinnerns war mit 10 Fahrstunden alles erledigt, Kosten knapp 1000 Mark.....

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    1. ... ich war für Klasse 3 1978 auch knapp unter 1.000 DM.
      1975 für die Klasse 1 waren es — glaube ich — 300 DM. (ich dachte ursprünglich, dass ich eh kein Auto brauche)
      Gruß
      Jens

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  2. noch etwas kommt hinzu, und das ist kein Migrationsbashing,denn davon sind alle Jugendlichen betroffen. Das Verständnis einer Textaufgabe. Viele Jugendliche können nicht mehr richtig lesen, und verstehen einfach nicht die Aufgabe. Dazu kommt noch, dass wesentlich mehr Aufgaben zu lernen sind und das muss wieder abrufbar sein. Führerschein machen hat auch viel mit auswendig lernen zu tun, was Kinder nicht mehr lernen. Da auch viele Fahrlehrer einfach nur ihren Stoff .runterleiern,bleibt auch da nicht viel hängen

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  3. ....es steht aber doch, dass die Probleme die praktische Prüfung betreffen....oder hab ich das flasche gelesen?

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  4. ...falsch gelesen.....soll es heissen

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    1. Schon, aber wenn man die Theorie icht in den Kopf kriegt kann man sie in der Praxis nicht anwenden und fliegt durch die Prüfung. Sogar wenn man technisch 1a fahren kann, besteht man nicht, wenn man Verkehrszeichen missachtet oder so. Allerdings dürfte das lange nicht nur Leute mit Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache betreffen.

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