Dienstag, 21. Februar 2023

Der Hundekackemann


Die heutigen, von Städten und Ländern betriebenen Theater, Orchester, Opernhäuser und Ballettkompagnien sind quasi Nachfolger der einst von absolutistischen Fürsten zwecks Repräsentation des Kunstsinns betriebenen Hofbetriebe. (Und weil wir hier in der Gegend einst so viele Fürsten hatten, haben wir immer noch so viele staatliche Kulturbetriebe, darunter öffentlich-rechtliche Rundfunkorchester.) Nur dass heute nicht mehr der Fürst sagt, wo es langgeht, sondern Satzungen, Verwaltungen und Gesetze.

Seither werden einige Künstler gut alimentiert als Regisseur, Intendant u.a. mit quasidiktatorischen Befugnissen im öffentlichen Dienst beschäftigt. Meist gesteht man ihnen qua der ihnen zugeschriebenen Fähigkeit, neue Räume zu erschließen, Grenzen neu auszuloten o.ä. mehr Freiheiten zu als anderen. Vielleicht auch, damit sie qua Projektion eigene derartige Sehnsüchte stellvertretend ausleben. Das hat zweifellos Großes hervorberacht und tut es immer noch, war aber auch eine Einladung an autoritäre Säcke, Egomanen, Durchgeknallte, Übergriffige und Arschgeigen aller Art. Wer einmal über das Damoklesschwert des Freiberuflertums oder der befristeten Anstellung hinaus ist und in einen Chefsessel furzt, konnte sich im Kulturbetrieb einiges herausnehmen. Aber eben nicht alles.

Das trotz aller Bemühungen nach wie vor überwiegend bildungsbürgerliche und damit schrumpfende Kulturpublikum delektiert sich dann und wann ganz gern an exaltierten, exzentrisch-überspannten Künstlerdesperados, die gern mal so: "Also, ich KANN so nicht arbeiten!", und dann theatralisch die Brocken hinwerfen. Drama, Baby! Das freut auch die Lokalpresse immer. Kategorien wie 'reibungsloser Betrieb' sind schließlich nur was für Musical-Spießer. Solange es nicht die Aufführung betrifft, für die man bezahlt hat.

Dennoch, das Spannungsfeld bleibt. So besteht die Kunst des im kulturhistorischen Sinne modernen Künstlers als öffentlicher Angestellter mitunter auch darin, einerseits für ein schnell gelangweiltes Publikum das Enfant terrible zu geben und sich immer neue abgefahrene Sachen auszudenken - Unternehmensberater et al. sprächen hier von 'Innovationsdruck' -, es als von der Allgemeinheit Alimentierter andererseits aber nicht so dolle zu treiben, dass nicht allzuviele verprellt sind und ihre Abonnements kündigen. Der Schritt vom gefeierten bunten Vogel zur Nervensäge ist mitunter kurz.

Auf 'Abonnenten' als Inbegriff des kulturbeflissenen Kleinbürgers wird übrigens gern verächtlich herabgesehen, aber immerhin bevölkern die noch die Theater, Opernhäuser etc. als zahlendes Stammpublikum. Nachfolger sind kaum in Sicht.

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"Exzentriker, die Rücksicht auf ihre Marotten einfordern, sind keine Exzentriker, sondern hundsordinäre Nervensägen." (Kurbjuhn)

Apropos hundsordinär: Öffentlich mit Hundescheiße herumzusauen ist, zumindest im Kino, auch schon wieder ein ziemlich alter, genau genommen mehr als 50 Jahre alter Hut. Zumindest in mehr oder minder freiwilliger Form. Der seit kurzem ehemalige Hannöversche Ballettdirektor Marco Goecke kann sich nunmehr rühmen, die Kulturwelt bereichert zu haben mit dem Topos des unfreiwilligen Herumsauens mit Hundescheiße. Genauer gesagt, derjenigen seines im Pflegefallalter befindlichen Dackelrüden Gustav, die er der FAZ-Kritikerin Wiebke Hüster ins Gesicht schmierte, von der er sich unfair behandelt fühlte.

Man kann über vieles diskutieren, aber ich lege mich dahingehend fest, dass einem Menschen gegen dessen Willen Exkremente ins Gesicht zu schmieren nicht geht. Nicht nur in puncto Ekel, sondern auch Gewalttätigkeit. Von Goeckes lahmen Entschuldigungsversuchen wollen wir gar nicht erst reden. (Überflüssig zu sagen, dass bei kaum einem anderen Angestellten bei so einem Übergriff überhaupt über irgendwas diskutiert worden wäre.) Das Konzept, ausnahmslos noch jeden abstrusen Hirnfurz zur Kunstperformance adeln zu wollen, stößt halt mitunter an Grenzen. Mag sein, dass die Kunstgeschichte in 100 Jahren anders urteilt. Nur ist das ungefähr so irrelevant wie der Verweis auf die alten Griechen, wenn ein heutiger erwachsener Mann sich an Knaben vergreift.

Hätte er öffentlich gesagt, er würde es begrüßen, wenn Hüster ihrerseits einmal so mit Dreck beworfen würde wie er verbal von ihr, es wäre eine grenzwertige Äußerung gewesen, die sich aber sicher hätte ausbügeln lassen. Hat er aber nicht und muss mit den Folgen umgehen, wozu neben arbeitsrechtlichen meinetwegen gern auch eine Anzeige wegen Körperverletzung gehören darf. Auch das Konzept, niemand habe jemals Konsequenzen zu tragen für sein Handeln und Nicht-Handeln, weil: Gesellschaft halt und so, machste nix, stößt mitunter an Grenzen.

Man kann es unter persönlicher Tragik verbuchen, dass sich, auch wenn man wie ich mit Tanztheater nichts am Hut hat, über Goeckes bisheriges Schaffen durchaus Positives sagen lässt: Der Mann hat rein quantitativ ein beeindruckendes Oeuvre herausgehauen (Fleiß - nach wie vor relevant in bourgeoisen Kreisen) und redet ansonsten auch durchaus klug und, vielleicht branchentypisch grenzegoman, doch keineswegs unsensibel oder rabiat daher. Dennoch, er wird auf weithin unabsehbare Zeit der Hundekackemann bleiben, und das zu recht.

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"Alles, was ist, endet." (Wagner)


Möglicherweise ist das Aufsehen, das die Causa Goecke auch international hervorgerufen hat, nicht bloß Ekel geschuldet oder dem vollauf berechtigtem Mitgefühl für das Opfer oder vielleicht auch einer klammheimlichen, sich hinter Empörung versteckenden Faszination für eine ultimative Grenzüberschreitung. Es könnte auch etwas aussagen darüber, dass eine allein auf Tabubruch, bzw. auf Brechen mit hergebrachter Wahrnehmung fußende künstlerische Moderne inzwischen ihren Zenit überschritten hat und mit ihr auch der Typus des exzentrischen Bohemiens mit TVÖD-Arbeitsvertrag.

Nun wird die so genannte Metoo-Debatte von mir weitgehend kritisch gesehen. Vor allem wegen ihrer zuweilen absurden Entgrenzung, sodass ein dummer Witz in der gleichen Kategorie landet wie eine vollzogene Vergewaltigung. Aber sie hat auch ihre guten Seiten. Sie beschleunigt das Ende der unhinterfragten Autorität des unantastbaren Künstlertyrannen, der sich ungestraft benehmen kann wie offene Hose, gegen nach Gutdünken verteilte Wohltaten anderen in der Seele herumtrampeln oder an die Wäsche gehen kann und deswegen noch von eigentlich antiautoritär Eingestellten in Schutz genommen wird. Wenn das so sein sollte, ist das nichts, dem ich nachtrauern würde.

Die wahren Provokateure sitzen eh längst woanders. Die Grenzen des Denk- und Sagbaren dehnen inzwischen rechte Hetzer bei Twitter und anderswo aus. In den Theatern sitzt ein routiniertes Publikum, das kaum noch mit etwas zu provozieren ist, das nicht im StGB vorkommt. Der kluge Harald Schmidt gab letztens der 'Süddeutschen' ein Interview, in dem er sagte, sich selbst als irre radikal verstehende Theaterleute verwiesen, wenn das Haus mal wieder gähnend leer sei, gern darauf, ihr Theater sei den Abonnenten im Parkett halt zu radikal. Auf die Idee, dass es auch einfach langweilig sein könnte, kämen sie hingegen nicht.







3 Kommentare:

  1. "das Ende der unhinterfragten Autorität des unantastbaren Künstlertyrannen, der sich ungestraft benehmen kann wie offene Hose, gegen nach Gutdünken verteilte Wohltaten anderen in der Seele herumtrampeln oder an die Wäsche gehen kann und deswegen noch von eigentlich antiautoritär Eingestellten in Schutz genommen wird. Wenn das so sein sollte, ist das nichts, dem ich nachtrauern würde."

    Hmm — da habe ich noch 2 Beispiele für dich zur gefälligen Bewertung:
    Rainald Goetz erregte beim Ingeborg Bachmann Preis 1983 Aufsehen durch einen spektakulären Auftritt, bei dem er sich mit einer Rasierklinge an der Stirn verletzte und mit blutüberströmtem Gesicht seinen Text verlas.

    Christof Schlingensief wurde im August 1997 während seiner Kunstaktion Mein Filz, mein Fett, mein Hase auf der documenta X in Kassel von der Polizei festgenommen, nachdem er mit Unterstützung von weiteren Aktivisten mehrere Schilder mit der Aufschrift „Tötet Helmut Kohl“ öffentlich präsentiert hatte, dazu skandierten die Teilnehmer diese Aufforderung durch Megafone und Lautsprecher. Er rief auch „künstlerisch“ dazu auf, den FDP-Politiker Jürgen Möllemann zu töten.

    Gruß
    Jens

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  2. Hm, Goetz hat ja damals nur sich selbst verletzt, da kann er machen, was er will. Und Schlingensief - nun ja. Als ich in dem Alter war, fand ich die "Tötet Helmut Kohl!"-Aktion schon irgendwie witzig. Aber auch er hat ja meines Wissens nicht in vergleichbarer Weise keinen anderen geschädigt.

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  3. Das ORF-Radio-Symphonieorchester darf nicht sterben.

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