Sonntag, 26. März 2023

Jenseits der Blogroll - 03/2023

 
So denn, wieder Zeit für die Links und Fundstücke des Monats, liebe Lesende. Fast wäre ja hier ein Beitrag zur Causa Nagelsmann erschienen. Der Umgang der Bayern-Supremos damit hat die ohnehin niedrig liegende Latte im Anstandslimbo bei dem "Scheißverein" (Frege/van Dannen) von der Säbener Straße noch einmal niedriger gelegt. Man sieht sich inzwischen offenbar nicht mehr bemüßigt, wenigstens den Anschein zu wahren, dass alle ihr Gesicht behalten. Okay, Mitleid ist unangebracht, denn Nagelsmann wird sich seinen vorzeitigen Abgang versilbern lassen und nicht Gefahr laufen, beim Jobcenter eine Nummer ziehen zu müssen. Weil meine restlichen Gedanken aber mehr unoriginell waren, bitte im Sportteil bei Herrn Rüttenauer weiterlesen.

Politik/Ukraine. Jan C. Behrends betrachtet Russland als "ein in Auflösung befindliches Imperium".

Gerd Koenen nennt Russlands Ukraine-Kampagne im Interview ein "Armutszeugnis".

"Russland hat in den letzten Jahrhunderten nahezu jeden Krieg verloren, wenn der Gegner nicht zuvor auf Moskau marschiert ist, wie Napoleon und Hitler das taten. Das ist ein Hauptgrund, warum Putin sich keinen Rückzug leisten kann, sondern für irgendeinen Pseudo-Sieg immer noch mehr Menschen und Material in diese sinnlose Schlacht werfen muss: Einheiten mit hastig ausgebildeten Soldaten, die kaum mehr als Kanonenfutter sind. Es fehlt an fähigen Ausbildern und kompetenten Offizieren. Seine Armee ist ähnlich korrupt wie zur Zarenzeit -- und mindestens so inkompetent." (Koenen, a.a.O.)

Umair Haque meint, dass vielen Briten erst jetzt wirklich klar wird, was sie sich mit dem 'Brexit' eingehandelt haben.

Eine beliebte neoliberale Erzählung geht so: Unter Jimmy Carter waren die USA zu einem quasisozialistischen Failed state geworden, dann kam Ronald Reagan und entfesselte mutig die Kräfte des freien Marktes. Das ist Unsinn. Der eigentliche Liberalisierer war Carter. Reagan setzte sich im Prinzip ins gemachte Nest und schmückte sich mit den Erfolgen.

Cory Doctorow über enshittification am Beispiel TikTok. Hier ergeht Lesebefehl. Weil hier sehr gut erklärt wird, wieso zum Beispiel Amazon-Kunden, die glauben, von was zu profitieren, keine Kunden, sondern längst zur Ware geworden sind. 

Nikolaus Gietinger über Elon Musk und Technik als Religion.

Svenja Flaßpöhler fragt, wo Täter-Opfer-Umkehr beginnt.

Lucius Teidelbaum analysiert das Phänomen Boris Palmer.

Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Und Peer Schader das Phänomen Dieter Nuhr.

"Man kann das kabarettistische Tradition nennen, nur eben ausnahmsweise nicht von Links; zur Wahrheit gehört aber auch, dass Nuhrs Kleinkunst nur durch das absichtliche Weglassen jeglicher Form von Differenzierung funktioniert, getrieben von der Sehnsucht nach einem Früher, das vielleicht nicht besser, aber wenigstens einfacher war. Als Minderheiten die Klappe gehalten und die Mehrheit nicht mit ihren vermeintlichen Empfindsamkeiten belästigt haben." (Schader, a.a.O.)

Und wer die vom ZDF Magazin Royale produzierte Parodie 'Nuhr im Zweiten' noch nicht gesehen hat, kann das hier an Ort und Stelle nachholen, wenn gewünscht. (Mir hat übrigens besonders gefallen, wie gegen Ende der eloquenten Scheinriesin Lisa Eckart die Luft herausgelassen wird.)


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Fefe erklärt, warum fast alle Star Trek-Serien nach DS9 nix taugen.

Musik. Elizabeth Zharoff alias 'The Charismatic Voice' war hier schon vor einiger Zeit vertreten. Ihre Reaktion und ihre unglaublich detaillierte Analyse des Led Zeppelin-Klassikers 'Whole Lotta Love' (hier die unkommentierte Version) werfen einige Fragen auf: Ist Robert Plant der beste Sänger aller Zeiten? Ist Jimmy Page der beste Gitarrist aller Zeiten? War John Bonham der beste Drummer aller Zeiten? War Led Zeppelin nicht überhaupt die beste Band aller Zeiten? Und ist Liz eventuell ein ganz kleines Bisschen verliebt?


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Sport. Wem wie mir seit einigen Jahren mehr und mehr die Liebe zum Fußball irgendwie abhanden gekommen ist, dem sei dieser Podcast (32 min.) dringend ans Herz gelegt, in dem Juan Moreno sich mit Christoph Biermann ('11freunde') über den modernen Fußball unterhält. Biermanns Buch 'Um jeden Preis' ist übrigens auch sehr zu empfehlen.

Der aus München stammende Andreas Rüttenauer geht hart mit dem FC Bayern ins Gericht.

"Und dann ist da dieser unerträgliche Anspruch der Bayernführung, immer, am besten an jedem Spieltag der Bundesliga, die Nummer eins im Land zu sein. Gerade einmal vier Tage hat man es an der Säbener Straße in München ausgehalten, nach dem 25. Spieltag mit einem Punkt Rückstand hinter Borussia Dortmund auf Platz zwei zu stehen. Es mag ja sein, dass das Sportvorstand Hasan Salihamidžić und Vorstandschef Oliver Kahn schlaflose Nächte bereitet hat, aber gleich die Notbremse zu ziehen, als stünde man nach zehn sieglosen Partien am Rand des Abgrunds, das darf man getrost als irrsinnig bezeichnen." (Rüttenauer, a.a.O.)

Essen/Trinken/gut leben. Jürgen Dollase, dessen Blog ich erst kürzlich entdeckt habe, stellt die nicht unberechtigte Frage, ob Vegetarier und Veganer uns auf den Weg zur künstlichen Ernährung bringen. Das ist kein Veggie-Bashing, sondern eine wirklich ernste Frage. Auch sonst ist da viel Lesenswertes. Weil es nicht nur um Texturen und Hochküche geht, sondern auch um Brauhausküche und man sich auch vor Gevatter Mäckes nicht bangemacht.

Ralf Bos über Foie gras.

Kochgenosse Michael Langoth hat sich schon vor längerer Zeit an dem Humbug mit dem vorauseilenden Gehorsam bei Speisetabus abgearbeitet.

Das Rezept. Die meisten haben es vermutlich schon mal gegessen. Das berühmt-berüchtigte Schlemmerfilet à la Bordelaise. Gefrosteter Vierkantfisch mit leider geiler Kruste. Dessen Geschichte wird meist so erzählt: Die Firma Iglo, Schwesterfirma des TK-Pioniers und Fischstäbchenerfinders Bird's Eye, soll das in den 1960ern entwickelt haben, um die Deutschen zum Kauf von Tiefkühlkost und zum Fischverzehr zu animieren. Um dem neuartigen Produkt einen Hauch von weiter Welt und Feinschmeckertum zu verpassen, dachte man sich die Bezeichnung 'à la Bordelaise' aus. Die aber der Phantasie entsprungen ist und in Frankreich was ganz anderes bedeutet.

Die gern erzählte Ableitung geht dann folgendermaßen: Konfrontiert man Franzosen damit, dass Deutsche so was ernsthaft essen und für eine französische Spezialität halten, erntet man Reaktionen zwischen Befremden und Belustigung. Ah, les allemands mal wieder! Autos bauen können Sie, aber wenn's ums Essen geht -- mon Dieu! Da sind sie halt irgendwo zwischen Neandertal und Hägar dem Schrecklichen stehen geblieben. Darauf dann distinguierte deutsche Wannabe-Gourmets so: "Also, dieser Schrott ist in Frankreich komplett unbekannt. Kein Franzose würde das überhaupt anrühren! Die lachen sich kaputt darüber!"

Ähhh... Nein. Zumindest gibt es interessanterweise auch eine französische Variante der Entstehungsgeschichte:

"According to Papilles & Pupilles, a well-regarded French cooking site, the dish was the invention of an employee working in the kitchens of the Findus frozen food company at Boulogne-sur-Mer, which lies on the northern coast of France just south of Calais, about 500 miles from Bordeaux. This was back in 1966. The company was seeking to expand its line of fish dishes and named it ‘à la bordelaise‘ for marketing purposes, to make it sound like authentic country cooking. [...] Soon children across the country were being served poisson à la bordelaise in their school cafeterias. This history was provided to Papilles & Pupilles by a reader named Renaud who said that the dish evoked such strong culinary memories for him that it was almost like Proust’s madeleine." (Meg Bortin)


Auf gut Deutsch: Der in Alu und neuerdings in Pappe eingesargte Rechteckdorsch ist auch in Frankreich sehr wohl bekannt, wurde sogar da erfunden, wird unter gleichem Namen vermarktet und ist bei dortigen Kindern, wie es heißt, durchaus beliebt bzw. weckt er mitunter heftige Kindheitserinnerungen. Also im Prinzip alles wie bei uns. Heißt nur nicht 'Schlemmerfilet', sondern 'Poisson à la Bordelaise'. Und wer das nicht glaubt: Bei der größten französischen Supermaktkette kann man das auch online bestellen. Oder selbst machen.







15 Kommentare:

  1. Bei Kastenfisch muss ich immer an "L'aile ou la cuisse" (F1976) denken. Toller Soundtrack übrigens.

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  2. Russland stationiert Atomwaffen in Belarus, also unmittelbar an der NATO-Grenze. Sollten wir uns diese Provokation gefallen lassen oder präventiv einmarschieren, bevor die Waffen dort ankommen? #Kuba 2.0 #Putinlogik

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    1. Lieber den Zündknopf drücken.
      Asche zu Asche

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    2. Am Fliegerhorst Büchel sind nach wie vor 20 Atomsprengköpfe stationiert. #Jupiter1959 #Türkei

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  3. "Der in Alu und neuerdings in Pappe eingesargte Rechteckdorsch …"
    ... solche Beiträge können einem die ganze Woche retten!
    (wie kommt der blos auf sowas?)

    Gruß
    Jens

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  4. Die Deutschen lieben die Franzosen, aber sie respektieren sie nicht.
    Die Franzosen respektieren die Deutschen, aber sie lieben sie nicht.
    (Fragt besser nicht, was die Schweizer über Deutsche denken...)

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  5. @ A. Hüssy:
    das einen niemand gut leiden kann, kommt davon, dass man seit 1864 ein paar Kriege zuviel gegen die Nachbarn geführt hat. Als Spanier, Grieche oder Serbe fände ich die Deutschen evtl. ganz OK.

    Gruß
    Jens Graumann

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    1. Lieber Hr. Graumann
      "Serbien muß sterbien"

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    2. Ja, dass die Ösis ihre deutschen Nachbarn nicht gut leiden können kommt gewiss vom Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866, eh klar ;)

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  6. Zu Led Zeppelin: Beim Video bin ich stutzig geworden. Statt auf Hängetoms beginnt das Drumsolo auf Shimo Taiki, japanischen Trommeln. Die hören sich sehr trocken an.

    Liz ist nicht nur ein wenig verliebt, sondern scheint regelrecht vor Begeisterung zu schäumen.

    Dazu gebe ich noch eine zufällig gefundene Netzperle:
    https://youtu.be/42NkcbsVykc?t=88

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    1. Nachtrag: Der beste Keyborder aller Zeiten:

      https://youtu.be/WV-gddts3I0?t=161

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    2. Uh, da könnte man jetzt über die Frage 'Rick Wakeman oder Jon Lord?' Kriege anzetteln. Bei Yes kommt erschwerend hinzu, dass ich ein großer Verehrer der Arbeit von Patrick Moraz auf 'Relayer' bin, vielleicht das beste Yes-Album aller Zeiten.

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  7. Gruselig, wie nah die Nuhr-Paodie am Original ist.

    Die größte Kunst von Lisa Eckhart besteht darin, ihre Fans glauben zu lassen, sie mache so etwas Ähnliches wie Gerd Dudenhöffer, während sie in Wirklichkeit so etwas Ähnliches macht wie Chris Tall.

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  8. Der Link zum Bayern-Kommentar führt nicht zu dem zitierten Text. Dieser findet sich hier: https://taz.de/Trainerwechsel-bei-Bayern-Muenchen/!5921315/

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