Mittwoch, 29. März 2023

Verwöhntes Pack!

 
Aus aktuellem Anlass sollte man beizeiten daran erinnern, dass das Streikrecht das einzige echte Druckmittel ist, über das Arbeitnehmer in Deutschland verfügen. Solange für die meisten die Alternativen zum aktuellen Job Arbeitslosigkeit oder schlechter bezahlte Jobs sind, zählt nämlich 'einfach kündigen und besseren Job suchen' nicht als Alternative und sitzt das Kapital immer am längeren Hebel.

Im Gegensatz zu anderen Ländern ist das Streikrecht in Deutschland eh schon sehr eingeschränkt. Ein Generalstreik als politischer Streik ist zwar nicht explizit verboten, aber de facto kaum machbar, da nicht vom Streikrecht gedeckt. (Fun fact: Ein Generalstreik hat 1920 entscheidend dazu beigetragen, den Kapp-Lüttwitz-Putsch zu beenden. Aber das waren ja auch keine Linken, die da versuchten zu putschen.) Für Streiks im eigentlichen Sinne gibt es hohe Hürden. Sie sind nur erlaubt, wenn die Friedenspflicht nicht gilt, Verhandlungen und mehrere Schlichtungsversuche gescheitert sind und sich in einer Urabstimmung genügend Gewerkschaftsmitglieder für einen Streik ausgesprochen haben.

Jetzt hat der Öffentliche Dienst mal einen Tag lang das Arbeiten eingestellt, wohlgemerkt im Rahmen eines Warnstreiks, und schon wird von entsprechend Interessierten und deren medialen Büchsenspannern gleich der Untergang des Abendlandes herbeibramabasiert. "Unverhältnismäßig!", "Am Rande des Generalstreiks!", wird da gemoppert.

Tja, was soll man dazu noch sagen, wenn man berücksichtigt, dass die Deutschen grosso modo ohnehin nicht so die großen Streiker sind. Dass hierzulande jährlich im Schnitt gerade mal 16 Tage pro Jahr und 1000 Beschäftigte durch Streiks verloren gehen (zum Vergleich: In Frankreich sind es 150)? Außer "verwöhntes Pack!" bleibt da eigentlich nicht viel.

Jede Drecksklitsche in diesem Land, ob sie nun Waren oder Dienstleistungen anbietet, hat es in den vergangenen gut zwölf Monaten angesichts knapp 8 Prozent Inflation im Jahresmittel zu großer Meisterschaft darin gebracht, gestiegene Kosten - leider, leider und nur unter allergrößten Schmerzen, versteht sich - an die zwangsweise blechende Kundschaft weiterzugeben, bis hin zu hundertprozentigen Preissteigerungen, wenn nicht noch mehr. Jaja, es wird halt alles teurer, kann man nix machen.

(Ja, unter denen, die verteuert haben, waren auch wackere Gastronomen und Bäcker, die anders vor die Hunde gegangen wären, ich weiß. Aber wieso nicht z.B. Energiekonzerne, die sich im Krisenjahr 2022, auch dank massiver staatlicher Hilfen, goldene Nasen verdient haben, dazu vergattern, angesichts längst wieder auf Vorkriegsniveau befindlicher Gaspreise wenigstens die gezahlten Hilfen wieder abzudrücken? Notfalls über eine Übergewinnsteuer, die, wie man hört, in anderen Ländern ganz gut funktioniert.)
 
Und wenn jetzt Arbeitnehmer angesichts drastisch gestiegener Verbraucherpreise wenigstens einen Inflationsausgleich wollen (merke: alles unter 7,9 Prozent p.a. bedeutet Realeinkommensverlust, vulgo: Draufzahlen, Steuerprogression netterweise nicht berücksichtigt), dann ist das aber mal so was von unangemessen, wenn nicht gar gierig. Soso.

"Wie würden die Besitzer der großen Vermögen reagieren, wenn ihr Geld derart schmelzen würde? Wo schon der Plan einer minimalen Finanztransaktionssteuer für maximalen Stress bei ihnen sorgt. " (Nils Minkmar)

Eben. Und von der eh schon skandalösen Ungleichheit der Einkommensverteilung, die durch die Inflation noch mal einen richtigen Turbo gezündet hat, war noch gar nicht die Rede.

"Die heilige Arbeit, auf die die Kinder direkt nach der zweiten Klasse Grundschule hin vorbereitet werden, führt [...] in diesen Verhältnissen nicht zur versprochenen materiellen Autonomie. Der Lohn der Mühen stellt sich einfach nicht ein, wenn man Kinder hat, ein Fahrzeug braucht und Miete zu zahlen hat. Wer sich darüber beschwert, ruiniert die gute deutsche Stimmung, und wer zum Arbeitskampf aufruft, noch viel mehr. »Was macht der Streik am Montag Ihnen kaputt?«, fragt die Boulevardzeitung ihre Leser, die einst davon lebte, dass Arbeiter sie morgens auf dem Weg zur Schicht lasen. Dass eine Störung ungerechter Verhältnisse ein erster Schritt zur Besserung ist, dass nichts von dem, was heute das gute Leben in Deutschland ausmacht, ohne Kampf erreicht worden ist, all das klingt inzwischen wie ein Sakrileg, denn längst ist das Bewusstsein, in der besten aller möglichen Arbeitswelten zu leben, Teil unserer Kultur: So ein Streik ist einfach nicht nett." (Minkmar, a.a.O.)

Also, wenn ich das Kapital wäre, ich würde langsam darüber nachdenken, zumindest ein wenig mehr zu zahlen. Ich meine, wenn schon die bourgeoise Presse anfängt, die herrschenden Verhältnisse infrage zu stellen und die Deutschen ihre Liebe zum Streik entdecken, uiuiui.






3 Kommentare:

  1. Das Traurige ist vielleicht, dass den BeamtInnen das Ergebnis übertragen wird. BeamtInnen sind keine Tarifbeschäftigte
    Der Streik ist mit das Einzigste, was ArbeitnehmerInnen bleibt, wohl wahr

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    1. Bekannter von mir ist Beamter (Lehrer) und GEW-Mitglied. Aus Solidarität, wie er sagt, weil die streikberechtigten Kolleg*innen ihm die Prozente erkämpfen. Darf gern Schule machen (no pun intended).

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  2. Die Verbeamtung bei der Post Telekom und Postbank ging bis zur letzten Sekunde vor der Privatisierung, fünf Minuten später Frühpensionierung

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