Sonntag, 28. Mai 2023

Schwarzgelbe Trauer

 
Wenn man wie ich fußballaffin, aber nicht bereit ist, sein sauer verdientes Geld einem PayTV-Sender in den gierigen Rachen zu schaufeln, ist man spieltags entweder auf das Radio angewiesen oder den Liveticker des 'Kicker' (weil ich meinen Blutdruck ein wenig im Auge behalten muss, wähle ich meist letzteren). Und da gab es bis zur heurigen Rückrunde an jedem Spieltag der Bundesliga ein lieb gewonnenes Ritual: Spätestens nach zehn Minuten meldete sich die Kicker-App und gab ein Gegentor gegen Dortmund bekannt. An guten Tagen bekamen die Schwarzgelben das ausgeglichen, an besseren drehten sie das noch, an schlechten nicht.

Tja, und gestern war es wieder da, das alte Gefühl. Dingdong! 15. Minute: Dortmund nulleins. Déjà-vu. Sie haben es nicht mehr umgebogen, am Ende hatte, wie so oft, der FC Bayern das bessere Ende für sich. Sogar Thomas Müller, wohl einer der letzten aus diesem Vereinsgebilde, bei dem zeitweise Reste an Anstand bemerkbar sind, räumte mehr oder weniger indirekt ein, dass der diesjährige Titel sich irgendwie nicht richtig anfühle. Immerhin.

Sicher, man kann darauf hinweisen, dass dieser Club damit seinen Ruf als Evil Empire, als Todesstern der Bundesliga weiter zementiert hat. Dass der FC Bayern ein Verein ist wie eine verunglückte Kreuzung aus Dieter Bohlen und Robert Geissen, wie einer dieser ältlichen Sonnenbankstrizzis, die sich in etwas zu enge 'Camp David'-Klamotten quetschen, sich überall benehmen wie offene Hose und sich beklagen, dass sie nicht geliebt und bewundert werden für ihr neureiches Gepluster. Kann man tun, hilft aber nichts. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass es noch nie so einfach war wie diese Saison, sie zu schlagen.

"Was sollen die Bayern denn noch anbieten? Ihre Fehlerliste in dieser Saison ist lang: Eine Kaderplanung, die keinen zentralen Stürmer vorsieht. Der Kauf eines Weltstars aus Liverpool, für den es keine Verwendung gibt. Ohrfeigen in der Kabine. Eine instabile Defensive. Ein tief getroffener Kapitän, der sich in einem Interview über die Kälte seines Vereins beklagt, seinen Coach und Trauzeugen vor die Tür zu setzen. Eine bizarre Trainerentlassung. [...] Zudem fehlten den Bayern in der gesamten Rückrunde der beste Abwehrspieler, Lucas Hernández, sowie der überragende Tormann Manuel Neuer. Zuletzt traute sich sogar ein Schiedsrichter in München zwei Elfmeter sowie ein umstrittenes Tor für die Gäste zu geben.“ (Oliver Fritsch)

Auch sonst hilft hadern da nicht. Als Sportsmann tut man gut daran, sich an BVB-Trainer Terzic zu halten, der den Bayern gratulierte und darauf hinwies, dass eine Saison erst nach 34 Spieltagen entschieden sei. Wer Meister werden will, könnte man ergänzen, kann vielleicht gegen den FC Bayern verlieren, sollte dann aber wenigstens gegen Werder Bremen und den VfB Stuttgart gewinnen. Und es bringt auch wenig bis nichts, gegen Schiedsrichter Stegemann zu wettern, der einen klaren Elfmeter gegen Bochum nicht gegeben hat, wenn man andererseits gegen Köln eine 1:0-Führung vertändelt, gegen Gladbach 2:4 vergeigt und in Wolfsburg über ein 0:2 nicht hinauskommt. Chancen, den Sack frühzeitig zuzumachen, waren schon da.

Dass ausgerechnet Sébastien Haller den Elfmeter im finalen Heimspiel verschoss, ist vielleicht symptomatisch für das Kernproblem dieses BVB: Man ist durchaus in der Lage, berauschend zu spielen, vielleicht den mitreißendsten Fußball der Liga, aber wenn es drauf ankommt, in Momenten, in denen Champions gemacht werden, fehlt es regelmäßig an Kaltschnäuzigkeit und Abgezocktheit. Und das sind zwei Eigenschaften, über die der FC Bayern nun einmal im Übermaß verfügt und die ihm auch in mittelmäßigen Jahren noch die Meisterschaft retten. Immerhin, dies mag als schwacher Trost dienen, haben sie in Dortmund jetzt einen Trainer, dem man zutrauen kann, dass er dieses Problem vielleicht in den Griff kriegt.

Und nein, man sollte dieses Mal auch die Nummer mit dem 'Bayern-Dusel' im Schrank lassen. Dass der FCB in Köln gewinnen würde, war zu erwarten und kam auch letztlich nicht wirklich überraschend. Hätte die Bammel Vorm Ball Dortmund KGaA es im eigenen Stadion geschafft, einen glanzlosen, lumpigen 1:0-Beamtenkick gegen Mainz über die Zeit zu schaukeln, dann hätte den Bayern aller Dusel der Welt nichts genutzt. Hätte, hätte.

Erst recht wäre es erbärmlich, Mainz 05 jetzt als Spielverderber zu schmähen. Bo Svensson hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, es sei ihm zwar unangenehm und es täte ihm leid für die Dortmunder, aber sein Job sei es nun einmal, den FSV Mainz jederzeit bestmöglich auftreten zu lassen. So reden Profis. Die Partie einfach herzuschenken, etwa durch Einsatz eines C-Kaders, wäre erst recht unsportlich gewesen und hätte einem Dortmunder Meistertitel, so es denn dazu gekommen wäre, ein ungutes Geschmäckle gegeben.

Natürlich waren die Erwartungen in Dortmund hoch, vielleicht zu hoch hier und da. Aber wer will das nach zehn Jahren des immer wieder Scheiterns ernsthaft verübeln? Das höhnische "Loser, sollen aufhören zu jammern!"-Geplatsche einiger - wohlgemerkt: nicht aller! - Bayern-Fans richtet sich selbst. Passt wunderbar zum sonstigen, menschlich zutiefst erbärmlichen Gebaren, das dieser Laden heuer in bislang nicht gekannter Offenheit an den Tag legte. Sicher, Profifußball ist kein Streichelzoo, aber dieser Abgrund an Niedertracht, dazu diese erbärmliche Rumlügerei, das ist sogar für das knallharte Fußball-Business ungewöhnlich. Schon wie der verletzte Manuel Neuer, seit 2011 beim Verein und mit den Strukturen gut vertraut, dazu ein Vollprofi und noch nie als Heulsuse aufgefallen, sich über den Umgang mit ihm beklagte, ließ aufhorchen.

Man kann sich schon fragen, was eigentlich noch passieren muss, damit die Bayern nicht Meister werden, und sei es nur ein Mal. Eine großartige Saisonschlussphase des BVB und ein FC Bayern, der labil war wie in Jahrzehnten nicht, haben jedenfalls nicht gereicht. Es geht mir übrigens nicht einmal darum, dass unbedingt Dortmund gewinnen muss, obwohl ich mir das natürlich wünsche als alter Schwarzgelber. Nein, einfach mal nicht die Bayern reicht vollauf. Sogar ein Titel einer Unsympathentruppe wie die Leipziger Brausedosen oder die Leverkusener Pillendreher wäre inzwischen willkommen.

Doch gibt es auch Grund zur Freude. Etwa darüber, dass okaye und sympathische Vereine wie Union Berlin und SC Freiburg weiter international kicken und dass der VfL Bochum, das Gallische Dorf von der Castroper Straße, weiter erstklassig spielt. Und der FC Herne-West? Für den geht es wieder einmal eine Etage tiefer. Ich sollte schadenfroh sein, aber ich finde, die Fans haben besseres verdient.






3 Kommentare:

  1. Respekt vor den Dortmunder Fans. "In guten wie in schlechten Zeiten", so haben wir es damals alle vor dem Altar geschworen. Der Meister aus Mordor zerlegt sich derweil selbst. Wer will schon Bayern-Fan sein?

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  2. Ich war eigentlich nie an Fußball interessiert, erst in dieser Saison hab ich öfter mal hingeschaut, weil die Chance bestand, dass Bayern mal NICHT gewinnt. Wider nix, shit happens!

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  3. Ja nun. Ich würde da einfach mittlerweile eher von einem strukturellen Problem anstatt von Dusel oder sonst was ausgehen. Aber solange das für Fußballfans kein Problem darstellt, kann es ja so langweilig wie in den letzten Jahrzehnten weitergehen.

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