Samstag, 5. August 2023

Sommerloch: In die Lehrermangel genommen


Kann natürlich sein, dass ich mich da täusche, aber in Deutschland scheint es mitunter einen Hang zu geben, exakt das Gegenteil von dem zu tun, was rational und vernünftig wäre.

Viele amerikanische Unternehmen haben das seit Urzeiten kapiert und perfektioniert: Der wahre Segen liegt nicht im Verkaufen allein, sondern vor allem auch im Beschwerdemanagement. Klug ist es daher, die besten, talentiertesten Verkäufer nicht nur ins glamoröse Scheinwerferlicht der Verkaufsräume zu stellen, sondern sie, ordentlich geschult und bezahlt, versteht sich, Reklamationen bearbeiten zu lassen. In deutschen Unternehmen dagegen, in 'traditionellen' zumal, scheint Reklamationsabwicklung immer noch eine Strafarbeit für Unbegabte zu sein, die irgendwelchen Mist gebaut haben.

Ich tippe mal auf folgendes: Der Erfolg von, sagen wir, Amazon, ist nicht allein der Bequemlichkeit geschuldet, die der Laden bietet (die ja, nebenbei, oft gar keine ist, sondern eine gefühlte; zwar muss man nicht mehr in einen Laden, dafür zur Post, wenn man keine aufmerksamen Nachbarn mit Tagesfreizeit hat, auch Retouren sind u.U. umständlich) oder der ausgefuchste Algorithmus ("Kunden, die XX gekauft haben, kauften auch XY"). Nein, ich glaube, es ist vor allem der hochprofessionelle Kundendienst. Muss ich auch als Ex-Kunde mit einschlägigen Erfahrungen neidlos anerkennen.

In vielen Schulen sieht es eigentlich nicht anders aus. Einem John F. Kennedy zugeschriebenen Bonmot zufolge muss, was heute nicht in Schulen und Bildung investiert wird, zwanzig Jahre später mehrfach in Strafverfolgung und Gefängnisse gesteckt werden. Anders gesagt: Je mehr junge Menschen die Schulen ohne Abschluss und Perspektive verlassen, desto mehr Probleme schafft man sich in der Zukunft. 2017 waren das über 50.000, Tendenz steigend.

Fragen Sie mal Leute, die irgendwo im Bildungswesen arbeiten. Nicht wenige werden sagen, das Wichtigste sei, sich als erstes einen gesunden Zynismus zuzulegen. Nicht wegen der Schüler, sondern wegen der salbungsvollen Sonntagsreden. In denen immer die Rede ist von Bildung als wichtigster Investition in die Zukunft, von den Köpfen unserer Kinder als größtes und einziges Kapital. Um dann am Montag drauf  zu erfahren, dass mal wieder Mittel zusammengestrichen werden.

Inzwischen gibt es da noch ein Problem: Den grassierenden Lehrermangel. 40.000 fehlen inzwischen. Vor allem an Grund- und Hauptschulen. Diejenigen, die noch Lehramt studieren, knubbeln sich vornehmlich an Gymnasien. Lehrer zu sein, ist stressig genug, da ist es verständlich, wenn man nach einer Perspektive sucht, möglichst wenig Stress mit der zukünftigen Zielgruppe zu bekommen. Zumal Gymnasiallehrer immer noch deutlich besser besoldet sind. In NRW kassiert man am Gymnasium knapp 20 Prozent mehr als an der Grundschule.

Dann wäre da bei den Grund- und Haupt- bzw. Sekundarschulen noch das Gefälle zwischen Schulen in im weitesten Sinne bürgerlichem Einzugsgebiet und so genannten 'Brennpunktschulen'. Bei denen sieht es ganz finster aus. Es gibt Schulen in Berlin, an denen inzwischen nicht mehr nur Quereinsteiger arbeiten, sondern auch Fachkräfte ohne jeden pädagogischen Hintergrund. Jeder, der mal irgendwie eine Uni von innen gesehen hat, richtig herum vor der Klasse steht und weiß, dass ein Stück Kreide nichts zum Essen ist, darf inzwischen unterrichten. Wer 'Fack juh Göhte' unglaubwürdig findet, sollte vielleicht noch Mal genauer hinschauen.

Oliver Welke brachte es auf den Punkt: Exakt so zementiert man Ungleichheit. (Wenn man mal Interesse hat.)

 
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Eigentlich wäre es doch nur rational, die fähigsten und besten Pädagogen jedes Jahrgangs an die so genannten Brennpunktschulen zu schicken, diese ordentlich auszustatten und die Pädagogen entsprechend zu bezahlen. Denn da zeigt sich, was jemand kann. Aber da ist das deutsche Bildungsbürgertum vor. Dem ist fast alles egal, so lange bloß das Gymnasium bestehen bleibt und das sich über Grundschulbezirke einen lacht. Weil es seinen Nachwuchs eh längst an private Grundschulen schickt (deren Anzahl, honi soit qui mal y pense, auf einem Allzeithoch ist). Persönlich hat man ja nix gegen Fatme und Ahmed, aber die eigenen Kinder sollen halt die bestmögliche Förderung bekommen. Muss man verstehen. Naja und die auf den Brennpunktschulen sind schließlich auch ein ganz klein bisschen selbst schuld, wenn man mal ganz ehrlich ist, oder?

Vielleicht ist der Lehrerberuf auch einfach nicht mehr so attraktiv wie einst? Trotz vergleichsweise üppigem Gehalt und einigen Privilegien? Könnte es sein, dass man bei Schulaufsichtsbehörden und in den zuständigen Ministerien immer noch ein wenig zu sehr daran gewöhnt ist, sich die künftigen Lehrerinnen und Lehrer aussuchen zu können aus einem riesigen Überangebot ('Lehrerschwemme') und nach Gutdünken aussieben zu können?

Vielleicht müsste man Undenkbares tun: Die Lehrerausbildung wirklich professionalisieren, viel mehr unabhängige Experten mit einbinden, anstatt Lehrerseminare als Black Boxes zu betreiben. Sich um die jungen Akademiker, die Lehrer werden wollen, ernsthaft bemühen, anstatt ihnen in einer zwei Jahre währenden Tortur namens 'Vorbereitungsdienst' in einer Tour die Hölle heiß zu machen, unter dem Vorwand, ihre Belastbarkeit testen zu wollen und ihnen vor allem mal beizubringen, kunstvolle Stundenentwürfe zu schreiben, die mit dem Schulalltag allenfalls am Rande zu tun haben.

Wie, dem ist nicht so? Ich übertreibe? Wieso sagen dann fast alle Lehrer, die ich kenne, und das sind nicht wenige, sie hätten damals nach dem zweiten Staatsexamen Jahre gebraucht, um quasi erst mal alltagstauglich zu werden (vielleicht kenne ich auch nur die falschen)? Wenn zwei Jahre Dauerstress im Referendariat ein so probates Mittel sind, die Belastbarkeit angehender Lehrer zu testen, wieso haben Lehrer die höchste Quote an Burnout-Patienten?

Und wenn das mit dem Personal an den Schulen mal halbwegs behoben ist, dann, nein am besten müsste gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass in Deutschland flächendeckend unter menschenwürdigen Rahmenbedingungen gelehrt und gelernt wird. Orte, in denen man sich wohlfühlt und arbeiten kann, keine Bruchbuden aus Kaisers Zeiten mit undichten Fenstern und unbenutzbaren Toiletten. Und in denen selbstverständlich auch die Lehrer anständige Arbeitsplätze haben und sich nicht im 21. Jahrhundert um einen halben Meter Tischplatte im Lehrerzimmer kloppen müssen.

Die besten Pädagogen an die verrufensten Schulen - eine schöne Vorstellung. Ein klein bisschen so wie von einem alt eingesessenen deutschen Unternehmen zu erwarten, sich um Kunden zu bemühen, anstatt zu glauben, das Pack würde schon Schlange stehen für die Gnade, einem was abkaufen zu dürfen. Und wenn nicht, dann kann man‘s ja immer noch auf die doofen, verwöhnten Kunden schieben. Oder auf das Internet. Wenn Jugendliche die Schulen ohne Abschluss verlassen, ist ja auch nie die katastrophale Schulpolitik schuld, sondern dass die Jugendlichen, wie Die Deutsche WirtschaftTM nicht müde wird zu betonen, halt immer dümmer werden. Und Smartphones haben.



Dieser Beitrag erschien hier zuerst am 25. September 2019 und wurde minimal gekürzt.




 

4 Kommentare:

  1. "salbungsvolle Sonntagsreden in denen immer die Rede ist von Bildung als wichtigster Investition in die Zukunft, von den Köpfen unserer Kinder als größtes und einziges Kapital."
    Also aus Verkäufersicht kann mein Kunde doch gar nicht doof genug sein. Und wenn ich dann einen Riesenanteil Deppen in einem Jahrgang habe, dann kann ich dem doch viel einfacher die Kohle aus der Geldbörse leiern(?).
    Ich muß nur schauen, das der Laden mit ein paar arbeitswilligen weiterläuft — Steuereinnahmen ... irgendwann schneiden wir uns halt gegenseitig nur noch die Haare und fahren uns gegenseitig die Billigklamotten und die Lebensmittel nach hause.

    Gruß
    Jens

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  2. Bei mir ist das Referendariat so lange her, dass es verklärt ist. Aber ich konnte damals sofort und problemlos einsteigen. Vielleicht ist das heute anders, oder eine Bundeslandsache; die Referendare und Referendarinnen an meiner Schule wirken meist ganz kompetent. Und die Seminarleitungen, die ich kenne, verlangen keine Kunststückchen. Im Moment klagen sie aber ein bisschen darüber, dass die Referendare und Referendarinnen sich nicht sehr anstrengen, keine ordentlichen Protokolle schreiben, weil sie wissen, dass sie eine sichere Stelle danach haben.

    Die Besten an die schwierigsten oder wichtigsten Schulen (also Grundschulen): ja. Wenn man da mehr Geld verdienen würde als am Gymnasium (in Bayern ist es deutlich! weniger), würde ich wahrscheinlich immer noch Gymnasium machen, aber wer weiß. Der Ansturm auf die Grundschule und die Auslese wäre höher, denke ich, oder besteht die Sorge, dass dann Leute aus den falschen Gründen diese Schulart wählen?

    >Die Lehrerausbildung wirklich professionalisieren, viel mehr unabhängige Experten mit einbinden, anstatt Lehrerseminare als Black Boxes zu betreiben.

    Was wären das für Unabhängige? Schützt nicht gerade Abhängigkeit und, ja, Bürokratie, vor Willkür?

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    1. Wenn im Moment über die Referendar:innen geklagt wird, kann ich nur sagen: Angebot und Nachfrage. Schweinezyklus.
      Ich will keineswegs bestreiten, dass es bei der Lehrerausbildung solche und solche gibt. Auch möchte ich dem Apparat zugute halten, dass sich inzwischen evtl. was geändert hat. Aber ich habe in meinem Umfeld bei etlichen mitbekommen, von denen einige auch ausgestiegen sind, dass sie die Bewertungen als pure Willkür und etwa die Hälfte der Seminarausbilder als überfordert/unmotiviert/unprofessionell erlebt und sehr unklar in ihren Erwartungen erlebt haben.
      Und wenn man nicht die Falschen anziehen möchte, hülfe es ja vielleicht, den Beamtenstatus für Lehrer:innen abzuschaffen (natürlich nicht rückwirkend)?

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  3. Siewurdengelesen7. August 2023 um 16:42

    Das kann ich vom Lehramtsstudium meiner Tochter nur bestätigen, dass es über die ganze Studienzeit inklusive Referendariat einige Vorgesetzte gab, die teils schikanös bei den Beurteilungen und Prüfungen mit den mehrheitlich Studentinnen umgegangen sind. Das Ganze hat oft einen sehr willkürlichen Eindruck gemacht bis zu solchen Punkten, dass sich teils selbst widersprochen wurde, Termine und Fristen mit enorm kurzen Fristen gesetzt wurden und das speziell in Prüfungsphasen völlig unnötig obendrauf gepackt wurde usw.

    Das ging selbst nach dem Referendariat noch weiter, indem das Kultusministerium die angehenden Lehrerinnen und Lehrer per Ausschreibung indirekt zwang, sich an anderen Schulen zu bewerben und dabei trotz des Lehrermangels sehr häufig nicht die Wunschschule oder die des Referendariats die spätere Arbeitsstätte wurde. Das hat ebenfalls einen sehr willkürlichen Eindruck gemacht.

    Dazu kommt weiter, das in der Zeit vom Ende der Ausbildung bis zum Arbeitsbeginn selbst verbeamteten Lehrern kein Sold/Gehalt gezahlt wird, aber durch diese unsägliche Praxis ein oft unnötiger Umzug bezahlt werden muss und zu den Belastungen der Referendariats- und Prüfungsphase noch der Murks mit Ummelden und Bewerben an den Schulen dazu kommt, wenn man nicht im Auswahlverfahren des Regierungspräsidiums landen will.

    So kann man auch die Leute vergraulen und dann kommen noch solche idiotischen Kommentare und Ideen wie die des baden-württemberigschen MP Kretschmann dazu, der als Lösung Deputaterhöhung und dergleichen fordert und dann noch so eine dolle Werbekampagne liefert. Bekloppter geht´s echt nicht, aber Lehrer sind ja auch nicht die verf..... Bundeswehr.

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