Dienstag, 5. September 2023

Canossagänge


Felix Klein, Beauftragter für Jüdisches Leben und Antisemitismus in Deutschland, hat Hubert Aiwanger einen Besuch der Gedenkstätte Dachau dringend anempfohlen. Aha. Und was soll das bringen? Bei allem Respekt vor den Opfern und der Arbeit, die dort geleistet wird, geht mir schon seit längerem auf den Keks, dass welche offenbar glauben, Menschen mehr oder minder zwangsweise eine KZ-Gedenkstätte besichtigen zu lassen, würde wie ein Allheilmittel gegen Rassismus und Antisemitismus irgendeine mirakulöse Wirkung haben, Bösnickeln Bekehrungserlebnisse bereiten, sie von argen Saulussen in fromme Paulusse verwandeln.

"Gedenkstättenfahrten werden zum Pflichtbesuch mit dem Anspruch eines Transformationsprozesses. Durchschreiten die Jugendlichen am Ende des Schulausflugs das Lagertor, kommen sie auf der anderen Seite als bewusste, antisemitismuskritische Menschen hervor. So der naive Wunsch." (Erica Zingher)

Solche Gedenkstätten sind, klar, Orte des Gedenkens, der Trauer, des Schreckens, der Dokumentation, des Lernens, der Reflexion und der Aufklärung. Orte, die Geschichte sehr unmittelbar erlebbar machen. Und Menschen tatsächlich zutiefst aufwühlende Erlebnisse bereiten können. 

Ist mir in den Neunzigern als Geschichtsstudent, mithin nicht völlig unbeschriebenes Blatt so gegangen bei einem Besuch in Sachsenhausen. Es gibt auf dem Gelände eine Baracke, die noch erhalten ist. Dort wurden einst grausame Menschenversuche durchgeführt, was dort auch dokumentiert wird. Im Keller, der ebenfalls zu besichtigen ist, wurden die Leichen zwischengelagert. Alles war hell und aufgeräumt, nur ein zweirädriger Handkarren lehnte an der Wand. Obwohl ich weder zu Klaustrophobie neige noch an Geister glaube, hielt ich es dort nicht lang aus. Ich musste sofort da raus. Oben sah ich einige Frauen aus unserer Gruppe weinend auf den Stufen sitzen, unser Referent meinte, er habe dort drinnen auch schon Leute kollabieren sehen.

So etwas kann passieren, muss aber nicht. Und wenn nicht, dann ist das eben so, das muss man aushalten. Lernprozesse lassen sich so wenig erzwingen, wie man Menschen zu echter, aufrichtiger Reue zwingen kann. Diese Freiheit muss man ihnen zugestehen, wenn man das Konzept ernst meint. Es liegt kein Segen darauf, moralinsauer und missionarisch seine eigenen Wertvorstellungen in andere hineinzuprojizieren. Wer selbst, sagen wir, nach dem Besuch eines Schlachthofes schockiert zum Vegetarier wurde, neigt mitunter dazu, zu glauben, das müsse nun gefälligst auch allen anderen so gehen und ist enttäuscht oder gar wütend, wenn das nicht der Fall ist.

Apropos missionarisch: Wer früher als Katholik richtig was zu beichten hatte, bekam mitunter eine Pilgerfahrt auferlegt, auf dass er er seine sündige Seele reinige und geläutert zurückkehre. Königsdisziplin in besonders schweren und hartnäckigen Fällen war eine Wallfahrt nach Rom, wie sie der verstoßene Minnesänger Tannhäuser in der gleichnamigen Oper des Antisemiten Richard Wagner aufgebrummt bekommt.

Die Hipphopper Felix Blume alias Kollegah und Farid Bang reisten 2018 nach dem 'Echo'-Skandal zur Gedenkstätte Auschwitz, was sie danach eine "tiefgreifende, klärende Erfahrung" nannten. Auch Christoph Heubner, stellvertretender Vorsitzender des Internationalen Auschwitz-Komitees, war zufrieden mit den beiden. Zu deren Gunsten mag man annehmen, dass die Erfahrung wirklich tiefgreifend und klärend war, doch bleiben Zweifel.

"Vor ihrem Besuch rappten Bang und Blume Zeilen wie »Mache Asche wie'n KZ-Ofen«, »Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen« oder »Ich leih dir Geld, doch nie ohne 'nen jüdischen Zinssatz«. In seinem Stück »Apokalypse« sehnte Blume, der mit 15 zum Islam konvertierte, eine postapokalyptische Welt ohne Juden herbei. Über Kritik an diesen Zeilen, auch von Schoa-Überlebenden, machte er sich bis vor Kurzem noch lustig.

[...] Ja, auch ein Felix Blume hat das Recht dazuzulernen. Aber das setzt die Bereitschaft zur Reflexion voraus. Und die ist bei dem Battle-Rapper aus Düsseldorf und seinem Sidekick Farid Bang erkennbar nicht vorhanden. Die Musik läuft weiter, von Erkenntnisgewinn oder einer glaubwürdigen Entschuldigung war bislang nichts zu hören. Für sie scheint der Besuch nur ein weiterer perfekter Marketing-Trick zu sein, um sich medial im Gespräch zu halten – und zwar einmal mehr auf Kosten von ermordeten Juden." (David Harnasch)


Der Reflex, kryptoantisemitische Kodderschnauzen wie die beiden Rapper zu disziplinieren, indem man sie damit konfrontiert, wie es enden kann, was mit Worten beginnt, mag in moralischer Hinsicht verständlich sein. Es wäre aber eine echte Perversion, wenn ein Besuch ausgerechnet jener Orte, die einst von den Nazis zu 'Straflagern' beschönigt wurden und in denen millionenfacher Mord verübt wurde, endgültig zu einer Art ritueller Strafarbeit verkäme.


Wenn Hubert Aiwanger nun sagt, er habe sich seit seiner Schulzeit geändert, dann gibt es zwei theoretische Möglichkeiten. Erstens: Er sagt die Wahrheit. Dann wäre der Gang nach Dachau überflüssig, da er ja bereits bekehrt wäre. Zweitens: Aiwanger lügt. Dann könnte man bei ihm über Jahrzehnte gefestigtes NS-Sympathisantentum vermuten. Dann wiederum müsste man fragen, wem genau irgendwie gedient wäre, wenn Aiwanger hernach vermutlich ein paar wohl abgewogene Worte der Betroffenheit von sich gäbe, Besserung gelobte und alles ginge weiter seinen Weg. Niemandem. Eine lauwarme Entschuldigung, die keinem hilft, keinen weiterbringt, von keinem Lernprozess keiner Reflexion bzw. tieferen Einsicht kündete, wäre das Ergebnis, weiter nichts.







7 Kommentare:

  1. "bei ihm über Jahrzehnte gefestigtes NS-Sympathisantentum vermuten". ... die Bayern sind halt genetisch dem Balkan zu zuordnen. Da geht es für den Mitteleuropäer halt etwas rustikaler zu.

    Las ich nicht sogar hier vor längerer Zeit sinngemäß "wer Nazi ist, will Nazi sein."

    Als Fazit der Landtagswahl würde ich jetzt schon einmal sagen: xx Prozent der bayrischen Wähler haben keine Probleme mit Nazis, sofern diese größtenteils dem erzkonservativen Wertekanon der bayrischen Wahlberechtigten entsprechen.

    Gruß
    Jens

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das mit dem Anbiedern an rechtes Gedankengut gibt es nicht nur für einen bestimmten Prozentsatz an Wahlberechtigten in Bayern. Das kannst auf ganz Deutschland genommen werden und die Anteile dürften sich da eher im einstelligen Prozentbereich unterscheiden. Inzwischen haben es Rechte nur dank einer AfD und den dieser Partei hinterher hechelnden Politikern anderer Parteien nicht mehr nötig, sich hinter Feigenblättern zu verstecken. Blöderweiser kapieren diese nur nicht, dass diese Wähler sowieso nicht auf deren Trittbretter aufspringen, sondern das Original wählen. Die Beifallklatscher gab es schon immer und öffentlich zutage getreten sind diese u.a. bei den Pogromen in Hoyerswerda und Lichtenhagen, wo der Mob groß genug war, um in der anonymen Masse nicht aufzufallen, was sich inzwischen in die diversen Medien verlagert hat.

      Bei Aiwanger wäre meine Annahme, dass er besagtes Pamphlet durchaus selber verbockt hat und dieser vermutlich auch in einer anderen Partei wäre, wenn diese nur hoffähig genug wäre und man darüber die Chance auf ein Pöstchen hätte. Von einem Ausrutscher kann angesichts des Inhalts selbst angesichts des damals noch jugendlichen Alters keine Rede mehr sein, denn soviel Bewusstsein sollte ein Gymnasiast auch damals schon gehabt haben. Eher spiegelt sich darin der Stammtisch, nachdem sowieso keiner etwas dafür konnte und die meisten Deutschen daher automatisch auch Opfer und dieses Verhalten "nicht so schlimm" waren. Mit derselben antisemitischen Ansage und Verschwörungsmythen feierte diese Rolle bei den Querdenkern ja fröhliche Urständ - nicht nur da auch wieder alles Verfolgte und Unterdrückte und schuld sind die jeweils Anderen sowieso immer selber, wenn "man sich wehrt", egal ob damals Juden oder heute Arme, Flüchtlinge, whatever...

      ...da darf´s auch mal so ein

      Löschen
  2. Gerhard Schrödr hatb über das Holocaust-Mahnmal (Stelen) in Berlin gesagt, es sei ein "Ort an den man gerne geht". Das wirkt auf mich verstörend. Ein solcher Ort wäre für mich eher das Freibad, das Kino, der Sportplatz, die Bücherei etc.

    AntwortenLöschen
  3. Wurschtblatt sein.

    AntwortenLöschen
  4. "Bei Aiwanger wäre meine Annahme, dass er besagtes Pamphlet durchaus selber verbockt hat und dieser vermutlich auch in einer anderen Partei wäre, wenn diese nur hoffähig genug wäre und man darüber die Chance auf ein Pöstchen hätte"
    ... absolute Zustimmung!
    Deprimierend, welch deformierte Charakter es in die Politik schaffen.
    Gruß
    Jens

    AntwortenLöschen
  5. Selbst zur szeit meines Erziehungswissenschaftsstudiumsum 2000 herum war längst Konsens der Gedenkstättenpädagogik, dass es die "Authentizität" des Ortes nicht gibt, dass das Ziel, "dass Auschwitz nicht noch einmal sei" nicht über emotionale Überwältigung zu erreichen ist sondern durch reflektierte Auseinandersetzung - und der Beutelsbacher Konsens der Politischen Bildung war damals auch schon alt und galt nicht nur für die Schule, sondern auch für Erwachsenenbildung. Felix Klein muss ja nicht gleich Zygmunt Bauman lesen, aber diese blanke Unkenntnis von Lernprozessen, der Glaube, dass durch Ansicht des Grauens das Grauen gebannt sei - magisches Denken und ob der impliziten Verantwortungsabgabe an Opfer bzw. deren Nachkommen und Vertreterorganisationen wirklich erschreckend.
    Mal abgesehen davon: Wenn Bildung und Herzensbiösung so easy wären, hach...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Alles Tippfehler sind Gratis, Verzeihung :)

      Löschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.