Donnerstag, 9. November 2023

Postkoloniale Allianzen


Man hört derzeit Palästinenser:innen klagen, sie würden mit der Hamas in einen Topf geschmissen und man solle ihnen doch zuhören und so. Disclaimer: Ich kann die Trauer und Betroffenheit verstehen und will das nicht schlecht- oder kleinreden. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der Muslime, also auch der Palästinenser, die hier leben, nicht auf Gewalt aus ist, dass die meisten einfach nur unbehelligt in Frieden hier leben wollen, dass sich auch welche gegen Antisemitismus engagieren und dass es wie so oft die paar Prozent Säure sind, die den Saft zum Essig machen.

Die paar Tausend Kalifatsfans, die hier die Tage auf den Straßen Alarm gemacht haben, beunruhigen mich (noch) nicht wirklich. Das sind was um null Komma null nochwas Prozent der Gesamtbevölkerung. Abzüglich noch jener, die vielleicht aus dem benachbarten Ausland angereist sind, was vor allem hier im Ruhrgebiet kein Ding ist. Der größte Fehler wäre, sich davon in Bockshorn jagen zu lassen, denn das ist genau das, was diese Leute erreichen wollen. Die Behörden werden Wege finden, damit umzugehen. Schlimmer sind jene, die ihnen - Stichworte: Postkolonialismus und alte antiimperialistische Verbundenheit - willfährig zu Hilfe kommen und rote Teppiche ausrollen.

"Hamas: Tötet alle Juden!
Israel: Nein!
Rest der Welt: Das sind also die beiden Extrempositionen. Jetzt lasst uns einen Kompromiss in der Mitte finden." (Sascha Lobo)


Es gibt Situationen, da ist es nötig, sich zu positionieren. Die Hamas ist eine verbrecherische Organisation, die im Gazastreifen die Mehrheit der dort Lebenden in Geiselhaft hält und sich anmaßt, für alle zu reden. Solange die friedliche Mehrheit der Palästinenser sich nicht klar und unmissverständlich von der Hamas abgrenzt und sie als das bezeichnet, was sie ist, kann sie sich ihr weinerliches "Buhuuu, wir sind mal wieder die Opfer! Wir wollen doch nur Frieden für alle" sonst wohin schieben. Das Minimum wäre, neben dem Spruchband "Free Palestine" eines mit "Fuck Hamas!" zu tragen. Oder wie wäre es mit: "Free Palestine from Hamas!"? "Ich stelle nur Fragen" (Ganser).


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Der Angriff der IDF auf Gaza kam nicht aus heiterem Himmel und nicht aus dem Hinterhalt. Die israelische Armee hat über mehrere Wochen eine Großoffensive im Gazastreifen angekündigt, die Bewohner zu ihrem eigenen Schutz zum Verlassen des Kriegsgebietes aufgefordert und dafür auch Möglichkeiten bereitgestellt. Also eher so: "Entschuldigung, wir haben hier demnächst was mit der Hamas zu erledigen, das gefährlich werden könnte. Wir raten der Zivilbevölkerung dringend, Gaza-Stadt zu verlassen, um unnötiges Leid und unnötige Opfer zu vermeiden."

Nur für den Fall, dass es jemanden interessiert, was so unter 'Genozid' in diesem Kontext zu verstehen ist. Sagen wir so: Es hat in der Geschichte der Menschheit schon Kriegsparteien gegeben, die deutlich heimtückischer vorgegangen sind. Und mit Hamas-Kämpfern und ihren Anhängern, die freiwillig in den Märtyrertod gehen, braucht man kein Mitleid zu haben, denke ich. Sie sollen bekommen, was sie wollen.

Was den Vorwurf der unverhältnismäßigen Gewalt angeht, sollte man bedenken, dass die hohen Todeszahlen, die aus dem Gazastreifen gemeldet werden, auf nicht überprüfbaren Zahlen der Hamas basieren. Selbige soll auch Zivilbevölkerung am Verlassen des Gazastreifens hindern, Kommandozentralen unter Krankenhäusern unterhalten und Militärtransporte in Krankenwagen durchführen. Warum diskutiert alle Welt kritisch einen 'Genozid' Israels, aber nicht sowas?

"Die Juden können es nie richtig machen. Wenn sie sich gegen den Hass wehren, zeiht man sie, arrogant zu sein. Lassen sie, weil sie sich kaum vorstellen konnten, was die Nazis mit ihnen vorhatten, die Vernichtung gezwungenermaßen über sich ergehen, dann wirft man ihnen, den Toten wie den Überlebenden, vor, sich nicht gewehrt zu haben. Wenn sie sich jetzt wehren und den Gaza-Streifen bombardieren, dann sei es ein Verbrechen, ein Genozid - während aus Gaza gleichzeitig Raketen auf Tel Aviv, Haifa und Eilat fliegen. Und die antijüdischen Koalitionen in den westlichen und arabischen Ländern applaudieren dem antijüdischen Terror oder protestieren gegen die Wehrhaftigkeit Israels. Immer geht es gegen Israel, immer geht es gegen die Juden. Es will nicht aufhören." (Bernd Rheinberg)

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Dann wäre da das dumme Gefasel von Israel als 'Apartheidsstaat'. Erinnere ich mich richtig, dann waren in der Republik Südafrika bis 1994 Menschen mit nichtweißer Hautfarbe in vielen Belangen des politischen und täglichen Lebens schlechter gestellt als die weiße Bevölkerung, bis hin zu der Regelung, dass Schwarze keine weiße Frau heiraten dürfen und umgekehrt. Nun sind 20 Prozent der Bevölkerung Israels muslimische Araber mit allen staatsbürgerschaftlichen Rechten und Pflichten, bekleiden öffentliche Ämter und sind auch im Parlament vertreten. Sicher "gibt es in Israel wie in allen andern Ländern Rassismus. Aber das macht Israel ebensowenig zu einem Apartheid-Staat wie Deutschland, Großbritannien oder Uruguay." (Lobo)

Das Apardheits-Gelaber gehört in dieselbe Kategorie wie das von einer 'Gleichschaltung der Medien' zu Coronazeiten oder das vom 'Vasallenstaat' Deutschland (in seliger Unkenntnis darüber, was ein Vasall überhaupt war): Hier werden wieder einmal eigentlich klar definierte Fachtermini zu propagandistischen Zwecken aufgeweicht und umgedeutet. Dass eine einstmals ehrenwerte Organisation wie Amnesty International solchen Blödsinn mitmacht, macht es weder richtiger noch besser.

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Israel ist übrigens auch keine Kolonialmacht, sondern ein ziemlich normaler souveräner Staat. Wenn auch quasi im permanenten Ausnahmezustand. Das heutige Staatsgebiet gehörte zum Völkerbundsmandat für Palästina und umfasste das heutige Israel inkl. des Gazastreifens, des Westjordanlands und Teilen der Golanhöhen sowie Transjordanien, das etwa dem Territorium des heutigen Königreichs Jordanien entspricht. Zuvor gehörte das alles zum Osmanischen Reich, das aber durch den Sieg der Briten im ersten Weltkrieg 1917 zu den Verlierern gehörte. Im Vertrag von Sèvres wurde die Gegend unter Verwaltung des Völkerbundes gestellt und 1920 dem Vereinigten Königreich übertragen, wodurch es 1922 vollständig unter zivile britische Verwaltung kam.

1923 wurde das Mandatsgebiet entlang des Jordan geteilt in das Emirat Jordanien östlich des Flusses und in Palästina westlich. Ab hier kann man tatsächlich so etwas wie einem Staat Palästina reden. Der aber völkerrechtlich keine volle Souveränität besaß, sondern bis 1948 von einem britischen Hochkommissar regiert wurde. Wenn man nun also sagt, Israel sei eine Kolonialmacht, weil seine Wurzeln im britischen Empire liegen, dann müsste man dasselbe auch für Jordanien gelten lassen.

Ja aberaber, waren die Palästinenser denn nicht lange vorher dort? Schon, irgendwie. Das Gebiet um das heutige Israel kam während der Eroberungen der '4 rechtgeleiteten Kalifen' (632-661 n.Chr.) unter muslimische Herrschaft. Vorher war schwierig, weil es da noch keinen Islam gab. Jüdische Besiedlung ist aber bis ins zweite vorchristliche Jahrtausend nachweisbar. Über die ganze Zeit haben in der Gegend immer auch sephardische Juden gelebt, die sich ethnisch nicht von der übrigen Bevölkerung unterscheiden. Was die Frage, wer genau das eigentlich ist, diese 'Palästinenser' noch etwas schwieriger zu beantworten macht.

Die Gründung des Staates Israel mag aus heutiger Sicht völkerrechtlich gesehen vielleicht nicht zu 100,00 Prozent koscher gewesen sein (no pun intended), verlief aber insgesamt durchaus in den Bahnen, die damals auf der Welt, unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, nicht ganz unüblich waren. Legte man überall derart strenge Kriterien an, müsste man auch etliche andere Staaten wieder auflösen. Der Vorwurf, Israel sei ein illegitimer Staat, da auf Gewalt gegründet, geht insofern ins Leere, als dass das auf sehr viele Staaten der Erde zutrifft. Und auch zuträfe auf einen hypothetischen Palästinenserstaat ('From the River to the Sea'), der sich dann ja auf die Gewalt der Hamas gründete.

Das heißt auch nicht, dass Israel bzw. diverse israelische Regierungen keine Fehler gemacht hätten in den vergangenen Jahrzehnten. Die Siedlungspolitik ist und bleibt schwierig. Es hat aber durchaus Vorschläge gegeben, Siedlungen zu räumen. Das Problem ist in der Tat wohl Netanyahu und seine Politclique. Die Stimmung in Israel schien sich aber in den Monaten vor dem 7. Oktober deutlich gegen Netanyahu gedreht zu haben. Mit ihren Massakern und Raketenangriffen hat die Hamas dafür gesorgt, dass die israelische Bevölkerung sich nolens, volens hinter dem von Netanyahu angeführten Kriegskabinett versammelt. Fast müsste man hier schon von Sabotage reden.

"Aber jetzt sehen wir eine Gesellschaft, die geeint ist - geeint im Verständnis, dass die Hamas nicht weiter bloß eingedämmt werden kann. Deshalb haben wir alle anderen Streitigkeiten aufgeschoben, einschließlich der Debatte über diese Reformen und der Frage, wer der neue Premierminister sein wird. [...] Der Konflikt ist auf die schrecklichste Weise explodiert. Leider würden viele Israelis daraus schließen, dass wir eben nicht in Frieden mit den Palästinensern leben können. Ich hingegen glaube, dass es noch mehr Probleme geben würde, wenn wir diesen Konflikt nicht lösen und das Gebiet nicht aufteilen." (Tzipi Livni)


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Seit 1948 hat Israel sämtliche Kriege gewonnen, die benachbarte arabische/muslimische Länder vom Zaun gebrochen haben (Unabhängigkeitskrieg 1948, Sechstagekrieg 1967, Jom-Kippur-Krieg 1973, erste und zweite Intifada 1987/2000). Normalerweise sagen in so einem Fall alle Beteiligten nach jahrzehntelangem Blutvergießen irgendwann: Komm, lasst gut sein, das kann nicht ewig so weitergehen hier. Und kommen dann zu tragfähigen Lösungen, die in der Regel spätestens spätestens dann akzeptiert werden, wenn die letzten Beteiligten langsam aussterben. Wer jenseits ziemlich schräger Kreise fordert hierzulande noch ernsthaft Schlesien, Ostpreußen und Elsass-Lothringen zurück? Wer andauernd Kriege anzettelt und verliert, ist eben irgendwann mal der Dumme.

Es ist auch keineswegs so, dass Israel nie Zugeständnisse gemacht hätte bzw. bereit gewesen wäre dazu. Auch aktuell redet niemand von einer Annexion des Gazastreifens (so würden Kolonialmächte agieren). Sieht man sich aber das Gebaren der palästinensischen Seite, vertreten durch Fatah, PLO, Hisbollah etc. über die Jahrzehnte an, dann könnte man fast schon auf den Gedanken kommen, es ginge ihr gar nicht um einen stabilen Frieden. Nie ist es genug, immer irgendwo eine Provokation, die es rechtfertigte, Friedenspläne zu torpedieren, zu sabotieren und Verhandlungen ohne Grund abzubrechen. Lässt sich vielleicht damit erklären, dass sich da welche im göttlichen Auftrag unterwegs sahen (und sehen).

Und hier kommt nun Postkolonialismus ins Spiel. Damit lassen sich problemlos alle Überlegungen wie die obigen wegwischen mit dem Hinweis, beim Völkerrecht handele es sich eh bloß um eines jener imperialen Konstrukte, die der Westen sich ausgedacht habe, um den Rest der Welt zu knuten und zu knechten. Das ist vergleichsweise neu. Und könnte fatal sein.







5 Kommentare:

  1. Danke für diesen großartigen Text. Ein Puzzlestein zur Ergänzung: Es gibt 22 arabische und einen jüdischen Staat. Knapp zwei Millionen Araber leben in Israel (21 Prozent der Bevölkerung), aber weniger als 20.000 Juden in den 22 arabischen Staaten. Soviel zum Thema Apartheid.

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  2. "im göttlichen Auftrag unterwegs" .... genau da liegt das Problem.
    Der Islamismus und dessen Anhänger haben unisono einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den westlichen, christlichen Staaten, der durch diese "göttliche" Fixierung formidabel sublimiert werden kann. So im Sinne von "ich bin arm und doof, aber im Auftrag des Herrn unterwegs und ich habe das Licht gesehen". Über deren Frauenbild legen wir dann auch besser den Schleier des Schweigens.

    Gruß
    Jens

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  3. Guter Text!
    Aber den dritten Satz kann ich nicht unterschreiben. Solche Leute saugen den Israelhass schon mit ihren Kinderbüchern auf. In dieser Beziehung sollte man nicht zu naiv sein.

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    1. Dies noch: "Das Märchen von der moderaten Fatah" von Alex Feuerherdt
      https://www.audiatur-online.ch/2019/01/31/das-maerchen-von-der-moderaten-fatah/

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  4. Danke. Viele Gedanken auf den Punkt gebracht, die mir gerade durch den Kopf gehen …

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