Dienstag, 19. Dezember 2023

Glühwhine


Unter jenen, die sich für mit Geschmack gesegnet halten, herrscht in diesen vorweihnachtlichen Zeiten quasi Konsens: Glühwein geht gar nicht. Picksüßes gepanschtes Zeugs, das in einer Liga kickt mit -- oleee ole-olee-oleeee!!! --  aus dem Eimer eingenommenem Sangria am Ballermann. Nun gut, da es offenbar langsam langweilig wird, sich alle Jahre wieder an Konsumterror, Firmenweihnachtsfeiern und Ohrenfolter wie 'Last Christmas' abzuarbeiten, ist heuer halt verstärkt Gevatter Glühwein dran.

Nun ist das in den meisten Fällen nicht ganz falsch. Zumindest wenn man das zugrundelegt und vor allem probiert, was auf Weihnachtsmärkten üblicherweise so verabfolgt wird: Übersüßtes Zeugs, meist aus Konzentraten, das vor allem einen Riesenkopf macht am nächsten Tag. Wenn es nicht gestreckt ist.

Wenn, ja wenn in nicht wenigen dieser Glühwein-Hass-Beiträge nicht auch so ein klemmprotestantisch-bourgeoiser Dünkel hindurchschimmerte. So nach dem Motto: Öhöm, söhöt nur, wie der Pöbel am Fusel sich erquicket! Wie gut, dass unsereins weiß, dass ein schönes Glas 5,99-Wein vom Edeka gefälligst in gesitteter Umgebung zu zimmerwarmer Zwölftonmusik zu genießen ist und dass man als irre kultivierter Gourmet seinen Wein grundsätzlich pur zu trinken hat. Denn nur so kommen, die Aromen richtig zur... *PUNCH* Fresse!

Weiters ist der dumme Plebs sich natürlich auch nicht bewusst, dass das süße, heiße Zeug, das er sich da in die aufgedunsenen Leiber gießt, Alkohol enthält und ganz tückisch ist, wie Julian Aé weiß:

"Denn Fakt ist: Es gibt kaum ein anderes alkoholisches Getränk, das so unwidersprochen verharmlost und so unbedarft in den von Gebäck und Pilzpfanne aufgedunsenen Leib geschüttet wird. Üblicherweise freue ich mich über jeden Anlass zum Trinken -- und davon gibt es weiß Gott genug im fünftversoffensten Land dieses Planeten." (Aé, a.a.O.)

Aha. In derselben Journaille wird es übrigens Jahr für Jahr abgefeiert, wenn Millionen Menschen sich auf dem Oktoberfest pro Kopf literweise Bier in ihre von Hendln und Schweinsbraten gedunsenen Abdomina schrauben. Weil: Ist wichtig. Wegen Kultur. Wollte es halt mal gesagt haben.

So gruselig, wie gesagt, viele Gesöffe sind, die auf Weihnachtsmärkten verhökert werden, wäre ein pauschales Verdammen unfair. Glühwein prinzipiell und in jeder Form abzulehnen, wie auch der Imperativ, grundsätzlich jeden Wein immer nur unverfälscht pur zu trinken, hat nichts mit feiner Lebensart zu tun, sondern ist bloß uninformiertes Gemache. Das mag daran liegen, dass Rebensaft immer auch als Statussymbol und der sozialen Distinktion diente, Bier hingegen eher integrativ ist. Fürsten tranken meist dasselbe Bier wie ihre Untertanen.

Man muss sich in Weinbaugegenden umsehen, wo Wein nicht Chichi und Lebensart ist oder andauernd 'ganz bewusst' zelebriert wird, sondern zuvörderst normaler, selbstverständlicher Bestandteil des Alltagslebens. Dort ist es keinerlei Problem und von jeher geübte Praxis, einen soliden Weißen mit Wasser oder Selters zu verdünnen. Etwa in starker Sommerhitze oder weil man sich zum Mittagessen noch nichts mit über zehn Prozent Alkohol einhelfen mag. Erfunden haben das angeblich schon die Alten RömerTM. Und Geheym=Rath Göthe, der sich schon Prickelwasser liefern ließ, dichtete folgendes:

Das Wasser allein macht stumm,
das beweisen im Wasser die Fische,
Der Wein allein macht dumm,
das beweisen die Herren am Tische,
Daher, um keines von beiden zu sein,
trink' ich Wasser vermischt mit Wein.


Einen Château Petrus oder einen Spitzenburgunder, ein Riesling-Hochgewächs zu zuckern, mit Gewürzen zu versetzen und zu erhitzen, grenzte in der Tat an Barbarei. Denn in diese Weine ist viel Arbeit und Schweiß geflossen, um sie exakt zu dem zu machen, was sie sind. Aber nicht jeder Fünfeurowein aus dem Supermarkt ist eine sakrosankte Kulturleistung, der man sich nur mit allergrößter Hochachtung nähern darf. Und Wein zu würzen und zu süßen, war ebenfalls schon bei den Alten RömernTM gern geübte Praxis und hieß vinum conditum. Traditionsargumente aller Art sind also ziemlicher Unfug.

Wie ich überhaupt den Eindruck habe, dass dieses ganze Authentizitätsgehuber ein wenig außer Kontrolle zu geraten scheint in Zeiten sozialer Medien. Wer es etwa wagt, Pasta alla Carbonara mit Bacon zu machen anstatt mit Guanciale, oder noch schlimmer, eine Tomatensauce mit Dosentomaten aus dem Discount anzusetzen, anstatt mit handgepflückten San Marzano-Superparadeisern von Manufactum, sieht sich schnell einem wütenden Inquisitionsmob in Steinigungslaune gegenüber.

Gewiss war früher nicht alles besser, aber einiges womöglich entspannter. Vielleicht weil man etwas weniger wusste von allem möglichem. Oder nicht glaubte, so viel zu wissen. So stieß ich letztens auf eine so interessante wie verdienstvolle Seite, auf der unter anderem alle Rezepte aus der von Alfred Biolek von 1994 bis 2007 produzierten und moderierten Kochsendung 'Alfredissimo' archiviert sind.

Für die jüngeren: In 'Alfredissimo' ging es darum, dass Biolek sich einen prominenten Gast einlud und beide unter angeregtem Geplauder und dem Konsum des einen oder anderen Küchenweins jeweils ein Gericht zubereiteten. Das war meist ganz interessant für mich als angehenden Hobbykoch, manchmal gruselig, alles in allem aber eine entspannte Sache. Vor allem bei Pastagerichten ging es mitunter phantasievoll zu. Da wurden Tagliatelle in Curry-Rahmsauce mit Shrimps geschwenkt oder irgendwelche wilden, in Italien komplett unbekannten Rezepte angerührt, es wurde Ketchup an Bohnensuppe gegeben oder Tütensuppe an Kalbsschnitzel -- und niemanden schien es groß zu stören.

Auch die stupide, bei chefkoch.de gern hochgehaltene Maxime "Hauptsache schmeckt!" kann selbstredend zu schauderhaften Auswüchsen führen, aber eine Prise Lockerheit täte mitunter schon gut. Auf dem hiesigen Weihnachtsmarkt gibt es übrigens eine Bude, die zu vernünftigen Preisen einen durchaus trinkbaren Glühwein anbietet. Das gilt es zu unterstützen.






11 Kommentare:

  1. Alfredissimo hat gerockt. Die Folge mit Helmut Berger (https://youtu.be/WXf1CYXTOpc?si=WZ2bE1nvb0YudqNh) war ein unvergesslicher Höhepunkt der Fernsehunterhaltung. Und kein geringerer als Martin Walker hat in einer Bruno-Kurzgeschichte den Glühwein rehabilitiert: den bietet nämlich auch die Winzer-Genossenschaft von Saint Denis an, mais oui! Wobei ich es, egal wie gut, bei einem Glas pro Winter belasse, wenn überhaupt. Ist nicht meins...

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  2. ....die Frage beim Glühwein ist doch ganz einfach: man nehme einen
    vernünftigen Grundwein....und nicht irgendwelche Restposten, die weg müssen.....

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    1. Genauso. Hier am (glücklicher- und vernünftigerweise immer nur an den Adventswochenenden stattfindenden) W-Markt gibts seit immer schon den Stand eines lokalen Winzers, der den Glühwein mit dem gleichen Spätburgunder ansetzt, den es auch einzeln zu trinken gibt – da kann man den Unterschied zu den fünf oder sechs anderen Anbietern schön testen. Muss man aber nicht, es reicht, sich an der längsten Schlange anzustellen. ;-)

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  3. Bei uns am Rhein kann auch gerne Cola zum Mischen verwendet werden. Mit Weißwein ist es dann ein Cola-Schoppen, mit Rotwein heißt es "Ochsenblut".

    Das Problem beim Glühwein ist eher das sehr kurze Zeitfenster für den Genuss. Erst ist er zu heiß, dann lauwarm oder kalt. Perfekt temperiert ist er nur ein oder zwei Minuten.

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    1. ....in den 2 Minuten muss man halt die 0,2 Liter trinken.....

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  4. ... für Wirkungstrinker ist Glühwein auf Weihnachtsmärkten ideal: Das Zeug knallt rein und ein Taxistand für die Heimfahrt ist meistens auch nicht fern.

    Gruß
    Jens

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    1. Ah, ein Experte!
      @Bonetti: Erinnert an finstere Zeiten, da unsereins Martini rosso mit Cola und viel Eis für einen very sophisticated Drink hielten *Kopfschmerz*.

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    2. Amaretto mit Apfelsaft. Damit bin ich durch die ganze Pubertät gekommen.

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    3. Hat denn hier keiner Southern Comfort auf Eis oder Tullamore Dew mit Ginger Ale getrunken? Inklusive 2 Tage sterben wollen, danach.

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    4. @ Hades: Doch. Ich...

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    5. Hach, Alfredissimo! Ich werde nie die Episode mit Dirk Bach vergessen, der Spaghetti Bolognese zuzubereiten ankündigte und dann quietschvergnügt etliche Bolognese-Fertigpulvermischungen verschiedenster Hersteller aus der bzw. den Tüten in den Soßentopf zusammenkippte, während Biolek mit zunehmender Skepsis zusah und schließlich sehr vorsichtig kostete … großartig!

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