Freitag, 22. Dezember 2023

Jenseits der Blogroll - 12/2023


"Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch wieder ruhiger." (Karl Valentin)

Einer aktuellen Umfrage zufolge glauben 40 Prozent der Deutschen, dass Sie ihre Meinung nicht frei äußern könnten. Aha. Was mich wirklich ärgert ist, dass ich anscheinend die Zeit irgendwie verpennt haben muss, als jeder alles immer und überall sagen durfte, ohne dafür irgendwie kritisiert zu werden oder sich gar Widerspruch gefallen lassen zu müssen. Alle anderen weißen alten Männer scheinen sich zu erinnern, aber mir will es einfach nicht gelingen. 2023 könnte durchaus als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem Deutschland, seit jeher das Land der Unentspannten, endgültig durchgedreht ist und in Wehleidigkeit ersäuft.

Die letzten Links und Fundstücke für 2023:

Politik. Die NS-Zeit sei bloß ein "Vogelschiss" der deutschen Geschichte gewesen, so befand einst Alexander Gauland (AfD) unter allgemeiner Empörung. Jetzt, Ende 2023, können wir konstatieren: Holocaust-Schrumpfen ist längst keine Spezialität des rechten Randes mehr, das Ausmaß erschreckend.

"Ein besonderes Merkmal unserer Zeit ist der fortgesetzte Versuch, den Holocaust, also die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten und ihre Helfershelfer, auf die Größe einer historischen Trivialität, einer Fußnote oder eines Vogelschisses zu schrumpfen. [...] Besonders rührig, die Besonderheit des Holocausts zu schrumpfen, waren in letzter Zeit die Vertreter der Postcolonial Studies: Israel sei, so der wiederholte Vorwurf, ein terroristisches Kolonialprojekt, eine Fortsetzung der jahrhundertealten weißen rassistischen Unterdrückungspraxis und die Kritik an Israel durch die besondere, schuldbewusste Erinnerung an den Holocaust betäubt, obwohl der Holocaust in eine ganze Reihe von Genoziden einzuordnen sei und Israel entsprechend ein gewöhnlicher Täter wie die Nazis, der an den Palästinensern Völkermord begehe." (Rheinberg, a.a.O)

"Die liberale Zivilgesellschaft [Israels] braucht Solidarität von außen. Stattdessen ist sie aus dem Westen mit einer anti-israelischen Stimmung konfrontiert.", meint Georg Seeßlen.

Yves Coleman über die Hamas und die blinden Flecken der Linken.

Hervorragendes Interview mit Michael Wolfssohn über den Nahostkonflikt.

Was getan werden muss. Verdienstvoll.

Wie ist die Lage in der Ukraine? So:


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Stefan Sasse über Donald Trumps 'Unternehmen Rache'. Gruselig.

Woran erkennt man dumme Neoliberale, die den Kapitalismus nicht verstanden haben? Daran, dass sie den Sozialstaat abschaffen wollen. Denn ohne Sozialstaat kein florierender Kapitalismus, wie Robert Misik weiß.

Helena Steinhaus sieht in der Bürgergeld-Erregung vor allem den entfesselten Populismus der Union am Werk.

Eine echte Entdeckung ist der Blog von Nils Minkmar. Der bespielte das Föjeton der FAZ, seit 2021 bespielt er das der Süddeutschen, ist aber auch bei Übermedien unterwegs. Kennt also beide Welten. Das macht die Lektüre höchst anregend.

"Das politische Thema, bei dem sich seit Jahrzehnten so gar nichts bewegt, ist die Migration. In Italien und Frankreich wurde daraus eine nationale Obsession, ein Psychodrom der Affekte, in dem kein Argument mehr willkommen ist. Das Vereinigte Königreich hat sich lieber per Brexit ins Elend gestürzt, als mit der Migration klar zu kommen und neuen Menschen Heimat zu werden. Das Thema erzeugt seit Jahrzehnten eine Dauerschleife des Unsinns und immer heißt es, man dürfe nicht darüber reden. Da wird gleichzeitig nach effektiverer Abschiebung gerufen als auch nach mehr Anwerbungen. Da wird die Ödnis der Dörfer beklagt, der Mangel an Fachkräften und zugleich werden Verträge geschlossen, um Menschen abzuschrecken, wegzuekeln und zu demütigen.

Sommer für Sommer nimmt die europäische Öffentlichkeit es hin, dass Menschen jeden Alters bei riskanten Überfahrten sterben, anstatt pragmatische und humane Lösungen anzubieten, die kein Hexenwerk wären. Es wird die Illusion erzeugt, dass Mensch trotz Not und Ödnis einfach bleiben wird, wo er ist, wenn Europa böse kuckt. Sollen Väter und Mütter in den Brennpunkten der Welt oder hoffnungslosen Nationen zusehen, wie ihre Kinder im Elend groß werden?" (Minkmar, a.a.O.)


Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Amy McKeever über die wechselvolle bis dunkle Geschichte der deutschen Weihnachtsmärkte.

2054 haben wir zu Silvester eine Böllerpflicht für Senioren, prognostiziert Ulli Hannemann.

Die Leistungen deutscher Schüler bei der aktuellen PISA-Studie waren längst nicht so schlecht wie sie gemacht werden, meint Peter Samol.

Musik. Weihachtszeit ist Orgelzeit. Und 'Joy To The World' mein Lieblingsweihnachtslied. Herr Fey, bitte übernehmen Sie!


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Sport. Wolf Jäger über Özils Tattoo.

Essen/Trinken/gut leben. Die Bäckerei Küper aus der bescheidenen Heimatstadt wurde von der Zeitschrift 'Der Feinschmecker' als eine von Deutschlands besten ausgezeichnet. Mehr als verdient, wie ich finde. Denn was die wunderbare Gabriele Schürk und ihr Team da Tag für Tag an Köstlichkeiten zaubern, ist immer einen Abstecher wert. Kuchen wie von Oma, Brot, das fast eine Woche frisch bleibt. Dafür steht man mitunter gern Schlange bis raus auf die Straße. Und das beste: Sohn Florian wird den Laden in fünfter Generation weiterführen.

Gary Shteyngart: Confessions of a watch geek. Mit besonderer Berücksichtigung der Firma Nomos.

"Harte Stühle, schwaches, warmes Licht, schmucklose Wände, der Tresen dominiert den Raum. Das Publikum steht im Mittelpunkt, nicht die Einrichtung." (Charles Schumann auf die Frage, was eine American Bar ausmacht.)

Ich will mich nicht dicke tun, aber mag ich ansonsten nie unter einem Putzfimmel gelitten haben, meine Küche war immer aufgeräumt. Dreckiges Geschirr hat sich nie gestapelt. Einer der Gründe, wieso ich nie in einer WG gelebt habe, ist, dass ich wohl immer der gewesen wäre, der die verdreckte Küche sauber macht, weil ich den Anblick nicht ertragen hätte.

Jörn Kabisch über Frankenwein und das Getue um den Bocksbeutel.

Das Rezept. Die Zeit zwischen den Jahren ist für viele, die nicht in Berufen arbeiten, die Dauerpräsenz erfordern, eher eine ruhige Zeit. Da hat der ambitionierte Amateurkoch Gelegenheit und Muße, aufwändigere, zeitraubende Dinge in Angriff zu nehmen und sich entsprechend zu bevorraten. Eines dieser Projekte, das ich schon seit langem vor mir herschiebe, ist es, ein paar Gläser Demi Glace einzuwecken, auf dass immer ein Löffel dieser Geschmacksbombe im Haus ist, die jedem Fleischgericht einen Hauch Grand Cuisine verleiht. Die Zubereitung ist eigentlich überhaupt nicht kompliziert, dauert nur eben. Das Zeugs muss zwei Mal über mehrere Stunden kochen und einreduzieren. Herr Westerhausen weiß, wie das geht und hat Erfahrung darin.

Bleibt noch, allen, die hier lesen, schöne, möglichst erholsame Feiertage zu wünschen. Bis danach!









3 Kommentare:

  1. „Woran erkennt man (…) die den Kapitalismus nicht verstanden haben? (…) Denn ohne Sozialstaat kein florierender Kapitalismus, wie Robert Misik weiß.“

    Das lädt ein zur Replik: „Woran erkennt man die Linken? Daran, dass sie nicht verstehen, dass ohne Kapitalismus keiner den Sozialstaat bezahlt.“

    Vergleiche dazu das (nicht der Rede werte) Sozialsystem der vorindustriellen Agrargesellschaft, oder zumindest vor Bismarck.

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  2. Dem durchaus genialen Karl Marx ist ein spezifischer Denkfehler vorzuwerfen.

    Er sagte Verelendung des Proletariats voraus infolge tendenzieller Automatisierung (richtig), folglich tendenziell schrumpfenden Anteils und variablen Kapitals (ebenfalls richtig), aber (fälschlich) Unterschätzung des Anteils des Proletariats am Markt.

    Eine Einkommensstatistik des BPB weist über das neunzehnte Jahrhundert stetig steigenden Wohlstand des Proletariats aus. (Link folgt, wenn wiedergefunden.)

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  3. Das Marx vorzuwerfen, halte ich für unsinnig. Genausowenig wie jeder andere konnte er gesellschaftliche Entwicklungen vorhersehen, wenn man bedenkt, dass er sich bereits zu Lebzeiten im Umbruch zum Sozialismus/Kommunismus sah und die Revolutionen doch alle wieder nur die bürgerliche Gesellschaft auf einen neuen Stand gehoben haben bis heute.

    Ich tue mich dabei sowohl mit dem Begriff Sozialstaat als auch Wohlstand schwer, denn das sind so zwei Definitionen, die suggerieren, dass eben der Staat seine Menschlein gar liebevoll umhegt und dadurch das Paradies auf Erden herrscht, wenn man nur den Bückling macht. So btw. werden diese Phrasen so wie jetzt beim neuesten Angriff eines Herrn Heil nur zu gerne genutzt, um den von diesem Sozialstaat Abhängigen Faulheit und Schmarotzertum zu unterstellen, welches nur über die Knute Entzug der Liebe=Geld als erzieherisches Mittel zu Obigem funktioniert. Das hat so ein wenig etwas von Leviathan.

    Was dabei nur zu gerne und imho bewusst ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass diese ganzen Sozialleistungen meist das Ergebnis von Kämpfen waren und nur teilweise wie das Rentensystem ein Mittel von oben zur Befriedung des Grundkonlikts dieser Gesellschaftsordnung, weil dadurch sozialer Zündstoff entschärft wird. Aus Nächstenliebe oder wegen eines sozialen Gewissens wurde das nicht gemacht. Zu sehen ist das ja auch daran, dass ausgerechnet dieser "Wohlstand" genutzt wurde, um die gesetzliche Rente als System zu entsorgen und im Interesse der Banken und Versicherungen auf eigene Vorsorge zu ändern.

    Was weiter beachtet werden muss, dass es dieses "Lumpenproletariat" ausgerechnet dadurch wieder mehr gibt und die leben ausser in moderneren Umständen genauso von Tag zu Tag wie die Arbeiter im Manchester-Kapitalismus mit mehreren Jobs, die gerade so zum Überleben reichen und dann immer noch den Gang zum Arbeitsamt erfordern, um sich dort nackt zu machen und Schikanieren zu lassen für ein paar Kröten - Rentner, Alleinerziehende, Kranke dito! Gut ist unsere Gesellschaft nämlich auch darin, diese Verelendeten zu verstecken oder im Mittelmeer ersaufen zu lassen. Dann sind sie halt auch "weg".

    Was bei den dank des zunehmenden Einkommens bei der Wohlhabenden-Fraktion "Mein Haus, mein Boot, mein Auto" auch gerne übersehen wird, ist die auch zu Marx´ Zeiten bereits geltende Tatsache, dass dieser schöne und zum Teil auf Pump finanzierte Leben nur funktioniert, wenn jeden Monat das gehalt eintrudelt und auch sonst wenig schief geht wie Krankheit etcpp. Ansonsten geht es ganz schnell abwärts und dann ist fini mit "Wohlstand". Dabei wird von den meisten nur zu gerne ausgeblendet (auch dank der Gehirnwäsche vom Ende der Systeme und dem Kapitalismus als Sieger dieser Entwicklung), dass sie trotz anderer Arbeitsbedingungen immer noch Proletariat sind und nicht Boss. Wie schnell dabei die Fassaden und das dünne Tuch der Zivilisation bröckeln, haben uns die letzten Jahre meines Erachtens mehr als deutlich gezeigt und die "Krisen" als Komponenten der einen, großen im Kapitalismus angelegten Dauerkrise bringen jetzt weltweit wieder den Faschismus hoch. Dabei wird "der Staat" in Form seiner Vertreter der herrschenden Klasse nur soviel Zugeständnisse machen, wie zum Erhalt der macht nötig ist und schreckt dann auch im Wissen um die Folgen nicht davor zurück, erneut mit Rechten dafür zu koalieren. Das sie dabei selbst entweder (offen und nicht mehr verdeckt wie Merz) in´s rechte Lager übertreten müssen oder dann auch untergebuttert werden, wird dabei für die Macht billigend in Kauf genommen.

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