Samstag, 23. März 2024

Leibchenschmerzen


Adidas und der deutsche Fußball, das war 70 Jahre lang untrennbar, quasi ein und dasselbe. Gegründet auf dem 'Wunder von Bern'. Das Ex-NSDAP-Mitglied Adolf 'Adi' Dassler war Schuhfabrikant in mittelfränkischen Herzogenaurach. Bruder Rudi, ebenfalls ehemaliges Parteimitglied, mit dem er sich zerstritten hatte, hatte eine eigene Firma namens 'Ruda' gegründet, die er bald in 'Puma' umbenannte. 1954 bot Adi Dassler Bundestrainer Sepp Herberger an, die Nationalmannschaft mit Schuhen auszurüsten, die von ihm erfundene Schraubstollen hatten. Der Coup soll, so will's die Fama, Herbergers Truppe im Finale den entscheidenden Extragrip auf dem schweren, nassen Rasen des Wankdorfstadions verschafft haben.

Zu unseren Zeiten gab es für Jungen aus meiner Gegend in Puncto Sportausrüstung einen Goldstandard: Adidas. Die fränkische Weltmarke mit den drei Streifen musste es sein und keine andere. Nicht nur deutsche Jungens träumten zu Kommunion und Konfirmation von Trainingsanzügen, die 'Uwe Seeler' und Fußballschuhen, die 'Hansi Müller' hießen. Weniger als drei Streifen im Turnbeutel gingen nicht. Puma ging noch -- immerhin kickte der große Pelé in Pumas --, war aber mehr für Individualisten, die aus der Reihe tanzten. Adidas, das war biederer Kabinenmuff mit einem Hauch großer Welt. Oder umgekehrt. So grundsolide und langweilig wie Onkel Willis taubenblauer Audi 80 damals. Deutsche Wertarbeit.

Wie gesagt: Damals. Tempi passati. Nicht genug damit, dass Adidas in den Augen einiger die Nationalmannschaft mithilfe von knallpinken Auswärtsleibchen zu entmannen trachtet -- jetzt gab der DFB auch noch bekannt, die Zusammenarbeit mit der Hausmarke zu beenden und sich ab 2026 vom US-Konzern Nike beliefern zu lassen. Und wieder ist die Welt ein Stückchen untergegangen.

Wahr ist aber auch: Seitdem Sportklamotten den Mief der Sportumkleiden verlassen haben und zu weltweit vermarkteten Lifestyle-Artikeln wurden, ist an Adidas eh nur noch der Firmensitz deutsch. Die Produkte werden nicht hier, sondern in denselben, meist ostasiatischen Fabriken gefertigt wie alle anderen auch, die Design- und Entwicklungsabteilungen sind international besetzt und der deutsche Markt ist nur mehr einer von vielen auf der Welt. Wahr ist weiterhin: Natürlich hat auch Adidas selbst andere Marken in die Bedeutungslosigkeit konkurriert, aus dem Markt gekegelt oder aufgekauft. Wer außer ein paar Manufactum-Kunden kennt heute noch Brütting?

Ein Abgrund, pardon: Abjrund an Landesverrat also? Bollocks! Fußball ist längst ein international vermarktetes Produkt, Top-Vereine sind global agierende Firmen, Adidas ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen und es herrscht Vertragsfreiheit. Wem das nicht passt oder das nicht will, muss den Laden halt verstaatlichen. Die Nationalmannschaften Englands, Italiens und Frankreichs laufen schon seit vielen Jahren nicht mehr in Leibchen einheimischer Hersteller wie Umbro, Kappa und Le Coq Sportif auf, sondern in welchen von Nike, ohne dass das ihren Leistungen oder Nichtleistungen irgendeinen Abbruch getan hätte. Konkurrent Puma lebt sehr gut davon, sich auf Fußballverbände kleinerer Länder und vor allem auf den afrikanischen Markt zu konzentrieren.

Die lächerlichen, teils verschnupften Reaktionen auf den Nike-Deal offenbaren vor allem das leicht schizoide Verhältnis nicht weniger Deutscher zu Kapitalismus und Marktwirtschaft: Findet man super, so lange deutsche Firmen Numero uno sind und man profitiert, hält anderen dann gern auch Vorträge über "Das ist eben Marktwirtschaft!" -- läuft es mal nicht so, dann ist man empört, wittert Unrat und kommt mit Tradition. Die Fakten sind: Der DFB braucht Geld, Adidas hat angeblich 50 Mille im Jahr in Geld- und Sachleistungen geboten, Nike das Doppelte. Zumal Nike bei den Jungen in Puncto Coolness schon lange die Nase vorn hat. Der DFB wäre schwerst mit dem Klammerbeutel gepudert gewesen, das Angebot auszuschlagen. Und wenn von den Mehreinnahmen nicht nur selbst gerissene Finanzlöcher gestopft werden, sondern auch was bei der Jugend- und Nachwuchsförderung ankommt, ist das schon okay.

"Am Ende wollen wir alle den Arsch an die Wand kriegen." (Walter 'Waldi' Lehnertz)

Mit Schuhen fing die Liaison zwischen DFB und Adidas einst an. Lange galt: Ein deutscher Nationalspieler mit etwas anderem am Fuß als schwarz mit drei Streifen? Undenkbar! Heute darf jeder Kicker einen eigenen Vertrag mit einem Ausrüster seiner Wahl schließen und die Zeiten der schwarzweißen fränkischen Einheitstreter sind lange vorbei. Die Welt ist darob nicht untergegangen. So wie es auch ein Relikt aus vergangenen Zeiten ist und nach meinem Dafürhalten keineswegs in Stein gemeißelt sein muss, dass deutsche Staatskarossen grundsätzlich aus Stuttgart, Ingolstadt und München kommen müssen.









5 Kommentare:

  1. ... guter Beitrag.
    Im Handball ist allerdings Hummel immer noch der Insider-Goldstandard, weil eben "nicht Adidas"

    Brütting ist natürlich in erster Linie ein Lifestyle Produkt geworden — mit lustigem Portfolio ähnlich wie BMW in den Fuffzigern: Topp-Produkte Astroturfer, Roadrunner etc.(alle um die 200 Euro) plus viele "ganz normale" Schuhe zu zivilen Preisen.

    Apropos: die stylischsten Sneaker mit Sport-Appeal sind immer noch die Asics Onitsouka Tiger Mexiko 66 und Onitsouka Tiger Corsar.

    Gruß
    Jens

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  2. Fun Fact: Götze hat das Siegtor im WM-Finale 2014 mit Nike-Schlappen geschossen.

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  3. Es hat schon mal 2007 ein Nike-Angebot gegeben, das deutlich über dem lag, was Adidas damals zahlte, der DFB hat das seinerzeit einigermaßen überraschend abgelehnt. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Und - Bonetti ist mir zuvorgekommen - die Schuhe aller Nationalspieler und vieler Profis sind Maßanfertigungen, auf die das Markengedöns des jeweiligen Sponsors dann aufgetackert wird.

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    1. Noch ein Fun fact: Adidas wurde erst 1970 alleiniger Ausstatter des DFB. Da die aber noch keine Trikots herstellen, spielten die DFB-Kicker bis 1980 noch in welchen von Erima.

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  4. "Nike-Schlappen" und "bis 1980 noch in welchen von Erima"
    ... es geht doch nix über Detailwissen ...

    Fashion United — Beitrag aus Sept. 2022:
    "Adidas erklärte in seinem Jahresbericht für 2020, dass 98 Prozent der Schuhe seiner Eigenmarke in Vietnam, seiner größten Beschaffungsregion, hergestellt werden und etwa 40 Prozent der gesamten Schuhproduktion im Jahr 2021 ausmachen."

    Gruß
    Jens

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