Mittwoch, 15. Mai 2024

Was nicht stimmt (2)


"Leute, denen der Nahe Osten normalerweise am Arsch vorbeigeht, die aber jedes Mal in helle Aufregung verfallen, wenn Israel involviert ist, und sei es am Rande, haben offenbar ein Problem mit Juden." (Hannes Stein)

Nationalismus ist die bei Lichte betrachtet hochgradig bescheuerte Idee, aus dem kompletten Zufall, irgendwo zur Welt gekommen und in einem bestimmten Setting aufgewachsen zu sein, das man sich normalerweise nicht ausgesucht hat, irgendwas Bedeutsames ableiten zu wollen. Schlimmstenfalls, sich aufgrund dieser bloßen Lotterie als was besseres zu fühlen. Und diese fixe Idee auch noch für irgendwie 'ganz natürlich' zu halten.

Noch dämlicher wird es, wenn sich das mit Antisemitismus mischt. Wie sich am europäischen Wettsingen von Malmö am letzten Wochenende wieder einmal gezeigt hat. Es gibt nicht wenige Israelis, die hassen Netanjahu und seine Regierung, halten Teile der Politik des Staates Israels für falsch und protestieren sogar dagegen. Trotzdem sind sie für den IDF-Einsatz in Gaza, gegen eine Zweistaatenlösung und möchten den Staat Israel im Prinzip so erhalten wie er ist. Wie kann man es vor diesem Hintergrund irgendwie rational begründen, die zwanzigjährige Sängerin Eden Golan, die aus Israel kommt und sich in keiner Weise politisch geäußert hat, bei einem internationalen Event auszubuhen und zu bepöbeln?

Weil sie aus Israel ist? Muss man, wie die offenbar hochgradig überspannte Teilnehmerin aus Irland, in Tränen ausbrechen ob der bloßen Tatsache, dass eine Israelin überhaupt mitmacht? Warum? Wurde ihre Aura irgendwie besudelt? Wieso fühlten andere Teilnehmende sich berechtigt, sie backstage zu beschimpfen, zu provozieren und zu beleidigen? Eine Zwanzigjährige, die nichts tut als singen, Herrgott noch eins! Was hat das noch zu tun mit der "Kritik an der Politik des Staates Israel, die ja wohl unbedingt erlaubt sein muss", worauf Antisemiten sich immer so treudoof berufen?

Antwort: Gar nichts. Das mit der Kritik an der Politik Israels war und ist in den allermeisten Fällen nur das Feigenblatt, das Antisemiten sich umbinden, um ihren Antisemitismus zu kaschieren. Zumindest denjenigen, die dann nur und ausschließlich Kritik an Israel üben. Immerhin hat das Gesinge eine neue Definition geliefert: Antisemitismus ist, wenn Menschen, die man eigentlich für vernunftbegabt gehalten hätte, sich bemüßigt fühlen, mit der Unterhose auf dem Kopf herumzulaufen.

"Was haben ein Finne ohne Hose, eine irische Gewitterhexe und ein Schweizer Kreiselpapageno mit dem Zustand Europas zu tun? Jede Menge." (Imre Grimm)

Und noch einmal: Das mit der angeblich 'unpolitischen' Kunst ist Blödsinn. Gibt es nicht. Frommer Wunsch. Nichts geschieht im luftleeren Raum. Wer das trotzdem hartnäckig postuliert, macht das normalerweise aus einem bestimmten Grund und sich verdächtig. Und ja, auch der Auftritt einer zwanzigjährigen israelischen Sängerin ist demnach nicht unpolitisch. Aber man kann auch die Kirche mal im Dorf lassen.

Ja aberaberaber was ist denn dann mit Russland, hä? Das hier:

"Warum durfte Israel am ESC teilnehmen, Russland aber nicht? Ein russischer ESC-Teilnehmer trüge doch auch keine Schuld an Putins Verbrechen? Im Kern ist der ESC ein Musikturnier zwischen Rundfunkanstalten. Die israelische Rundfunkanstalt KAN ist regierungskritisch, berichtet unabhängig und frei und erfüllt alle Kriterien. Der russische Staatssender hingegen hat sich mit seiner Pro-Putin-Propaganda selbst disqualifiziert. Das ist der Unterschied." (Grimm, a.a.O.)

Und was machte ESC-Supervisor Österdahl angesichts dieses Debakels? Das, was Kulturfunktionäre in so einer Situation halt tun. Wegducken, flaumweich reden, sich in Pseudoneutralität retten und weiter die fromme Lüge von der 'unpolitischen' Veranstaltung drechseln. Es passt so vollauf ins Gesamtbild wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer. So wird man irrelevant als Kulturbetrieb.

Eines immerhin kann man als ermutigendes Zeichen nehmen: Die hervorragende Platzierung von Eden Golan am Ende und das überwältigende Publikumsvotum aus Deutschland für sie. Israel: Douze points. Nicht nur sind das "wichtige Hinweise, dass es um die Mainstreamigkeit der hamasgewogenen Proteste an Unis und im Kulturbetrieb nicht weit bestellt ist." (Feddersen), sondern auch darauf, dass die neurechte Verschwörungserzählung, der Westen versuche dem Rest der Welt mit aller Gewalt eine queere, woke, internationalistische Proisrael-Agenda aufzudrücken, größtenteils heiße Luft ist.

Dass ausgerechnet ich, für den der ESC in den letzten Jahren allenfalls ein Hintergrundgeräusch für eine feuchtfröhliche Grillparty war, mich bemüßigt fühle, mich derart gründlich mit diesem Phänomen zu befassen, mag langjährigen Lesenden als Hinweis gereichen, in welch seltsamen Zeiten wir offenkundig leben.








1 Kommentar:

  1. "Nationalismus ist die bei Lichte betrachtet hochgradig bescheuerte Idee"
    ... ich verweise ´mal wieder auf Wiglaf Droste in der taz:
    https://taz.de/patriotismus-ist-die-religion-der-armen-schweine-von-WIGLAF-DROSTE/!1181233/

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