Dienstag, 11. Juni 2024

D-Day, 80 Jahre später


"Dies ist ein Krieg der Motoren und der Oktanzahl. Ich erhebe mein Glas auf die amerikanische Autoindustrie und die amerikanische Ölindustrie." (Josef Stalin)

Es ist Mode geworden und auch Teil der Lebenslüge Russlands, den US-amerikanischen Beitrag zum Sieg über Hitlerdeutschland schlechtzureden oder zu bagatellisieren. Weil: Amerikaner = böse Imperialisten. Sicher, die Sowjetunion hatte die höchsten Verluste an Soldaten und Zivilisten zu erleiden, nicht zuletzt, wegen der deutschen Vernichtungskriegsdoktrin, von der viele andere eroberte Länder weitgehend verschont geblieben sind. Auch waren die für die Amerikaner verlustreichsten Schlachten im Westen 1944f. nicht vergleichbar mit den Massakern im Osten. Aber ohne die amerikanischen Lieferungen aus dem Leih- und Pachtgesetz (Lend-Lease Act) hätte Stalin den Krieg vermutlich 1942 verloren.

"Die Sowjetunion erhielt bis zum Kriegsende aus den USA ca. 400.000 Jeeps und LKWs, 13.000 Lokomotiven und Güterwaggons, 90 Frachtschiffe, 4.000 Bomber, 14.795 Flugzeuge und über 7.000 Panzer. Und das war noch nicht alles. Hinzu kamen noch über 8.000 Flakgeschütze, 131.000 Maschinengewehre, 105 U-Boot-Jäger, 197 Torpedoboote, hunderttausende Feldtelefone und über 15 Mio. Paar Stiefel. Aber der größte Teil der Hilfslieferungen bestand nicht aus Waffen, sondern aus Rohstoffen, Stahl, Schienen, Lebensmitteln, Maschinen, Chemikalien und vor allem aus Treibstoffen. Ohne die Treibstoffe wären die meisten der sowjetischen Flugzeuge am Boden geblieben. Und auch das soll nicht unterschlagen werden: Aus Großbritannien und Kanada wurden zusätzlich noch weitere Zigtausend Panzer und Flugzeuge für die Rote Armee zur Verfügung gestellt." (Bernd Rheinberg)

Aus seiner Sicht ist es verständlich, dass Stalin nach 1945 nur noch ungern daran erinnert wurde und die USA wieder der Klassenfeind waren, dessen Beitrag zum Sieg über den Hitlerfaschismus marginal war. Ganz nett, aber der eigentliche Gewinner hieß bitteschön UdSSR. Das hatte vielleicht noch andere als nur propagandistische Gründe.

Eine Kampagne wie die Operation 'Overlord', der bereits Landungen in Nordafrika, auf Sizilien und in Italien vorausgegangen waren, ist eine gewaltige logistische Aufgabe. Es galt, hunderttausende voll ausgerüstete Soldaten und Gerät tausende Seemeilen über einen Ozean zu bringen, dies vor dem Gegner zu verschleiern, an der Küste anzulanden, die Brückenköpfe zu sichern, diese Streitmacht dann dauerhaft zu versorgen und stetig aufzurüsten. Das bekamen damals und bekommen in diesem Ausmaß bis heute nur die USA hin (im bescheideneren, lokal begrenzten Rahmen vielleicht noch Großbritannien). Hinzu kommt, dass man seit 1941 noch einen full scale war gegen Japan führen musste, der sich über ein noch größeres Gebiet erstreckte und noch mehr Ressourcen verschlang. Man hatte aber immer noch genug übrig, um die UdSSR und Großbritannien weiter mit Kriegsgerät und Rohstoffen zu beliefern und parallel noch mit dem Manhattan Project das größte Forschungs- und Entwicklungsprogramm aller Zeiten zu wuppen.

Der Erfolg der alliierten Invasion 1944 beruhte auf gewaltiger energetischer und technischer Überlegenheit:

"Specifically, western power mobilizes fossil fuel empires that others can only dream of and is, therefore, led to focus its military efforts first on modern naval power (coal and then oil) and air power (kerosene)" (Adam Tooze)

Daher sieht Tooze den D-Day als Ursprung der Great Acceleration, dem vor allem auf billigem, leicht verfügbaren Erdöl basierenden Nachkriegsboom, der der westlichen Hemisphäre einen bis dahin nie gekannten Wohlstand gebracht hat. Die Militärdoktrin, die sich mit dem D-Day im Westen etablierte, beruhte zudem auf einem Deal zwischen Soldaten und Regierung ("democratic war bargain"): Ihr haltet den Kopf hin, dafür tun wir alles Erdenkliche, dass ihr möglichst nicht draufgeht, medizinisch bestmöglich versorgt werdet, immer gut zu essen habt und nach dem Krieg aufs College gehen könnt.

"On the battlefield, these specific strengths of the Western powers predispose their soldiers and their commanders to rely on massive firepower advantage rather than exceptional military skill, courage or endurance to win. [...] They do so also because, except in extreme circumstances of existential survival, the democratic war bargain sets limits to the sacrifices that can reasonably be expected of citizens soldiers." (Tooze, a.a.O.)

Natürlich haben auch US-Soldaten gelitten, wurden getötet, verwundet, verstümmelt und traumatisiert, das sollte man keineswegs kleinreden. Aber sie waren auch getragen von dem Bewusstsein, Teil einer Riesenmaschinerie zu sein, die sie jederzeit bestens versorgte und alles dafür tat, Verluste möglichst klein zu halten. Zu punktuellen heroischen Episoden während der US-amerikanischen Kampagne im Westen kam es immer dann, wenn die Amerikaner in Situationen gerieten, in denen sie durch Zufall oder Fehlplanung ihre totale Überlegenheit nicht voll ausspielen konnten und der Gegner ihnen seine Form der Kriegsführung aufzwingen konnte (Omaha Beach, Arnheim, Ardennen, Hürtgenwald).

Letztendlich hatte das auch Einfluss auf die Art, wie Weltpolitik gemacht wurde. Das mitunter befremdliche, aber eben auch nicht komplett unbegründete Selbstverständnis der Amerikaner, überall Chef im Ring zu sein, hat hier seinen Ursprung.

"Furthermore, liberal regimes fighting with the odds so heavily in their favor in material terms and with the sense of »history being on their side« have an impatient expectation of victory. [...] If your barbaric, criminal enemy does not understand that they must lose, if they want to go down in a meaningless suicidal blaze, there is no reason why anyone on your side should needlessly expose themselves to risk. After all that would deprive those citizen soldiers of the victorious future that is rightfully theirs. Instead, minimize your own losses and let massive firepower do the work. Collateral damage, especially if it occurs on the enemy side, is barely worth a mention. [...] There clearly were precursors to this kind of annihilatory, firepower-based war-fighting in the colonies, but I would argue that its logic was perhaps first fully on display in the Normandy campaign." (Tooze, ebd.)

Es ist leicht zu erkennen, dass diese Art der Kriegführung im Westen bis heute State of the Art ist. Sie gerät aber schnell an Grenzen, wenn man es mit einem Gegner zu tun hat, der entweder seinerseits über riesige Ressourcen verfügt (China), dem eigene Verluste weitgehend egal zu sein scheinen (Russland, gegen das die Ukraine, die eine weitgehend westliche Doktrin verfolgt und auf technische Überlegenheit setzt, aber zunehmend Probleme hat, die Verluste an citizens soldiers auszugleichen) bzw. in einem Guerillakrieg steckt, der vom Gegner ohne große Rücksicht auf Verluste geführt wird und breite Unterstützung aus der Zivilbevölkerung erfährt (Vietnam).

Die US-amerikanische Art ressourcenbasierten Krieges hat die Kriegführung revolutioniert wie es zuvor wohl nur die Französischen Revolutionsarmeen unter Napoleon getan haben. Wie die Great Acceleration langsam ihre Grenzen erreicht, so auch die der globalen US-Hegemonie. Sollte China es irgendwann hinbekommen, mit einer groß angelegten amphibischen Operation Taiwan zu erobern, wäre der Status der USA, als einzige Seemacht in großem Maßstab überseeisch agieren zu können, mit einem Schlag Geschichte. Das wäre ein geostrategisches Beben wie seit 1945 nicht mehr. Die wahre Zeitenwende.









3 Kommentare:

  1. Siewurdengelesen11. Juni 2024 um 19:57

    Bei der ganzen Geschichte sollte aber nicht vergessen bleiben, dass der Deal für die US-Wirtschaft auch ein schönes Geschäft war und dank der Rückzahlungen bis 2006 auch ein langes.

    Ob dabei die damalige Sowjetunion den "Krieg verloren" hätte oder was die Folgen überhaupt gewesen wären, lässt sich anhand der Tatsachen mutmaßen, aber wegen des historisch anderen Verlaufs nicht beweisen. Ganz sicher hätte eine Einnahme weiter Teile der SU dem faschistischen Deutschland Zugriff auf große Ressourcen ermöglicht und damit auf jeden Fall den Krieg und das Leid der Menschen enorm verlängert. Ob dabei auch strategische Erwägungen der Alliierten hineingespielt haben, dass ein Hitlerdeutschland im Besitz der Kornkammer Ukraine und der sowjetischen Kohle- und Ölvorkommen auch für sie selbst eine relevantere Gefahr war? Wahrscheinlich schon...

    Dennoch sollte man der Roten Armee gerade unter den unmöglichen Bedingungen für den Blutzoll dankbar sein, den deren Soldaten unbestritten bezahlt haben, um Europa vom Faschismus zu befreien. Umso trauriger ist es, dass sich eine jetzige russische Führung auf diesen Teil der Geschichte beruft,um selbst Krieg zu führen, und dabei die neuen Faschisten das noch beklatschen. Angesichts der Ergebnisse der EU-Wahl war der Auftritt Selenskiys oder besser das Verhalten der Abgeordneten von AfD und BSW eine Farce und absolut unprofessionell. Die Ukraine kann sich schon mal warm anziehen und wäre wahrscheinlich und übrigens ohne Hilfe von außen auch schon mit unbekannten FOlgen für die ganze Welt unterjocht.

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    1. Nun ja, was die Rückzahlung angeht, die erfolgte zu einem Zinssatz von 2 Prozent. Würde ich kein Riesengeschäft nennen über die lange Dauer, zumal wir im Westen in den 1960ern und 1970ern z.T. Inflationsraten an die 10 Prozent hatten. Die volkswirtschaftlichen Effekte dürften da evtl. überwiegen, sind aber schwer zu beziffern.

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  2. Siewurdengelesen12. Juni 2024 um 12:58

    Mag sein, dass sich das nicht "gerechnet" hat. Aber die US-Unternehmen hatten während der Kriegszeit Aufträge und die waren über das Geld des Staates bezahlt, also ohne unternehmerisches Verlustrisiko. Die USA dagegen hatten jahrelang eine stete Einnahmequelle, auch wenn es klar relativ wenig war gemessen auf den Gesamthaushalt.

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