Montag, 17. Juni 2024

Fragen über Fragen


Der Berliner Abgeordneten Tuba Bozkurt (Grüne) ist bei einer Fragestunde im Berliner Abgeordnetenhaus anlässlich des Todes des Polizisten Rouven Laur ein Spruch entfleucht, der mit Mitte, Ende zwanzig gut und gerne auch mir hätte entfleuchen können. Nur, dieser Unterschied ist nicht völlig unwichtig, war ich mit Mitte, Ende zwanzig kein Abgeordneter und stand nicht vergleichbar im Lichte der Öffentlichkeit.

Was war geschehen? Bozkurt hatte, inhaltlich völlig korrekt übrigens, auf den von Innensenatorin Spranger (SPD) in schlampigem 08/15-Deutsch formulierten Satz "Der schreckliche Tod von Mannheim zeigt uns..." reagiert mit: "Mannheim ist tot?". Dafür hat sie sich öffentlich entschuldigt und verzichtete auf ihren Sitz im Präsidium des Hauses.

Weder wurde, wie in heilloser semantischer Überdrehung hyperventiliert, die Polizei beleidigt, noch wurde das Andenken des getöteten Beamten in leichenschänderischer Weise besudelt. Es war ein unpassender Spruch zur unpassenden Zeit. Eine Instinktlosigkeit, gewiss. Aber sonst? Stellt sich die Frage, was passierte, wenn man ähnlich hochmoralische Maßstäbe an Zwischenrufe der AfD in diversen Parlamenten anlegte. Es ist bei weitem nicht die einzige Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt.

Und wer nun meint, eine Person in einem hohen öffentlichen Amt habe immer auch eine gewisse Vorbildfunktion, hat sicher nicht ganz unrecht, sollte das dann aber bitte von allen Amtsinhaber:innen verlangen:

"Ironie der Geschichte: Die Senatorin ist, der Ausdruck sei ausnahmsweise erlaubt, »Biodeutsche« und bekleidet ein hohes Staatsamt in Deutschlands Hauptstadt. Darf man da nicht erwarten, dass sie richtiges, unmissverständliches Deutsch spricht? »Peanuts«, werden manche mir entgegnen. Irrtum, antworte ich, denn: Immer wieder verkünden nicht nur Politiker zu Recht (!), dass Ausländer in Deutschland sowie Neu-Deutsche »mit Migrationshintergrund« Deutsch können müssen. Nur so sei Integration möglich. Nur so würden »die Ausländer« und Neu-Deutschen tatsächlich bei uns »ankommen«." (Michael Wolfssohn)

Lothar Ebert, ehemaliger Leiter des Spezialeinsatzkommandos der Berliner Polizei, sah das alles anders (was sein gutes Recht ist) und erstattete Anzeige. Wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Billigung und Belohnung von Straftaten. Er gab zu Protokoll: "Sie hat sich entschuldigt, aber die Motivation kann ich ihr nicht abnehmen. Ich fühle mich als Polizeibeamter beleidigt."

Abgesehen davon, dass seine Vorwürfe juristisch wohl komplett haltlos sind, hatte er eine dickere Keule wohl gerade nicht zur Hand. Warum er ihr die Motivation für die Entschuldigung nicht abnehmen konnte und wieso ein Kommentar, der, wie gesagt, sicher unangemessen war, aber nichts sonst, bereits dazu geeignet ist, ihn als Polizisten zu beleidigen, obwohl noch nicht einmal das Wort 'Polizei' gefallen ist, darüber erfahren wir nichts. Vielmehr wäre die Frage, ob ein Polizeibeamter, der so leicht zu beleidigen ist wie er, nicht seinerseits Anlass zum Zweifel an seiner Diensttauglichkeit gibt. Eine müßige Frage, da Ebert nicht mehr im Dienst ist.

Andere Fragen sind deutlich weniger müßig. Etwa die, ob damals auch Anzeige erhoben wurde wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, als gewissenlose Schreiberlinge die rassistische Mordserie des NSU flapsig zu 'Döner-Morden' verseppelten? Bzw. davon ausging, die Taten seien doch gewiss von einer, so wörtlich, "Döner-Bande" begangen worden. Nein? Frag ja nur.

Weiterhin stellt sich die Frage, wo bitteschön ein vergleichbarer Sturm der Entrüstung blieb, als die AfD die tödliche Attacke in gewohnt schamloser Indolenz sofort für ihren Wahlkampf instrumentalisierte:


Und schließlich kann man durchaus fragen, ob die Empörung ähnlich ausgefallen wäre, es diesen erzwungenen Rücktritt auch gegeben hätte, wenn die Betreffende nicht Tuba Bozkurt von den Grünen, sondern Hedwig Schulte-Mühlenbeck von der CDU gewesen wäre. Dann will ich selbstverständlich wieder mal nichts gesagt haben. Es fällt mir aber äußerst schwer, mir das vorzustellen.







2 Kommentare:

  1. tendenziell links18. Juni 2024 um 16:36

    Ich habe Tuba Bozkurt neulich im Rahmen eines unserer Kiezprojekte kennengelernt und schätze sie und ihr Engagement sehr. Auch wenn ich ihrer Partei im allgemeinen, freundlich ausgedrückt, eher fernstehe. Das Affentheater, das wegen ihres zugegeben leicht albernen Zwischenrufs veranstaltet war nichts weiter als das: ein Affentheater. Und ein heuchlerisches noch dazu.

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  2. Meine Erfahrungen mit T. Bozkurt waren bisher eher mau. Auf Anfragen die letzten 2 Jahre (sie ist meine Abgeordnete, dh mein Wahlkreis) gab es keine Antworten, ausser man fragt per Insta oder Wazzapp.
    Die Abgeordnetenhausssache dagegen empfinde ich nur als Wind. Unpassende Zwischenrufe aller Art gibt es seit es Parlamente gibt, deren direkte mediale Veröffentlichung eben erst kürzlicher, bzw als die noch schriftlich auf Papier festgehalte wurden, waren sie nur für eine Minderheit interessant.

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