Sonntag, 30. Juni 2024

Kein Zufall


Bislang kannten wir so was nur von siechen Päpsten, zuletzt Johannes Paul II. Oder von sowjetischen Apparatschiks, die qua Greisenalter gesundheitlich bereits so angeschlagen waren, dass sie ihre immer rareren öffentlichen Auftritte nur noch mit stärksten Medikamenten durchstanden. Und obwohl allen klar war, das geht eigentlich nicht mehr, wurde die Fassade um jeden Preis aufrecht erhalten. Die mürben Potentaten abgeschirmt, gestützt. Alles in Ordnung, nur eine Erkältung, wird schon wieder. Und bei der späten Elizabeth II. war man, bei allem Respekt vor ihrer Rüstigkeit, doch erleichtert, dass Monarchen heutzutage nur mehr eine zeremonielle Rolle spielen und auch als grenzdemente Gaga-Opas bzw. -Omas nicht allzuviel kaputtmachen können.

Die zentrale Schwachstelle der Monarchie, in Europa lange vorherrschende Staatsform, war immer, dass Monarchen bis zum Tod amtieren und man im Falle eines bekloppten Totalversagers oder blutrünstigen Tyrannen auf dem Throne nur auf die biologische Lösung hoffen konnte oder, wenn der Ungut noch jung und frisch war, sich jemand finden musste, der per Attentat zur Tat schritt.

Ein starkes Argument für demokratische Systeme war immer, dass die quasi einen eingebauten Sicherungsmechanismus zu haben scheinen gegen so was. Entsteht der sichere Eindruck, da kann einer nicht mehr richtig, dann wird der mit Ablauf der Legislaturperiode halt nicht wiedergewählt und gut. Hinfällige, tüttelige Weltenlenker schienen damit ein Ding der Vergangenheit. Und in der Tat waren die Miterfinder der modernen Demokratie da meist ganz ordentlich unterwegs. Was man von ihrer Politik im Einzelnen auch immer halten mochte, waren die Präsidenten vor Trump, von seltenen Ausnahmen abgesehen, in den letzten Jahrzehnten durchaus vitale Männer in den besten Jahren.

Tja, und jetzt haben die US-Amerikaner die Wahl zwischen (a) einem unberechenbaren, rechtskräftig verurteilten Betrüger mit Cäsarenwahn und Diktatorenambitionen, gegen den Friedrich 'Sandkastenrocker' Merz sich ausnimmt wie ein Ausbund an Vernunft und Rationalität und (b) einem senilen Tattergreis mit Ausfallerscheinungen, gegen den Olaf 'Schlaftablette' Scholz wirkt wie ein Animateur auf Speed im Robinson Club.


Irgendwas muss da irgendwann gewaltig schiefgelaufen sein. Orthodoxere Linke als ich würden es natürlich schon immer gewusst haben und vermutlich sagen, der Kapitalismus habe viele Menschen in solch eine Lage gebracht, dass ihnen als letzter Akt des Widerstands bliebe, irgendeinen mehr oder minder bizarren Rechtsextremen zu wählen. In your face, Schweinesystem! Gerade für die USA halte ich das aber für schief, denn der Kapitalismus steht dort jenseits von Minderheiten innerhalb der Demokratischen Partei gar nicht zur Debatte, geschweige denn, wird infrage gestellt. Nein, dass er Erfolg der Rechten allein oder größtenteils auf dem Frust enttäuschter Arbeiter beruht, ist eine allzu bequeme Erklärung, mit der vor allem die Didier Eribons dieser Welt viele Bücher verkaufen. In Frankreich zum Beispiel geht der Aufstieg des Rassemblement National am ehesten einher mit dem simultanen Bedeutungsverlust der bürgerlichen Rechten.

"Nach Wahlschätzungen des Institutes Ipsos hat sich bei den Wahlen von 2022 ein Drittel der Arbeiterschaft enthalten. Die abgegebenen Arbeiter-Stimmen fielen zu einem Drittel auf Le Pen, zu einem zweiten Drittel auf die parlamentarische Linke, während wiederum ein Drittel Macron wählte. Dies entspricht in etwa den Durchschnittswerten und der allgemeinen Parteienlandschaft." (Alexander Neumann)

Natürlich sind die USA nicht Frankreich und auch nicht Deutschland. Zwar hat Donald Trump 2016, wie von Michael Moore vorausgesehen, vor allem deswegen gewonnen, weil es ihm gelungen ist, ein paar traditionell demokratische Bundesstaaten im verarmten, deindustrialisierten 'Rust Belt' auf seine Seite zu ziehen, das funktionierte aber nur wegen des sehr speziellen Systems bei US-Präsidentschaftswahlen, das kleine Staaten überproportional bevorteilt. Bei einer allgemeinen gleichen Wahl, bei der jede Stimme gleich viel zählt, hätten diese Staaten keine Rolle gespielt.

Man sollte sich weiters bewusst sein, dass das Narrativ von den enttäuschten Arbeitern als Entlastungsargument für Bürgerlich-Konservative herhalten kann. Die ungebildeten, demokratieuntauglichen Proleten mal wieder! Nach 1945 galt die SA zum Beispiel lange als Ansammlung von Arbeitslosen und Proletariern, die für eine warme Mahlzeit die Saalschläger machten. Forschung hat dann herausgefunden, dass Bürgerliche und Akademiker sogar überproportional vertreten waren.

Das soll nicht heißen, dass Kapitalismus und der immer krassere Gegensatz zwischen prekärer Armut und perversem Reichtum keine Rolle spielen, im Gegenteil. Zum Beispiel hat der neoliberale Kapitalismus der letzten Jahrzehnte vielen ein Weltbild eingepflanzt, in dem es nur Gewinner und Verlierer gibt und so etwas wie Solidarität überflüssiges Wischiwaschi ist. Das aber als alleinige Ursache allen Übel zu betrachten, ist deutlich zu eindimensional und wird der Sache nicht gerecht.

Vielleicht ist die zentrale, oft übersehene Schwäche von Demokratien, dass sie auf der Annahme beruhen, ein überwiegender Teil des Wahlvolks handele nach rationalen Erwägungen. Dass Wähler ihre Wahlentscheidung mehrheitlich argumentativ begründen können und bereit und in der Lage sind, im politischen Diskurs inhaltlich darüber zu diskutieren. Dass sich letztlich das beste Argument durchsetzt. Genau das ist aber so gut wie nicht mehr der Fall. Ebenso wenig die Fähigkeit, zu akzeptieren, dass andere mal die Mehrheit innehaben. 


"In einer perfekten Welt würden unvoreingenommene Wähler sich nur auf die politischen Inhalte konzentrieren und ob der suboptimalen Tagesform Bidens, in Ruhe das Transkript der Debatte nachlesen, die Aussagen beider Kandidaten nach Wahrheitsgehalt überprüfen und auf dieser Basis analysieren, wer den besseren Plan hat, Amerika in die Zukunft zu führen. Deshalb würde Joe Biden die Wahl mit einem Erdrutschsieg gewinnen, in beiden Kongresskammern eine zwei Drittel Mehrheit holen. Daß er selbst etwas klapperig und langsam ist, wäre irrelevant, weil er eine äußerst fähige 4.000-köpfige Führungsmannschaft um sich herum versammelt, die mit den entsprechenden Mehrheiten Washington aus dem Gridlock befreite.

Unglücklicherweise leben wir aber in einer höchst unperfekten Welt; es existieren fast gar keine Wahlberechtigten, die wie eben beschrieben handeln. [...] Stattdessen werden Wahlentscheidungen von Ignoranz, Stimmungen, Lügen, Apathie, Borniertheit, Narrativen, Gefühlen, dem Spin, Sympathien, Antipathien und sehr viel Einfluss der Superreichen und Lobbyisten bestimmt." (Tammox)


Dass der immer steilere Aufstieg der Rechten in den letzten zehn, fünfzehn Jahren zeitlich einhergeht mit der wachsenden Bedeutung 'sozialer' Medien, mag vielleicht pure Korrelation sein, indes ich glaube das nicht. Zu sehr befördern diese Plattformen exakt jene oben aufgeführten Symptome und appellieren an exakt diese Instinkte. Ich glaube da nicht an Zufall.








8 Kommentare:

  1. ... soziale Medien können nur an die niederen Instinkte appellieren. Dafür sind sie gemacht worden.
    Der Hass blüht am Besten dort, wo Dummheit als Dünger vorhanden ist.

    Gruß
    Jens

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    1. @ Jens:

      Ab wann ist ein Mensch denn dumm? Mit dieser unterkomplexen Denke ist man/frau keinen Deut schlauer. Klar ist Diskursfähigkeit auch eine Frage der Bildung, zu einem guten Teil aber auch eine der emotionalen Stabilität und des Charakters.

      Grusz-
      Sven.

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  2. "Ab wann ist ein Mensch denn dumm?"
    Das ist in den meisten Fällen eindeutig belegbar.

    Gruß
    Jens

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  3. Das Diskursfähigkeit eine Frage der Bildung ist, würde ich aus meiner erfahrenen Umwelt so nicht bestätigen. Kann aber auch gut sein, dass ich mich im falschen Milieu bewege.
    Trump und Biden. Wie konnte es soweit kommen? Was läuft den in Demokratien mittlerweile so unrund, dass nur noch diese beiden älteren Herren für eine weltbestimmende Nation zur AusWahl gelangen konnten?

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  4. "Das Diskursfähigkeit eine Frage der Bildung ist, würde ich aus meiner erfahrenen Umwelt so nicht bestätigen"
    ... stimmt leider.
    Das ist einer der Punkte, die ich mit "Dummheit" meine.

    grüß
    Jens

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  5. Interessante Frage, die mit dem Unrundlaufen in den Demokratien. Sollte man mal drüber nachdenken. Ebenso interessant, dass die Amis anscheinend nur die Wahl haben zwischen einem dementen Tattergreis und einem halbdementen narzisstischen Idioten. Selber schuld, würde ich mal verkürzt sagen.

    Interessant auch, dass Sie sich für einen weniger orthodoxen Linken halten. Ich hätte Sie eher für einen unorthodoxen Liberalen mit freundlichem Linksdrall gehalten.

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  6. "unorthodoxer Liberaler mit freundlichem Linksdrall"
    ... der ist gut — den merke ich mir.

    Gruß
    Jens

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  7. Siewurdengelesen1. Juli 2024 um 15:46

    Ganz ähnlich wie bei Angela Merkel hat man manchmal eher den Eindruck, dass es in den USA keine wirklichen Alternativkandidaten zu geben scheint und daher wird lieber auf "altbewährtes" Material gesetzt und dann ggf. im Nachhinein das Spiel "Bäumchen wechsle Dich" gemacht, wenn so ein Polit-Zombie oder Irrer dann endlich sein Ende findet.

    Was den Vergleich mit den Greisen des Ostblocks betrifft, so waren die ja per se "auf Lebenszeit" gewählt, weil bei diesen Betonköpfen neben der Macht auch ein potentieller Nachfolger immer Konkurrenz war - das Negativ-Beispiel Stalin und andere vorher haben die ja immer gleich wegräumen lassen. So gesehen ist das Beseitigen solcher unliebsamer Nebenbuhler auch ein Zeichen von Diktaturen, wenn diese dann vielleicht zuviel von dem Dreck wussten, den amtierende Staatsmänner auf ihrem Weg nach oben am Stecken hatten. In Deutschland dürfte der bekannteste Fall wahrscheinlich der von Röhm sein, mit dem die SA als Organisation quasi entsorgt wurde, weil sie als zu mächtig angesehen wurde.

    Ein weitererer Aspekt dürfte speziell in den USA sein, dass weder eine Frau noch ein "zu Linker" an den Drücker kommt und das trifft auf Demokraten wie Republikaner zu. So wurde eine Hillary Clinton und eine Nikki Haley untergebuttert genauso wie Bernie Sanders.

    Scholz ist ja zum Kanzler gekommen wie die Jungfrau zum Kinde, denn ehrlicherweise dürfte eine SPD nicht im Ernst damit gerechnet haben, durch diesen obskuren Wahlausgang überhaupt eine Mehrheit zu bekommen. Laut der in meinen Augen ohnehin substanzlosen Prognostiziererei mit Wahl-O-Mat und Sonntagsfragen standen ja eigentlich nur die Grünen und die CDU als zur Debatte, wobei Merz ja eher abscheckendes Beispiel war, aber eben leider auch alternativlos aus Sicht der Partei. Da hat auch keiner den Allerwertesten in der Hose gehabt, sich gegen diesen politischen Fail auf ganzer Linie als Kandidat zu stellen. In Bayern wird man ja so als politisches Asshole Mini-Präsi und Vize.

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