Dienstag, 2. Juli 2024

Die nächste Zeitenwende


Falls wir dann noch am Leben sein sollten und Ihre Enkelkinder Sie dereinst fragen, wann genau die Welt endgültig verrückt geworden ist und warum Sie nichts dagegen getan haben, können Sie jetzt eine klare, eindeutige Antwort geben: Es ist am 1. Juli 2024 passiert. Durch einen Putsch eines obersten Gerichts. Es war ein Montag. Merken Sie sich am besten, was Sie an diesem Tag gemacht haben. Durchaus möglich, dass Sie auch danach mal gefragt werden.

An diesem Tag hat der Oberste Gerichtshof der USA mit dem Urteil im Fall Trump vs. United States einem nicht zurechnungsfähigen Präsidentschaftskandidaten, der bereits offen angekündigt hat, im Falle einer Wahl eine Diktatur errichten zu wollen, das rechtliche Instrumentarium dafür in die Hand gegeben. Kern von Demokratien war immer, dass absolut niemand über dem Gesetz steht, auch Regierungen und Staatsoberhäupter nicht. Deren Immunität, die sie vor Strafverfolgung schützt, kann jederzeit durch Parlamentsbeschluss aufgehoben werden. Das ist jetzt vorbei.

Jetzt heißt es: Der amerikanische Präsident genießt auch dann Immunität, wenn er in Ausübung seines Amtes Gesetze bricht. Das bedeutet in letzter Konsequenz: Niemand kann ihm mehr was. Die USA haben zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen König. Da hätte man die Briten damals gar nicht erst mühsam rausschmeißen müssen. Vor genau 50 Jahren hat man Richard Nixon für so was noch vom Hof gejagt hat. Der hatte im Zuge der Watergate-Ermittlungen gemeint, wenn der Präsident etwas täte, dann sei es legal.

Normalerweise sind Entscheidungen des Supreme Court nicht unbedingt von weltpolitischer Relevanz. Dieses Urteil aber kann durchaus die Welt verändern, und nicht zum besseren. "Es ist ein Urteil von atemberaubendem Ausmaß, das einem Hieb mit dem Baseballschläger auf die Kniescheiben der amerikanischen Demokratie gleichkommt." (Annika Brockschmidt) Und das geht uns alle an.

Das Präsidialsystem der USA funktioniert sehr verkürzt ausgedrückt so, dass der Präsident sozusagen ein auf vier Jahre vom Volk gewählter Ersatzkönig mit weitreichenden Befugnissen ist. Bei den Entscheidungen, die Könige als oberste Richter, Schatzmeister und Kriegsherren allein treffen durften ('Regalien'), braucht er allerdings die Zustimmung des Kongresses oder sie sind Sache der Justiz. Das nennt sich Gewaltenteilung und die wurde in der ältesten noch bestehenden Demokratie der Welt jetzt faktisch abgeschafft. Übertrieben? Nein.



Alles illegale Dinge, aber niemand kann ihn mehr für irgendwas belangen. Solange es 'offizielle Handlungen' sind. Wenn der Präsident die Nationalgarde gegen politische Gegner einsetzte? Das wäre illegal, aber scheißegal, weil es eine 'offizielle Handlung' in seiner Funktion als Präsident wäre. Man muss mit historischen Parallelen immer vorsichtig sein, aber hier winkt tatsächlich ein Ermächtigungsgesetz von ferne. Kann ja sein, dass ich übertreibe, ein Hysteriker bin. Definitiv bin ich alles andere als ein Experte für US-Staatsrecht, geschweige denn US-Verfassungsrecht. Lesen wir also nach bei Sonia Sotomayor, eine der drei liberalen Richter:innen am SCOTUS, die dem Urteil widersprochen hat:

"Die Mehrheit [des Gerichts, d.V.] unternimmt drei Schritte, die den Präsidenten faktisch vollständig von der strafrechtlichen Verantwortung freistellen.

"Erstens schafft die Mehrheit absolute Immunität für die Ausübung der 'zentralen verfassungsmäßigen Befugnisse' des Präsidenten. [...] Diese Feststellung ist bei den Fakten der Anklageschrift unnötig, und der Versuch der Mehrheit, sie auf die Fakten anzuwenden, dehnt das Konzept der Kernbefugnisse über jede erkennbare Grenze hinaus aus.

In jedem Fall wird sie schnell durch den zweiten Schritt in den Schatten gestellt, der darin besteht, eine weitreichende Immunität für alle 'offiziellen Amtshandlungen' zu schaffen. […] Ob man es nun als mutmaßlich oder absolut bezeichnet, nach der Regel der Mehrheit ist der Gebrauch jeglicher Amtsgewalt durch einen Präsidenten für jeden Zweck, selbst für den korruptesten, immun gegen Strafverfolgung. Das ist genauso schlimm, wie es klingt, und es ist unbegründet. [...]
 
Wofür kann der schon heute mächtigste Mann der Welt denn künftig noch vor Gericht gestellt werden? Befiehlt er dem Seal Team 6 der Navy, einen politischen Rivalen zu ermorden?  Immun. Organisiert einen Militärputsch, um sich an der Macht zu halten? Immun. Nimmt eine Bestechung im Austausch für eine Begnadigung an? Immun. Immun, immun, immun." (zit. bei Brockschmidt)

(Das Seal Team Six ist die Eliteeinheit, die Osama bin Laden aufgespürt und liquidiert hat.)

Nun könnte man ja sagen: Hey, dann soll Biden als amtierender Präsident doch einfach das Seal Team Six nach Mar-A-Lago schicken, um seinerseits Trump hopszunehmen. Die Befugnis hätte er ja jetzt. Pustekuchen!

"[D]as Gericht hat sich selbst die Befugnis gegeben, zu bestimmen, welche Handlungen strafrechtlich verfolgt werden können und welche nicht, indem es sich selbst zum endgültigen Schiedsrichter darüber macht, was 'offiziell' ist und was nicht. Somit unterliegt jede Handlung eines Präsidenten der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, und es ist davon auszugehen, dass dieses Gericht einem Demokraten nicht denselben Spielraum einräumen würde wie Trump." (Heather C. Richardson)

Trump hat von 2016 bis 2020 die drei entscheidenden Richterstellen am Supreme Court mit rechtsradikalen/religiösen Fanatikern besetzt, die dieses Urteil möglich gemacht haben. Unter anderem Brett Kavanaugh, der bei seiner Anhörung durch den Senat vor seiner Amtseinführung 2018 noch betont hat, niemand, auch nicht der US-Präsident, stünde über dem Gesetz. Trump hat geliefert, der mehrheitlich korrupte Gerichtshof sagt danke und revanchiert sich.

Überflüssig zu erwähnen, dass der potenzielle Autokrat Trump bis zum Anschlag in Putins Rektum steckt und ihm die Ukraine auf dem Silbertablett servieren würde. Und alles, was jetzt noch dazwischensteht, ist ein gefühlt 100jähriger Kandidat der Demokraten, der jeden Tag um vier Uhr nachmittags wegdämmert und sichtlich nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte ist und bei dem mit jedem neuen Tag die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das sein letzter ist.



Ich bin wirklich kein Schwarzseher, aber mir wäre etwas weniger unwohl, wenn es noch einen Plan B gäbe...








10 Kommentare:

  1. "Befiehlt er dem Seal Team 6 der Navy, einen politischen Rivalen zu ermorden? Immun. Organisiert einen Militärputsch, um sich an der Macht zu halten? Immun."

    Hmm ... Obama ließ bin Laden umbringen, Nixon stürzte Allende.
    Reagan putschte in Grenada. Das fällt mir spontan dazu ein.
    Klar ist mein Statement angreifbar und evtl. schief. Aber grob gesehen stimmt es.
    (wahrscheinlich brauchen manche westliche Demokratien für Jahrzehnte ein Purgatorium, um überhaupt wieder zu funktionieren: Frankreich - Le Pen, Großbritannien - Farage, Deutschland AfD. Das dann noch mit ethnischer Kleinstaaterei abgeschmeckt - Katalonien)

    Gruß
    Jens

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    1. Abgesehen davon, dass die drei genannten Beispiele in der Tat sehr kritikwürdig sind (die Aktion gegen Bin Laden könnte man noch als Antiterroreinsatz durchgehen lassen), ist das in der Tat schief. Alle drei Präsidenten, Nixon, Reagan und Obama, waren keine de facto-Diktatoren und hätten dafür vom Kongress die Immunität entzogen bekommen und des Amtes enthoben werden können. Das jetzt quasi nicht mehr möglich.

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    2. DasKleineTeilchen7. Juli 2024 um 03:51

      schiefer teil; alles nicht auf amerikanischem boden mit amerikanern als ziel passiert. geht jetzt.

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  2. Verbesserungsvorschlag:
    ,,Nationalgarde'' streichen und durch ,,US Army'' ersetzen. Die Nationalgarde unterstehen nicht dem Präsendenten sondern ist die Milizen der Bundestaaten.

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    1. Jein. Lt. Tante Wiki ist der Befehlshaber der Nationalgarde zwar der Gouverneur des jeweiligen Bundesstaates, bei Einsätzen auf Bundesebene, evtl. gegen eine US-weit aktive Gruppierung, ist der POTUS Commander in Chief. Die Nationalgarde des District of Columbia (Washington D.C.) untersteht direkt dem Präsidenten.

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    2. Der Präsident kann einen Einsatz der Nationalgare auf der Bundesebene allerdings AFAIK ,,nicht mal eben'' befehlen. Da würden ihm die anderen Governors ja was huste, denn das ist ja im Prinzip deren eigene Armee.
      Deswegen wäre ,,US Army'' das passendere Beispiel IMHO.

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    3. DasKleineTeilchen7. Juli 2024 um 03:55

      "Der Präsident kann einen Einsatz der Nationalgare auf der Bundesebene allerdings AFAIK ,,nicht mal eben'' befehlen"

      janaebendoch; jetzt kanna. "offizielle" handlung innerhalb seiner funktion als presi. wenn ihm n governour quer kommt, einfach absetzen. whole point of the post from stefan.

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    4. Mmmh:
      > Mit dem Militia Act 1903 wurde eine Vereinheitlichung der Milizen beschlossen und der Bundesregierung die hierfür erforderlichen Vollmachten eingeräumt. Zudem wurde geregelt, dass die Milizen im Kriegsfall und bei nationalen Notständen der Bundesregierung und damit dem Präsidenten als Oberbefehlshaber unterstellt werden können.
      (https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalgarde_der_Vereinigten_Staaten)

      Hier ist das Wörtchen ,,können'' wichtig! Warum sollten die Bundesstaaten eigene Milizen (als Gegengewicht zum Nationalstaat) unterhalten, wenn ihnen der Präsident die einfach wegnehmen kann?

      Hier noch ein Artikel der Tagesschau dazu:
      https://www.tagesschau.de/ausland/nationalgarde-usa-101.html

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    5. DasKleineTeilchen7. Juli 2024 um 10:39

      "...wenn ihnen der Präsident die einfach wegnehmen kann?"

      weila vor dem sc-urteil nicht die theoretische machtfülle eines alleinherrschers innehatte? zur konsequenz ausgelegt; jede handlung des präsidenten als präsident ist "offiziell" und kann nicht strafrechtlich verfolgt werden, da offiziell. basically.

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    6. Da geht es um Strafverfolgung. Beim Einsatz der Nationalgarde im Inland geht es darum, ob er dazu berechtigt ist und ob sie ihm folgen wird.
      Ich denke, die Nationalgarde wird eher ihren Governern folgen und nicht einem verrückten Präsidenten. Genau dazu wurde die Nationalgarde ja gegründet - als Gegengewicht zur US Army.

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