Mittwoch, 3. Juli 2024

Vermischtes zur Eh-Em (V) - Achtelfinalbilanz


Die Achtelfinals wären überstanden. Nicht-Fußballaffine können sich auch freuen: Die Spieltage werden seltener.

Das Team des sympathischen multilingualen Bergvölkchens im Südwesten hat die Italiener humorlos mit 2 : 0 nach Hause geschickt. Auch ohne den pomadigen Auftritt der Azzurri hätte ich mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen können. Die Engländer sind wieder einmal angetreten nach dem Motto "Wir werden das hier schon gewinnen, weil wir den ganzen Kram schließlich mal erfunden haben". Und verließen sich darauf, dass ein paar geniale Einzelaktionen genügen würden. Was ja auch irgendwie geklappt hat. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, sollte gegen die eingangs erwähnten Schweizer aber Endstation sein. Sollte.

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Wenn Bellinghams albernes Getue inklusive Dicke Eier-Geste irgendeinen Sinn haben sollte, dann nicht als Zeichen des Triumphs über einen Gegner, dessen Trainer, um das 1 : 0 über die Zeit zu bringen, in der zweiten Halbzeit Spieler vom VfL Bochum und vom HSV eingewechselt hatte (nein, nichts gegen diese beiden wackeren Teams, sie sind halt nur, wie soll ich sagen, ein klein wenig von der absoluten Weltspitze weg), sondern darüber, dass er und Kollege Kane in zwei genialen Szenen (90. + 5', 91.) die Bräsigkeit und Arbeitsverweigerung ihrer überschätzten Truppe zumindest kurz vergessen machten. Und Trainer Southgate verdankt seinen Verbleib im Job wohl allein der Tatsache, dass der Schiedsrichter unerfindlich großzügige fünf Bonusminuten draufgelegt und auch nicht genau nach diesen fünf Minuten abgepfiffen hat.

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Einigermaßen überraschend hingegen, dass die türkische die österreichische Mannschaft schlagen würde. Die alpinen Nachbarn standen für mich wegen ihrer auch taktisch starken Performance mit einem Bein im Viertelfinale, konnten aber trotz guter Leistung dem emotionalisierten Rustikalfußball der Türken nicht genug entgegensetzen. Schade. Nicht dass in Österreich jetzt die Diskussionen losgehen: Rangnick kann weg, denn im Achtelfinal rausfliegen, sehn's, oiso des hättma auch ohne den Piefke g'schafft. 

(Und die Faschogeste des türkischen Doppeltorschützen? Ruhig Blut, der Ronny des Monats ist noch in der Nominierungsphase. Meeep-meeeeep!)

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Ansonsten boten die Achtelfinals viel Magerkost. Die Franzosen um Kylian 'Fantomas' Mbappé mühten sich nach uninspiriertem Kick gegen die wieder einmal schwer an ihren Vorschusslorbeeren tragenden Belgier mit einem Elfmeter und die Portugiesen um die Rentnerband Ronaldo und Pepe im Elfmeterschießen dank dreier grottenschlecht geschossener Elfer der Slowaken (dreimal hintereinander halbhoch halblinks -- geht's noch?) jeweils eine Runde weiter. Heraus ragten bislang die spanische, die österreichische, die schweizerische und die deutsche Mannschaft. Gönge es gerecht zu und gäbe es einen Fußballgott, dann würden diese vier Teams im Halbfinale die Sache unter sich ausmachen. Doch sind die Österreicher, wie gesagt, schon wieder daheim und der Turnierbaum will es so, dass jeweils zwei der anderen sich schon im Viertelfinale eliminieren und zwei Minimalistentruppen ins Halbfinale rutschen werden.

Sich als Minimalistentruppe irgendwie ins Halbfinale bugsieren -- hm, das kennen wir doch von irgendwo. Hat die deutsche Mannschaft bis 2002 auch oft so gehalten. Wollte es mal gesagt haben.

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Ich mochte es ja, als die bewährten Herren Zeigler und Köster es erwähnten, nicht glauben, aber Christina Rann, Kommentatorin des Spiels Portugals gegen die Slowakei bei Magenta, hat eine Art Shitstorm kassiert. Weil sie es arroganterweise gewagt hat, die Namen der portugiesischen Spieler korrekt auszusprechen. Die arrogante Streberbitch aber auch! Fun fact: Frau Rann hat einen portugiesischen Elternteil und ist zweisprachig aufgewachsen. Wie wenig muss im Leben mancher Leute los sein, fragt sich da...

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Nun zum Spiel der DFB-Auswähl gegen die dänische. (Pardon, wird länger. Wer nicht will, soll wegscrollen.)

Der VAR bestätigte in dieser Partie die schlimmsten Befürchtungen. Fast alle wichtigen Szenen passierten unter Vorbehalt. Gejubelt oder gepfiffen werden konnte erst, wenn die Entscheidung durch die in Leipzig stationierte Kontrollzentrale abgesegnet war. Der VAR, eigentlich als Hilfe in strittigen Situationen gedacht, hat dem Spiel jeglichen Fluss genommen, ihm seine Logik aufgedrückt und es in eine kleinliche, bürokratische Pedanterie verwandelt. Die Rücknahme von Schlotterbecks 1 : 0 mochte noch in Ordnung gewesen sein. Wobei Musialas 1 : 0 gegen Ungarn, nach mindestens ähnlich strittiger Szene von Gündoğan, gegeben worden war -- woran sollen Spieler sich da orientieren?

Man kann aber mit einiger Sicherheit sagen, dass die beiden Millimeterentscheidungen gegen Andersen ohne VAR nie und nimmer gepfiffen worden wären und die Dänen über die Maßen benachteiligt haben. Ich wäre auch stinkig gewesen als dänischer Trainer. Dafür, dass der Ball Andersens Hand hauchfein gestreift hat, einen Elfmeter zu geben, ist so, "als würde man für den Diebstahl von drei Bonbons mit drei Monaten Gefängnis bestraft." (Christoph Biermann)

"Wenn du eine große Nase hast, bist du heutzutage im Abseits." (Aleksander Čeferin, 2019)

Gewiss, Regeln sind Regeln und Technik ist nicht per se schlecht. Die Torlinientechnologie hat sich gut bewährt und stört keinen. So wie die Einführung der Zielfotografie in der Leichtathletik gerade die oft hauchdünn entschiedenen Sprintdistanzen gerechter gemacht hat. Niemand wünscht sich handgestoppte Zeiten zurück. Aber auch da ist irgendwann Schluss. Sind zwei Läufer auf die Hundertstelsekunde gleichauf, gibt es eben zwei Sieger. Allzu pedantisches Auslegen der Regeln nämlich führt diese ab einem gewissen Punkt ad absurdum. Weil das mit dem eigentlichen Sinn, derentwegen sie einst eingeführt wurden, nichts mehr zu tun hat und keinem nützt. Und Siege, die nur Dank kleinlichster Regelauslegung am grünen Tisch errungen werden, fühlen sich fast immer irgendwie falsch an.

Bei der heurigen Leichtathletik-EM in Rom etwa hatte die zweitplatzierte Hindernisläuferin Gesa Krause eine Stunde lang Gold. Nach einem Protest des DLV war der französischen Siegerin Alice Fernot die Goldmedaille zunächst aberkannt worden. Sie war in der letzten Kurve auf die Bahnbegrenzungslinie getreten. Ein Regelverstoß, ja, aber Finot hatte das Rennen mit mehreren Metern Vorsprung gewonnen, das Touchieren der Linie keinerlei Einfluss auf den Ausgang des Rennens. Daher wurde der Protest später wieder abgewiesen und sie bekam ihr Gold zurück. Ihr den Sieg abzuerkennen, wäre unverhältnismäßig gewesen. Eine Entscheidung mit Augenmaß, mir der auch Krause kein Problem hatte. Und so war es ein Glück, dass Musiala am Samstag noch ein sauber herausgekontertes 2 : 0 drauflegte, Havertz’ Elfmetertor (53.) allein wäre definitiv kein Grund zum Jubeln gewesen.

"Abseits wurde einst erfunden, damit Stürmer nicht einfach vor dem gegnerischen Tor herumlümmeln und auf den Ball warten. Nun werden Spieler zurückgepfiffen, die einen Zentimeter im Abseits standen, ein paar Sekunden später auch schon wieder nicht mehr. Aber welchen, um jeden Preis zu bestrafenden Vorteil hat sich der Stürmer gegenüber einem Verteidiger verschafft, der mit der Fußspitze einen Zentimeter im Abseits stand? Die Strafe, also das Zurücknehmen eines Treffers, steht in keiner Relation zu einem minimalen, lediglich durch technische Hilfsmittel detektierbaren Regelverstoß. [...]

Die Handregel ist die vielleicht elementarste des Fußballs. Sie sollte verhindern, dass Fußballer wie beim Rugby mit dem Ball in der Hand über den Platz rennen. Oder ihn ins Tor werfen oder dass ein Feldspieler den Torwart imitiert. Mittlerweile hat sie sich komplett verselbstständigt. Es wird nach jeder, auch unabsichtlichen Berührung gefahndet, als seien die Regelhüter Kaufhausdetektive. Und auch hier steht die Strafe, nämlich ein Elfmeter, also eine 70-prozentige Torchance für den Gegner, kaum im Verhältnis zum vermeintlichen Regelbruch." (Christian Spiller)


Das Problem ist: Wer soll entscheiden, wo ein ahndenswerter Regelverstoß beginnt, eine tolerable Ungenauigkeit aufhört und umgekehrt? Ein weiteres zentrales Element des Fußballs war immer der menschliche Faktor, die Tatsache, dass Schiedsrichter Menschen sind und damit fehlbar und man manchmal eben Pech hat. Überdies besteht die Gefahr, dass das milliardenschwere Hochglanzgeschäft Profifußball durch die elektronischen Helfer noch weiter der Basis entrückt. Ein Kölner Keller steht halt nur den oberen Ligen zur Verfügung. In den unteren Ligen mühen sich ehrenamtliche Schiris Spieltag für Spieltag, dass ihnen das Geschehen nicht um die Ohren fliegt und es nur beim Angepöbeltwerden bleibt.

Wir haben uns an jenem gewittrigen Samstag in unserer trauten Guckrunde irgendwann den Spaß gemacht, bei jedem Pfiff von Referee Michael Oliver die VAR-Geste zu machen (mit den Zeigefingern ein Rechteck in die Luft zeichnen) und uns möglichst bekloppte 'Regelverstöße' auszudenken. Rasen zu grün, beim Freistoß war ein 5 Millimeter zu langer Grashalm im Weg, Nagelsmann hat gefurzt, Fans zu laut, Bier zu warm, Stadionwurst zu teuer.

Das Spiel der deutschen Mannschaft in den ersten zwanzig Minuten der ersten Halbzeit gehörte trotz allem zum fußballerisch Besten, was diese EM bislang zu bieten hatte. 20 gute Minuten werden gegen die Spanier aber nicht reichen, ist zu befürchten.

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Hätten Sie’s gewusst?






9 Kommentare:

  1. Gute Analyse. Das Achtelfinale war fast durchgehend öde. Zwei Dinge nerven mich: Der VAR kastriert den Schiri, er sollte nur in den seltensten Fällen zu Rate gezogen werden (ich kenne das aus der Formel 1, der Frontflügel ist 0,1 Millimeter zu breit und der Wagen wird disqualifiziert und die Punkte gestrichen); nach klarem Abseits das Spiel weiterlaufen lassen. Wo ist da der Sinn? Wohltuend hingegen die Regel gegen die Rudelbildung um den Schiri. Fortschritt ist möglich.

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  2. Ni siquiera 90 buenos minutos alemanes serán suficientes mañana. ¡Cada uno de los minutos españoles será mejor! ¡Viva España!

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    1. Entscheidend ist auf dem Platz, der Ball ist rund, ein Spiel hat 90 Minuten. Veremos...

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    2. Lo vimos. Das Spiel hatte dann sogar 120 Minuten, und keine davon war langweilig. Die BRD-Mannschaft war tatsächlich so gut, dass ich auch ihr den Sieg gegönnt hätte. Pero mi corazón estaba con los españoles. ¡Felicidades!

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    3. Glückwunsch. Alles Gute im Finale.

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  3. Ja, der Schweiz vergönnt man den Sieg gerne. Kleiner Einwand: Die Schweizer pauschal als Bergvölkchen zu definieren, ist ein gängiges aber unstimmiges Klischee. Tatsächlich lebt lediglich ein Viertel der Schweizer Bevölkerung im Alpenraum, die überwiegende Mehrheit lebt im Flachland. (In Österreich hingegen lebt mehr als die Hälfte der Einwohner im alpinen Raum, prozentuell also doppelt soviele wie in der Schweiz.)

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    1. Die Flachländler mögen in der Überzahl sein. Aber die bergnah lebenden Schweizer haben sich schon immer um den besseren Draht zum HErrn bemüht ("Wenn der Alpenfirn sich rötet, betet, freie Schweizer, betet!") Und Wohlwollen vom Allerhöchsten könnte am Ende den Ausschlag geben, wer weiß?

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    2. Verglichen mit der norddeutschen Tiefebene ist so ziemlich alles Bergland...

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  4. ... ich warte dann mal, bis sich in Herne der Fußballgott wieder schlafen gelegt hat.

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