Freitag, 9. August 2024

Gedrechselt ungehobelt


Man kann ohne Übertreibung sagen, dass der jetzt mit 88 Jahren verstorbene Rainer Brandt einen ebensolchen Einfluss auf die deutsche Alltagssprache hatte wie die geniale Disney-Übersetzerin Erika Fuchs. Brandt war in den 1960ern Autor bei der Berliner Synchron KG und sehr angeödet von Lippensychronitzität und philologisch exakten Übersetzungen. Er begann, Filme und Serien in 'Schnodderdeutsch' zu synchronisieren. Dazu verband er den 'hardboiled'-Slang eines Philip Marlowe mit hoher Sprachkunst und dem, was er um 1968 in Westberliner Kneipen, Diskotheken ("Opa, was ist eine 'Diskothek'?"), Haschlöchern, Bars und Rockertreffs so aufschnappte.

So wurde in Brandts Synchronisationen eine Pistole zur Umpuste, zur Töte, zum Menschenlocher. Man setzte sich durch mit Sprüchen wie "Sachte, Merkwürden, sonst kannst du morgen früh dein Brötchen aus der Schnabeltasse lutschen!". Eine Aufforderung, bitte das Feld zu räumen, lautete: "Strahl ab, beam weg, verfatz dich, du verbogener Hutständer, oder ich werd' heiser vor Wut." Und als akzeptierte Begrüßung einer Vorzimmerdame ging "Darf ich mal an Ihrer Muschel schnuppern, Gnädigste?" durch. Freundlich nach Durchlass zu fragen hieß bei Brandt: "Platz, ich bin der Landvogt!". Und zur Nacht verabschiedete man sich mit "Sleep well in your Bettgestell."

Ein kleines Best of:

"Mir schwellt da eine Frage im Gebeiß!"
"Schöne Tapete haben Sie an. Selbst gemalt?"
"Ich hoffe, Sie sind nicht gram, wenn ich Ihnen mal die Hand drücke -- aber mitten ins Gesicht."
"Bei Mundgeruch immer auf die Schnauze draufhaun."
"Ein guter Schluck zur rechten Zeit erhebt des Knabens Männlichkeit"
"Sind alle Sinclairs hier begraben?" -- "Nein, natürlich nur die toten."
"Der Moore hat seine Schuldigkeit getan, der Moore kann gehen."
"Tritt ein und bring den Dings mit rein!"
"Hände hoch -- ich bin Achselfetischist!"
"Darum schieß mit einem Püsterich auf keine alten Leute nicht."
"Ja, steh ich denn im Wald und Rübezahl beißt mir ins Beinkleid?"
"Wenn dir jemand auf die linke Wange schlägt, sollst du auch die rechte hinhalten. Das steht in so einem großen Buch -- ich glaube, es heißt Atlas."
"Erheben wir unsere Gläschens -- zur Freud und Kurzweil unsres Bläschens."
"Ab heute wird nicht mehr getrunken, aber auch nicht weniger."
"Der wahre Mann kämpft mit der Faust, bis du ihm auf die Schnauze haust."
"Auf Wiedersehen, aber es eilt nicht."
"Daniel, würdest du bitte mal nach Gießen -- ihr müsst jetzt alle lachen, ich habe nämlich falsch betont, es muss heißen nachgießen!"
"Die hat statt Haaren auf den Zähnen Stacheldraht."
"Für dich tu ich doch alles, da werf ich mich sogar hinter’n Zug."
"Haben Sie Zucker? Ihnen sitzt ’ne Biene an der Hose."
"Ich bin beim Essen.“ -- "Die Abfalleimer werden hier doch erst in zwei Stunden rausgestellt."
"Das ist der mieseste Kaffee, den ich je in meinem Leben getrunken habe." -- "Das ist kein Kaffee, das ist Abwaschwasser." -- "Oh, Entschuldigung, dann ist er wiederum sehr gehaltvoll."
"Den Hund hab ich für'n belegtes Brötchen gehalten."
"Dem hat man mit dem Hockeyschläger die Fontanelle gespalten, die verbleibenden paar Sardellen peitschte er sich mit Brillantine um den Ballon."
"Wenn du das Beinkleid voll haben solltest, schreib'n Kärtchen, ich komm dann mit dem Polizeipräsidenten persönlich."
"Locken -- mit S wie Feger."
"Dem fällt schon der Staub aus der Kapuze!"


Der Durchbruch kam mit der Serie 'Die 2' mit Tony Curtis und Roger Moore. In der deutschen Fassung funkelten Ironie und Metaebene um die Wette ("Du musst jetzt etwas schneller sprechen, Lordchen, sonst bist du nicht mehr synchron!"). Brandts Dialoge machten Terence Hill und Bud Spencer in Deutschland zu Stars, obwohl die Werktreue arg litt. Eigentlich ernste Filme wie 'Die rechte und die linke Hand des Teufels' wurden bei ihm zu Schenkelklopf-Komödien. Aber das sah man damals nicht so eng.


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Ab den Achtzigern begann der Stern des 'Schnodderdeutsch' zu sinken. Immer mehr hatten die Möglichkeit, sich Filme im Original anzusehen und empfanden derlei Freiheiten als unangemessen und dem Original nicht gerecht. So wie auch kreuzdumme deutsche Filmtitel, bei denen auch Kreativität mehr oder weniger frohe Urständ' feierte. Sprücheklopferei a'la Brandt verkam zunehmend zur peinlichen Lachnummer und gehörte zum mit Wiederholungstaste abgespieltem Repertoire krampfhaft witziger, weirder Onkels auf Familienfeiern und anderer Schmunzelmuffen. Das ist einerseits verständlich, aber auch schade. Denn:

"Die Kunst der gedrechselt ungehobelten Beleidigungen stirbt allmählich aus. Oder wann sind Sie zuletzt gefragt worden, ob Ihnen »schon mal einer mit einem Vorschlaghammer einen Scheitel gezogen« hat? Der Synchronsprecher, (Dialog-)Autor und Schauspieler Rainer Brandt beherrschte die feine Kunst, auf der Leinwand gesprochene und vorher minutiös durchkomponierte Sprache glaubwürdig als urwüchsig und spontan zu verkaufen." (Axel Weidemann)

In den letzten Jahren, da man seit Aufkommen der DVD die Möglichkeit hat, nicht nur den Originalton, sondern verschiedene Synchronfassungen einzuspielen, wuchs auch der Respekt vor Brandts kreativer und ästhetischer Leistung wieder. Und womit? Mit recht. Das walte Hugo.








5 Kommentare:

  1. Da ist wieder eine gute Stimme verstummt, nach Thomas Danneberg, der letztes Jahr im September verstorben ist - und die Stammstimme von unter anderem Terence Hill war. Und ja, die Dialoge von Rainer Brandt waren nicht ohne - er war auch die Lautsprecherstimme bei M.A.S.H. 4077 (Serie). Aus "Die 2" blieben mir viele Sprüche in Erinnerung, die bei uns manchmal in der Alltagssprache gelandet sind. Auch die "Zimmerflak".
    Wenn ich mich nicht täusche, hatte Brandt auch mit der Dialogregie bei der Synchronisation von "Starsky & Hutch" zu tun, die vom Original ebenfalls meilenweit entfernt war. Wie auch immer, den Sprachstil werde ich vermissen.

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    1. Genau, die 'Zimmerflak'! Zu Brandts letzten großen Arbeiten gehörten glaube ich die Serien Seinfeld, Frasier und Alle unter einem Dach. Aber nicht mehr im Schnodderton.

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    2. Vielleicht hätte man damals die Österreicher mit einbeziehen sollen. Keine mir bekannte Sprache vereint wortgewandte Ästhetik (Bist Du deppad!) mit pragmatischer, urdeutscher Direktheit (Mistkübel für "Restmüllbehälter"). Möglich aber auch, dass damals den meisten der Kontext gefehlt hätte. Wer außerhalb von Bayern kennt sich aus in den Feinheiten der österreichischen Sprache. Damals musste man ja auch die Münchner Tatorte mit Untertitel versehen...

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  2. Entschuldigung, ein bisschen Spät.

    xttps://www.youtube.com/watch?v=LwplvCPX1tU

    Ich hoffe, es gefällt.

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    1. Besten Dank. Ich habe mir erlaubt, das gleich mal einzubetten.

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