Samstag, 9. November 2024

Ampel auf Rot


"If you need a role model you are a dick." (Charlie Brooker)

Dass Alice Weidel angesichts der US-Wahlen jubilierte, weil sie nunmehr den Anbruch eines neuen rechten Zeitalters dämmern sah -- sie nannte Trump tatsächlich ein "Vorbild für die AfD" --, mag ja aus ihrer Sicht verständlich sein. Nur fragt sich erstens: Vorbild für was? Notorisches Lügen, Betrügen, Beleidigen, Heuchelei, Rassismus, Großmäuligkeit, Gegenaufklärung, verwirrtes Rumschwallen, Firmen an die Wand fahren, Appelle an niederste Instinkte? Brauchen die dafür echt ein Vorbild? Aber danke für die Bestätigung noch mal. Und zweitens fragt sich, ob die denkt, Trump würde bei seinen angedrohten Strafzöllen auf EU-Importe Ausnahmen machen für ungarische Salami oder Glaswaren aus dem Landkreis Sonneberg? Weil da ja Brüder und Schwestern im Geiste regieren?

Und die Ampel so? Italienische Medien rieben sich die Augen. Waaas? Die Tedeschi können das auch? Was hierzulande seit Tagen als politisches Erdbeben und veritable Staatskrise durch alle Kanäle rauscht, entlockte einem routinierten italienischen Politbeobachter bloß eine Reaktion wie: "Regierung im Eimer? Aha. É alora? Was machen wir nach dem Mittagessen?" Was am Mittwochabend passiert ist, dass eine von Anfang an auf Kante genähte Regierung letztlich auseinandergeflogen ist nämlich, ist in einer parlamentarischen Demokratie zwar kein alltäglicher, aber doch ein ziemlich normaler Vorgang und kein Weltuntergang. Nur halt im stabilitätsbesessenen Deutschland ungewohnt. Man wird sich da gewöhnen müssen, denke ich.

Plustereien wie die, dass mit der Wiederwahl Trumps und dem Ende der Ampel die woke Genderdiktatur eine finale Klatsche bekommen habe und nun endlich wieder 'normale' Zeiten anbrächen, kann man getrost als den kulturkämpferischen Unfug abtun, der er ist. Es gibt genau zwei Gesetze der vergangenen drei Jahre, in denen man eine 'woke' Handschrift erkennen kann: Das Selbstbestimmungsgesetz und die sehr verklausulierte Cannabisfreigabe. Es ist recht einfach: Die Ampelkoalition verstand sich als 'Fortschrittskoalition', die den Reformstau der Merkel-Jahre angehen will. Das Geld für die geplanten Investitionen sollte unter anderem aus nicht genutzten Corona-Mitteln kommen. Als das Bundesverfassungsgericht dem vor einem Jahr auf Betreiben von Friedrich Merz einen Riegel vorschob, da es sich um zweckgebundene Mittel handelte, war die wichtigste, vielleicht einzige Geschäftsgrundlage für dieses ungleiche Bündnis futsch.

"Die Schuldenbremse hat die Ampel gekillt. Natürlich brauchte es einen, der sich daran festkettete, und das war Lindner. Doch sein mächtigstes Blockadeinstrument hat ihm vor 15 Jahren eine eine weit über Union und SPD hinausreichende große Koalition geschmiedet -- zu einer Zeit, da sich das Haushaltsgebaren einer schwäbischen Hausfrau als hinreichende volkswirtschaftliche Vernunft verkaufen ließ. Das Gas kam schließlich billig aus Russland, und für komplexere Lagen reichte die Fantasie nicht." (Ulrike Winkelmann)

Der wahrscheinliche nächste Bundeskanzler Merz wird, allen markigen Sprüchen zum Trotze, so einige Kröten schlucken müssen, denn auch er kann die Gesetze der Mathematik nicht aushebeln. Wird vor exakt den Problemen stehen wie die noch amtierende Regierung: Für eine weitere Unterstützung der Ukraine und vor allem für dringend nötige Investitionen wird er die obsolete Schuldenbremse wenn nicht abschaffen, so aber zumindest deren Vorgaben (0,35 % des BIP) modifizieren müssen. Dazu müsste das Grundgesetz geändert werden.

Für diese Grundgesetzänderung wird er, so der Bundestag nach der Neuwahl (was soll dieser Blödsinn mit den "Neuwahlen" eigentlich immer? Es wird eine Neuwahl geben und gut) ungefähr so aussehen sollte wie in den momentanen Umfragen, mindestens die Stimmen von SPD, Grünen und BSW brauchen, wenn man davon ausgeht, dass FDP und Linke die 5 Prozent nicht erreichen sollten und Merz kein Kanzler von Gnaden der AfD sein will. All diese Fraktionen werden sich ihre Zustimmung teuer bezahlen lassen.

Die SPD wird wohl sagen: Bundeswehr aufrüsten okay, Ukraine-Hilfen okay, aber keine weiteren Kürzungen beim Bürgergeld und im Sozialetat, Erhöhung des Mindestlohns.
Die Grünen werden wohl sagen: Bundeswehr aufrüsten okay, Ukraine-Hilfen okay, aber keine weiteren Kürzungen beim Bürgergeld und im Sozialetat, Erhöhung des Mindestlohns. Plus Ausbau der Kindergrundsicherung, Forcieren des Klimaschutzes.
Das BSW wird vielleicht sagen: Bürgergeld nur für Deutsche, Grenzen dicht. Aufrüstung und Ukraine-Hilfen? Njet. 
Und wenn die FDP doch knapp in den Bundestag käme und wieder mal Zünglein an der Waage wäre, dann würde es nur noch komplizierter.

Da kann man nur viel Vergnügen bei der Kompromissfindung wünschen. Denn ohne die wäre auch ein Kanzler Merz bloß eine Lame duck. Mitleid mit Merz? Gewiss nicht. Der Mann hat sich mit seiner rechtsblinkenden Hauruckrhetorik exakt in die Ecke manöviert, in der er demnächst stehen wird.








2 Kommentare:

  1. "Vorbild für was? Notorisches Lügen, Betrügen, Beleidigen, Heuchelei, Rassismus, Großmäuligkeit, Gegenaufklärung, verwirrtes Rumschwallen, Firmen an die Wand fahren, Appelle an niederste Instinkte?"
    Summasumarum ein formidabler Antimensch. Alle niederen Instinkte plus die 7 Todsünden vereinigt in diesem Zellhaufen. Alles, was einen (normal entwickelten) Menschen mit so etwas verbindet, sind wahrscheinlich geringe Teile der Kleinhirnfunktionen.

    Gruß
    Jens

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  2. Tja, das mag der durchschittliche Deutsche eben gar nicht, so ein superschlimmes Wahldurcheinander. Von 1933 bis 1945 wars viel besser, da musste überhaupt nicht gewählt werden. Niemals vorher und niemals nachher hat sich der Durchschnittsdeutsche so geeint und glücklich gefühlt wie in dieser so wunderbar geordneten Periode, so hats jedenfalls mal ein ostdeutscher Dramatiker gesagt. Aber was ist schon von einem Mann zu halten, der dem Unrechtsstaat DDR bis zu dessen Untergang nicht den Rücken kehren mochte, obwohl ers leicht hätte können ... Ich jedenfalls freu mich sehr darüber, in einem Land leben zu dürfen, in dem Parteien, die von so integren Persönlichkeiten wie Fritze M. geleitet werden, beim Wahlvolk am besten gelitten sind.

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