Freitag, 1. November 2024

Global play


600.000 russische Soldaten sollen seit Februar 2022 getötet oder verwundet worden sein. Es handelt sich um Schätzungen der NATO, die daher natürlich entsprechend zu behandeln sind. Aber selbst wenn es nur halb so viele wären, dann wäre das die höchste Verlustzahl einer Kriegspartei seit dem Vietnamkrieg. Carlo Masala hatte also durchaus recht mit seiner Einschätzung, Russland, ein überaltertes Land, verheize gerade eine ganze Generation junger Männer. Weil die politischen Ziele des Krieges offenbar so wichtig seien, dass man bereit sei, diesen Preis zu bezahlen. Nur: Was sind das für Ziele?

Hiesige Analysen, sei es politisch oder medial, kranken oft daran, nur das unmittelbare Geschehen in der Ukraine sowie dessen Bedeutung für den Westen bzw. die NATO in den Blick zu nehmen. Geht man einen Schritt zurück und schaut weiter gen Osten, dann lautet die unangenehme Wahrheit: Dieser Konflikt war von Anfang an ein globaler. Und soeben ist er wieder ein Stück globaler geworden. Je eher man aufhört, sich diesbezüglich irgendwelchen Illusionen hinzugeben, desto besser.

Auch ein Waldimir Putin, der sicher kein Psychopath ist, aber skrupelloser vorgeht als viele westliche Akteure, schickt nicht hunderttausende Menschen in den Tod für ein paar Tausend zerstörte Quadratkilometer Ukraine und die Aussicht auf einen Satellitenstaat, der durch eine - möglicherweise vom Westen unterstützte - antirussische Guerilla auf Jahre hinaus instabil sein könnte. Man muss also davon ausgehen, dass eine größere Strategie dahintersteckt. Und die lässt sich auch ohne tiefere Kenntnisse umreißen mit: Schwächen der globalen Position des Westens, verschieben der Machtverhältnisse auf der Welt zuungunsten des Westens. Russland soll Teil eines neuen ostasiatisch-pazifischen Machtblocks werden mit China als Hegemonialmacht, der den 'Globalen Süden' mit einschließt und bis zum Baltikum reicht. Und es ist höchst wahrscheinlich, dass nichts passiert, das nicht irgendwie mit China abgestimmt wurde.

"China setzt in seinen Einflussgebieten ausschließlich auf wirtschaftliche und fiskalische Macht, weswegen seine Präsenz in diesen Räumen über lange Zeit als Bestandteil der Globalisierung verstanden worden ist -- und Globalisierung wurde in der Zeit, als allerlei euphorische Erwartungen mit ihr verbunden waren, eher als eine Beendigung von Geopolitik als eine ihrer Varianten verstanden. So hat man vieles übersehen oder erst sehr spät wahrgenommen. Auch deswegen, weil China weder lautstark noch martialisch auftrat, sondern den Direktiven der von Deng Xiaoping so bezeichneten Katzenpfotenpolitik folgte." (Herfried Münkler)

(Wodurch sich übrigens auch Chinas Doppelstrategie gegenüber dem Westen erklärt. Eigentlich will man die westliche Dominanz beseitigen, ist aber immer noch auf die kaufkräftigen Absatzmärkte angewiesen.)

Man kann nur spekulieren, wieso Kim Jong-Un sich noch vor dem US-Wahltermin entschieden hat, zunächst 10.000 Soldaten Richtung Ukraine zu schicken. Natürlich, man weiß nicht, ob das eine mehr oder minder einsame Entscheidung war - was man bei Diktaturen eigentlich nie weiß - und welche Ziele er genau damit verfolgt. Klar scheint, dass Kim Schulterschlüsse sucht. Man kann mit einigem Recht vermuten, dass es ihm darum geht, sein bettelarmes, weitgehend isoliertes Land aus dem Paria-Status zu lösen und damit vielleicht auch besseren Zugang zu Handelsströmen zu bekommen, um auch die Versorgungslage der hungernden Bevölkerung zu verbessern, was letztlich der Stabilität der Kim Dynastie nützte.

Dass Putin der Entsendung der Nordkoreaner zugestimmt hat, verweist ferner auf ein fundamentales Problem der russischen Streitkräfte. Die arbeiten in der Ukraine ja nicht mit Wehrpflichtigen, sondern mit Freiwilligen. Weil auch Putin an Gesetze gebunden ist, die einen Einsatz von Wehrpflichtigen im Ausland nicht zulassen. Zudem können Wehrpflichtige unsichere Kantonisten sein. Die Freiwilligen indes lassen sich ihr erhebliches Risiko, gekillt oder verstümmelt zu werden, inzwischen sehr hoch vergüten. Zusätzlich zu den Gehältern, die weit über dem russischen Durchschnitt liegen, winken Rekrutierungsprämien und ein üppiges Handgeld. Zudem wird im Todesfall die Familie gut versorgt. Das hat mit dazu geführt, dass Fabriken kaum noch Arbeiter finden.

Natürlich ist es noch die Frage, wie die Nordkoreaner genau eingesetzt werden. Ob sie die Front verstärken oder eher Sicherungsaufgaben im Hinterland übernehmen sollen, ohne dass sie an Kampfhandlungen teilnehmen. Nach der Logik des Kreml jedenfalls ist Nordkorea damit Kriegspartei. Ein riskanter Schritt. Moskau hat damit kein Argument mehr in der Hand, den Ukrainekrieg als innerrussische Angelegenheit hinzustellen (folgend der Logik, dass die Ukraine schließlich ein Teil Russlands sei) und sich zu verbitten, dass NATO-Truppen auf ukrainischem Territorium irgendwie aktiv werden.

Wie das alles weitergeht, wird in vieler Hinsicht vom Wahlausgang in den USA am 7. November abhängen und der Frage, ob danach Donald Trump erneut im Weißen Haus Platz nehmen wird oder Kamala Harris, über deren außenpolitische Prioritäten nicht allzuviel bekannt ist. Putin jedenfalls weiß sehr gut, dass er mit dem zunehmend geistig verwirrt wirkenden Trump leichtes Spiel haben wird und auch 'Rocketboy' Kim hat bereits seine Erfahrungen mit dem erratischen 'Dealmaker' gemacht.

Westliche Waffenlieferungen haben, allen propagandistischen Unkenrufen zum Trotze, den Westen nicht zur Kriegspartei gemacht. Genauso wenig wie der Iran und Nordkorea durch ihre Lieferungen an Russland Kriegsparteien geworden wären. Mit der Ankunft der Nordkoreaner in der Ukraine aber ist der erste Schritt zu einer schlimmstenfalls globalen Entgrenzung des Konflikts getan. Die Machtbalance der Welt wird neu verhandelt und Russland hat, wie schon im Februar 2022, als erstes gezuckt. Und das sind keine guten Nachrichten.










1 Kommentar:

  1. China folgt der Winkekatzen-, Russland inzwischen offensichtlich der Bärentatzenpolitik. So weit, so unvegan. Was wäre dann Deutschlands Politik? Schweinderlpolitik?

    PS. Wodurch sich übrigens auch Deutschlands Doppelstrategie gegenüber China erklärt. Eigentlich will man die chinesische Dominanz beseitigen, ist aber immer noch auf die kaufkräftigen Absatzmärkte angewiesen.

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