Donnerstag, 5. Juni 2025

Vermischtes und Zeugs (CXVI)


Es ist immer wieder höchst faszinierend, wie durchaus selektiv das mit dem angeblichen 'Willen des Volkes' so gehandhabt wird. Lässt sich aus einer Umfrage irgendwie destillieren, dass ein größerer Teil der Befragten sich "eine andere Migrationspolitik" wünscht, werden Grenzen dichtgemacht (nicht), Kinder werden aus dem Schulunterricht hopsgenommen und abgeschoben, Tausende Bundespolizisten müssen Sonderschichten schieben und die europäischen Nachbarn werden brüskiert. Weil: Das Volk will es! Der Souverän hat gesprochen! Howgh! Sprechen sich zwei Drittel für einen Mindestlohn nicht unter 15 Euro aus, herrscht weitgehend Schweigen im Walde.

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Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin und schon öfter durch antiisraelische und antisemitische Äußerungen aufgefallen sowie dadurch, dass sie Israel mehrfach mit NS-Deutschland gleichgesetzt und auch sonst einiges vom Stapel gelassen hatte, führt sich selbst als Menschenrechtsanwältin. Der UNO stellte sie sich einst vor als "internationale Anwältin mit fundierten Kenntnissen im internationalen Menschenrechtsrecht und humanitären Völkerrecht." In ihrer Bewerbung schrub sie, sie sei "von Ausbildung und Berufung her Menschenrechtsanwältin" Unterschrieben hat sie das verbunden mit dem Hinweis, dass "alle Angaben in dieser Bewerbung wahrheitsgemäß, vollständig und in gutem Glauben gemacht sind".

Das mit den fundierten Kenntnissen mag durchaus stimmen, denn sie hat einen Master mit Schwerpunkt Menschenrechte (University of London). Nur hat sie niemals eine Anwaltsprüfung abgelegt und daher auch keine Zulassung als Anwältin. Als sie in einem Interview mit der italienischen Ausgabe von Vanity Fair damit konfrontiert wurde, wrang sie folgendes hervor: 

"Ich lüge nie. Ich habe die Prüfung zur Rechtsanwältin nicht abgelegt, weil ich keine Rechtsanwältin bin und es auch nie werden wollte." Und weiter: "Ich habe Jura studiert und fast wie durch Zufall war ich verwirrt, weil ich gerade meinen Vater verloren hatte. Jetzt habe ich großen Respekt vor den Anwälten in Italien, die sich mit Menschenrechten befassen, aber vor 25, 30 Jahren gab es hier noch nicht das, was ich machen wollte." (ebd.)

Aha, soso, schönschön. Während Albaneses Mandat bei der UNO stillschweigend verlängert wurde, musste die kenianische Menschenrechtsaktivistin Alice Nderitu ihr Mandat als UNO-Sonderberaterin für die Verhütung von Völkermord im November 2024 aufgeben. Grund: Sie hatte sich geweigert, das Vorgehen Israels in Gaza als "Völkermord" zu bezeichnen

Apropos: Die palästinensische Bevölkerung hat sich im Zeitraum von 1950 bis 2024 von 0,94 Mio. auf 5,5 Mio. mehr als verfünffacht. Völkermord? Zwar hat die Bevölkerung Israels sich im gleichen Zeitraum nahezu verzehnfacht und die Israelis haben hier die Nase vorn, aber zu berücksichtigen wäre, dass zur Bevölkerung Israels auch muslimische Araber:innen gehören, zur palästinensischen aber wohl keine jüdischen Israelis. 

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Früher hieß es 'Lebenskünstler' oder 'kindliches Gemüt', heute heißt es 'Peter Pan-Syndrom' und ist eine Störung. Dass es bloß niemand wagt, einfach so unproduktiv in den Tag hineinzuleben. 

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Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat es in den wenigen Wochen ihrer Amtszeit  geschafft, öfter unangenehm aufzufallen als ihre Vorgängerin Bärbel Bas (SPD) in dreieinhalb Jahren. Sie rempelt auf X (vorm. Twitter) die Journalistin Dunja Hayali an, die nichts weiter machte als ihren Job, als sie Fritze Merz eine kritisch zugespitzte Frage stellte. Und sie scheint, wie einst meine Grundschullehrerin, gern Leute vor die Tür zu setzen. Wofür man von ihr gezeigt bekommt, wo der Architekt das Loch im Reichstag gelassen hat: Baskenmütze, 'Palästina'-T-Shirt. Wofür sie einem den Hausausweis entziehen will: privat getragener 'ACAB'-Pulli. 

Was den Baskendeckel angeht, wäre es interessant gewesen zu sehen, wie ihr Amtsvorvorgänger und Parteikollege Norbert Lammert (CDU) damit umgegangen wäre. (Der hat das Amt des Bundestagspräsidenten übrigens mal als "dauernden Intelligenztest" bezeichnet.) Wenn Klöckner diese Schlagzahl beibehält, können wir uns auf abwechslungsreiche knapp vier Jahre freuen.

"Wen soll man eigentlich langweiliger finden? Das Establishment, das Frauen und Linke für ihr Äußeres maßregelt -- Rock zu kurz, Haare zu lang, und so weiter. Oder Linke, die sich brav an die Spielregeln des Provokations-Games halten und im Bundestag auftreten wie im Wahlkampf und auf TikTok. Alles so vorhersehbar. Gähn." (Lotte Laloire)

Nun gibt es gewiss deutlich klügere Parolen als 'ACAB' und man tut als Linke:r der guten Sache in der Regel keinen Gefallen damit. Wie auch Tucholskys meist aus dem Zusammenhang zitiertes "Soldaten sind Mörder!", ist das vor allem mal im historischen Kontext zu begreifen. Nur hat Jette Nietzard den Pullover gar nicht im Bundestag getragen. Außerdem ist das nicht per se strafbar und in der Regel von der Meinungsfreiheit gedeckt, auch wenn's wehtun mag. So stellt auch das bloße Vorzeigen des Wortes 'Palestine' für sich genommen noch keine politische Äußerung dar, kann aber in einen solchen Kontext gestellt werden. Bin kein Jurist, aber ich glaube, eine Klage hätte in beiden Fällen gute Erfolgsaussichten.

Wofür man hingegen nicht rausfliegt: Blaue Kornblume am Revers

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Museal: Beim Knappenverein St. Barbara


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"Shoppe wie ein Milliardär!", so klatscht es mir die staatliche chinesische Plattform EMU, pardon TEMU, ein ums andere Mal tagesbefehlmäßig um die Ohren, wenn mal wieder eine Werbeanzeige aufploppt im smarten Endgerät. Nun hatte ich in meiner mit grenzenlos, ja galaktisch nur höchst unzureichend umrissenen Naivität immer geglaubt, Milliardäre shoppten so was wie dicke Autos, Firmen, Regierungen, schlachtschiffgroße Yachten, mundgenähte Klamotten, Villen, künstliche Inseln in Dubai, sauteure Superuhren, Kunstwerke, dubiose Finanzprodukte und so was, aber nicht spottbillige Stofffetzen, Billigsttreter, sinnlose Küchengeräte, Tablets für umme und ähnlichen Ramsch. Vielleicht sollte, wer so was kauft und sich darob ernsthaft fühlt wie ein Billionario, sich mal zelebral durchchecken lassen, ob alles noch richtig verdrahtet ist unter der Frisur.







5 Kommentare:

  1. Siewurdengelesen6. Juni 2025 um 11:00

    "Es ist immer wieder höchst faszinierend, wie durchaus selektiv das mit dem angeblichen 'Willen des Volkes' so gehandhabt wird."

    Zum Schluss erkennt man noch, dass der "Volkswille" gerne auch getriggert wird durch die Medien und regierungsseitig solche Dinge immer dann Deckmantel sind, wenn´s den eigenen Interessen dient. Sonst sind die Regierenden gerne Kavalier und schweigen drüber.

    Julia Klöckner

    Da hat Frau Bosetti wieder auf den Punkt geliefert.

    Am treffendsten finde ich den Punkt, dass sich eine Frau Klöckner vielleicht mal klar werden soll, dass sie als Bundestagspräsidentin Legislative ist und nicht Teil der Regierung oder Opposition. Damit hat sie gefälligst neutral zu sein und sich nach Möglichkeit auch "privat" eher zurückhaltend zu solchen Sachen zu äußern. Gemessen an ihren Taten müsste sich sich jetzt selbst frei nach Roger Willemsen aus der "Quasselbude" werfen?

    Scheint aber mehr als bei Führungspersonen eh schon üblich ausgerechnet bei den "konservativen" Parteien so ein Usus zu sein, dass man sich für absolutistische Herrscher oder eben Pippi Langstrumpf hält.

    Millionärsshoppen?

    Mit der richtigen Währung kein Problem. Dann stimmt das auch wieder mit dem Angebot des datenschnorrenden Ramschhökers überein...

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    1. Danke für den Tipp. Frau Bosetti trifft da echt den Punkt. Es nervt mich von jeher, dass man in Teilen der CDU zu glauben scheint, dieser Staat gehöre ihnen und alles andere sei ein Frevel an der natürlichen Ordnung der Dinge.

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  2. "Der Staat ist das Produkt und die Äußerung der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze. […] Dass der Staat das Organ der Herrschaft einer bestimmten Klasse ist, die mit ihrem Antipoden nicht versöhnt werden kann, das vermag die kleinbürgerliche Demokratie nie zu begreifen. […] Die Formen der bürgerlichen Staaten sind außerordentlich mannigfaltig, ihr Wesen ist aber ein und dasselbe: Alle diese Staaten sind so oder so, aber in letzter Instanz unbedingt eine Diktatur der Bourgeoisie."
    Und zwar unabhängig davon, was Teile der CDU oder Frau Bosetti zu glauben scheinen.

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    1. Siewurdengelesen7. Juni 2025 um 10:38

      Ach?!

      Und ich dachte schon, ich sei der Einzige hier, der das gelesen hat und daher weiss.

      Und weil das so ist, dass der bürgerliche Staat eine Interessenvertretung der herrschenden Klasse ist, haben deren Vertreter auch gleich automatisch Narrenfreiheit und können selbst über ihre eigenen Gesetze hinweg regieren, wie sie lustig sind, ohne sich dafür eventuell auch bis vor einem Gericht dafür verantworten zu müssen? Wozu haben wir dann überhaupt Gesetze oder solch einzwängenden Kram?

      Der Schuss ging vielleicht ein µ am Schwarzen vorbei;-)

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  3. "Blaue Kornblume" "Palestine" "Baskenmütze" etc.
    ... dem Anlass unangemessene Kleidung: ein nerviges, infantiles Gehabe welches bis zur siebten Klasse Grundschule für evtl. hochgezogene Augenbrauen sorgt. Danach: siehe oben.

    In einem Parlament gelten (evtl.) Kleiderordnungen. Diese sollten den Teilnehmern bekannt sein. Ergo: Man/Frau ziehe sich doch einfach dem Anlass gemäß an und alles ist gut.

    Wenn Frau Bas großzügiger agiert hat — OK. Wenn Frau Klöckner das auf Basis (und innerhalb) der allgemein anerkannten und festgelegten Kleiderordnung strenger handhabt — auch OK.
    Gruß Jens

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