Donnerstag, 24. September 2015

Wenn der Klassenprimus schummelt


Die Geschichten sind zahlreich und wir kennen sie alle, nicht wahr? Wenn der Gebrauchtwagenhändler etwa sagt: "Also ich hatte das Modell ja selbst ein paar Jahre lang und bin den normalerweise mit fünfeinhalb Liter gefahren.", dann bedeutet das: Unter klimatischen Idealbedingungen, mit Fahrradbereifung, den Motor ausgekuppelt und bergab bei Rückenwind. Im wirklichen Leben tut gut, wer sich auf einen Verbrauch nicht unter acht, neun Liter einstellt. Mit Fragen wie der, wie viel Kilogramm Spachtelmasse durch das Wort "unfallfrei" semantisch noch abgedeckt sind, wollen wir gar nicht erst anfangen.

Oder der Bekannte, der sich bei einem Markenhändler einen nicht billigen Gebrauchten mit deutlich weniger als 30.000 (Kilometer, nicht Meilen) auf der Uhr kauft und zwei Monate später auf seine Frage, ob es denn nicht ein wenig ungewöhnlich sei, dass er bei jeder zweiten Tankfüllung einen Liter Öl nachkippen müsse, vom Händler zur Antwort bekommt: "So, ich habe mich mal schlau gemacht, laut Serviceheft ist ein Liter Ölverbrauch auf tausend Kilometer bei dem völlig normal. Alles im grünen Bereich!"

Nur ist der VW-Konzern eben kein Gebrauchtwagenhändler an der Ecke, von dem man im gewissen Rahmen nichts anderes erwartet, sondern der vielleicht deutscheste aller Konzerne in der deutschesten aller Branchen. Mercedes und Porsche umwehte immer was Elitäres bis Protziges, BMWs galten tendenziell als Schlipsträgerschubsen für rennsportlich ambitionierte Kilometerfresser mit Bleifuß, die auf der linken Spur die Lichthupe blinken lassen (eine Klientel, die inzwischen vornehmlich von Audi bedient wird, wo man früher eher Lodenmantel- und Jägerhutträger ansprach).

VW hingegen stand wie kein anderer Hersteller, außer Opel vielleicht, immer dafür, durchschnittliche Autos für jedermann zu bauen. Wer ein Auto hat, aber keineswegs auffallen will und es sich eben leisten kann, fährt trotz gewachsener Konkurrenz nach wie vor oft einen VW. Ein wenig langweilig, ein wenig bieder zwar, dafür grundsolide und technisch ausgereift - das ist das Image und die Strategie, mit der man es  zum zweitgrößten Autobauer weltweit gebracht und nebenbei die halbe europäische Autoindustrie aufgekauft hat.

Wenn der Klassenprimus beim Schummeln erwischt wird, wie jetzt VW beim Manipulieren von Abgaswerten, dann ist die Fallhöhe doppelt und dreifach hoch. Dabei ist es ziemlich egal, ob die inkriminierte Software ein alter Hut von 2005 ist oder ob das im Prinzip fast alle anderen Hersteller mehr oder weniger auch machen.

Abgesehen vom Imageverlust, geht es hier nicht um ein paar ärgerliche, aber letztlich harmlose Mauscheleien. Laut WHO stehen Dieselabgase auf einer Gefahrenstufe mit Tabakrauch und Asbest. Mit anderen Worten: Denen dauerhaft ausgesetzt zu sein, kann unter Umständen tödlich enden. Wie hartnäckiges Leugnen sich auf lange Sicht auswirken kann, dafür ist die Tabakindustrie ein warnendes Beispiel, die sich auch ein wenig zu lange für unverwundbar gehalten hat. Erst recht in den USA, wo auch die Wolfsburger jetzt so unangenehm aufgefallen sind.

Zusätzlich brisant wird die Sache dadurch, dass VW von jeher noch enger als andere deutsche Großkonzerne mit der Politik verzahnt ist.  Die Gründung 1937 zur Produktion des als KdF-Wagen entworfenen 'Ur-Käfers' auf Initiative Hitlers war weniger eine wirtschaftliche denn eine sozialpolitische Entscheidung. Die Staatsnähe ist geblieben. Noch heute befindet sich das Unternehmen zu 20 Prozent im Besitz des Landes Niedersachsen. Man darf gespannt sein, mit welch originellen Moves die politische Klasse sich in nächster Zeit distanzieren und beteuern wird, von allem nichts gewusst zu haben. Sogar der sich offenbar für unersetzlich haltende Obermotz Winterkorn schien zunächst keinen Grund für einen Rücktritt zu sehen, bloß weil Teile der Firma, für die er für viel Geld die Verantwortung trägt, mit ziemlich dreckigen Touren gearbeitet haben.

Überhaupt ist Sozialpolitik ein gutes Stichwort. Eigentlich sollte das alles mir ja am verlängerten Steißbein vorbeigehen. Autos sind für mich ein notwendiges Übel. Autofahren finde ich als Ballungsraumbewohner mittlerweile nur noch nervig und wann immer es eben geht, sattle ich das Fahrrad. Weil ich auch in Zukunft leider nicht völlig ohne Auto auskommen werde und meine Kalesche inzwischen fast 20 Jahre auf dem Buckel hat, finde ich den Gedanken, mich in nächster Zeit doch noch einmal nach einem anderen Hobel umsehen zu müssen, eher lästig als verlockend.

Dennoch erlaube ich mir an dieser Stelle eine kleine Wette: Ich wette - Gottschalk, mitschreiben jetzt! - dass die Hauptleidtragenden der bei VW zu befürchtenden Verluste nicht wirklich die Großkopferten sein werden, die den Kram letztlich geduldet oder abgesegnet haben. Da werden ein paar gehen müssen, aber wenn, dann mit goldenem Handschlag und der Perspektive, rechnerisch nie wieder arbeiten zu müssen. Nein, ausbaden werden das wohl, wie so oft die Tarif- und Leihangestellten. Sondertarifverträge, Urlaubs- und Gehaltsverzicht, das alles könnte in den nächsten Jahren durchaus Thema werden in Wolfsburg, wenn es wirklich zu Milliardenstrafen kommt.

Wir alle sind Volkswagen. Solidarität, Zusammenhalt. Schwere Fehler, besondere Herausforderungen, harte Zeiten, enge Gürtel. Würg. Das wäre dann so ärgerlich wie typisch. Und die Dimension der Causa VW, die mir nicht irgendwo vorbeigeht.



1 Kommentar:

  1. Sehr interessant geschrieben mit einer Prise Humor und Scharfzüngigkeit, sehr unterhaltsam 5 Uhr morgens ... Und das ganze noch mit Sinn unterlegt und einer Meinung, die ich durchaus teilen kann. Außer das ich als Ballungsraum-Bewohner doch lieber die öffentlichen Energieschleudern nutze, als Radfahrer hat man zu viel auszustehen ...

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