Freitag, 6. November 2015

Das China-Komplott


Im Nachhinein bin ich ja ganz froh, dass es zu meinen jüngeren Jahren noch keine All-you-can-eat-Chinabuffets gab. Wäre das nämlich so gewesen, dann wäre ich mindestens einmal pro Woche da gewesen und hätte mich auf eine Weise ins Koma gefressen, dass ein Anfänger wie Obelix bei dem Anblick heulend sein drittes Wildschwein in die Ecke gefeuert hätte und ein Möchtegern wie Gérard Depardieu aus Frust in einem Zen-Kloster verschwunden wäre, um den Rest seines verpfuschten Daseins bei trockenem Reis, Wasser und Meditation zu fristen.

Obwohl diese Zeiten schon länger vorbei sind und ich normalerweise halbwegs vernünftige Sachen in halbwegs vernünftigen Mengen zu mir nehme, überkommt mich von Zeit zu Zeit immer noch die Lust nach so einer Ausschweifung und so suche ich ein, zwei mal im Jahr, wenn ich mal frei habe, zur Mittagsstunde den Chinamann meines Vertrauens auf. In die Warmhaltevitrine gekübelter Wareneinsatz, yeah! Konsequent zu viel von allem, was ganz böse (Fleisch, Fett, Kohlenhydrate, Gesottenes und Frittiertes, Mononatriumglutamat), dafür so gut nichts von dem, was angeblich gesund ist (Grünzeug, Vollkorn, Rohkost, vegan), und das reichlich. Was wäre das Leben ohne Sünde und Exzess?

Sicher, ich könnte auch abends hingehen, aber mittags ist's deutlich interessanter. Ich habe nämlich den Eindruck, dass die Mittagsgäste sich weniger einen Zwang antun. Oder liegt's bloß am Tageslicht? Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich finde, dass so ein Buffett einen nicht komplett davon entbindet, sich ein wenig zu benehmen beim Essen. Ich meine, man kann hingehen, so oft man mag und sofern nicht mit sofortiger Wirkung Lebensmittelrationierung eingeführt wird, sollte auch genug für alle da sein. Daher muss man seinen Teller auch nicht mit den absurdesten Kombinationen vollpacken, als stamme der Mensch nicht vom Affen, sondern vom Hamster ab. So man des Essens mit Stäbchen nicht mächtig ist, kann man selbstverständlich Messer, Gabel und Löffel benutzen. Aber auch das kann man auf verschiedene Arten tun.

Preisfrage: Warum essen Chinesen und andere Ostasiaten mit Stäbchen? Antwort: Weil es sich um zivilisierte Völker handelt, die irgendwann herausbekommen haben, dass es mit Stäbchen nahezu unmöglich ist, beim Essen auszusehen wie ein unter Volllast arbeitender Schaufelradbagger. Genau diesen Anblick bieten jedoch nicht wenige der Gäste, nachdem sie ihre grotesk überladenen Teller zu Tisch bugsiert haben. "Nimm doch lieber gleich den großen Löffel aus der Anrichte!", möchte man da behilflich sein. Immerhin schmatzen und schlürfen sie beim Essen, das reißt's dann wieder etwas raus.

Nächste Preisfrage: Rührei und Räucherlachs verhalten sich zu Frühstückbuffet wie was zu Chinabuffet - naaa? Richtig, Ente knusprig. Immer gib ihm Ente knusprig. Wie viel doch auf so einen Teller passt! Der Typ vor mir scheint fürs Guinness-Buch zu trainieren. "Schon gehört? Der Krieg ist vorbei!", möchte es einem da entfahren. Insgesamt sieht es so aus, als müsste die gesamte Population eines Enten-Massenstalles an so einem durchschnittlichen Öffnungstag dran glauben.

Der Laden liegt übrigens in einer Gegend mit hoher Migrantendichte. Einmal war ich abends da. Am großen Tisch in der Mitte des Saales saßen zwei größere russische Familien und bemühten sich bei voller Laufstärke, allen dummen Klischees zu entsprechen, die so über sie kursieren. Die Oberhäupter schlüpften wohl in die Gastgeberrolle und schleppten für ihre glitzrig aufgedonnerten Frauen, Kinder und Eltern vom Buffett Fressalien in solchen Mengen heran, dass die Tischbeine fast nachgegeben hätten unter der Last. Als man sie diskret darauf aufmerksam machte, dass laut Karte jeder nicht geleerte Teller extra koste, hätte es beinahe eine Schlägerei gegeben. Herrlich! Wo bekommt man so was sonst zu sehen jenseits von All-inclusive-Urlaubsghettos?

Es soll in China und Japan ja dieses Ressentiment geben, dass es sich bei Europäern im Prinzip um um nichts anderes als einen Haufen kulturloser, ungehobelter Bauerntölpel handelt, die sich nicht zu benehmen wissen und die nur durch Foulspiel und dummen Zufall zu so viel Reichtum und Macht gekommen sind, dass sie die ganze Welt unterjochen konnten. Ich frage mich immer, was die aus Fernost stammenden Angestellten solcher Häuser so denken hinter ihren fein lächelnden Pokerfaces angesichts des Panoptikums des Wanstvollschlagens, das sich ihnen Tag für Tag bietet.

Apropos zivilisiert: Es gibt auch in Europa durchaus zivilisierte Länder. In denen gilt es beispielsweise als grober Fauxpas, beim Essen vor dem abschließenden Kaffee über Geschäftliches zu reden. Am Nebentisch hingegen scheint man nicht so verklemmt. Unter dicklichfeistem Harr harr erzählen da fünf ältere, schwer atmende, rotgesichtige Typ-2-Diabetes- und Herzkasperkandidaten mit Schweißperlen auf der Stirn sich in einer Tour von ihren beruflichen Heldentaten. Wie sie Konkurrenten weggebissen, sich Aufträge ergaunert und wen sie alles erfolgreich übers Ohr gehauen haben. In Deutschland braucht's weiß Gott keine russischen Familienclans, um sich zum Dödel zu machen. Moment mal, die Typen bringen mich auf eine Idee!

Vielleicht ist es nämlich alles ganz anders und die Dinge sind gar nicht so wie sie scheinen. Was, wenn die Deutschen gar nicht wegen mangelder Zeugungsbereitschaft ausstürben? Es ist doch so: Wer dauerhaft zu viel frisst, wird krank davon. Wer krank ist, kann nicht arbeiten, was wiederum der WettbewerbsfähigkeitTM Deutschlands schadet. Was dann wieder der chinesischen Wirtschaft nützte. Vielleicht steckt hinter all dem ja Methode. Beruhen die niedrigen Preise der chinesischen All-you-can-eat-Restaurants am Ende gar nicht auf scharfer Kalkulation oder darauf, dass den gierigen Massen da überwürztes Minderwertiges vor die Rüssel verklappt wird, sondern auf Subventionen der chinesischen Regierung? Flächendeckend? Um das Aussterben der Deutschen ein wenig zu beschleunigen?

Schon Walter Moers warnte vor über zwanzig Jahren von den Weltverschwörungsplänen, die zweifellos hinter den Theken hiesiger Chinarestaurants in unverständlichem Idiom ausklamüsert werden. Kommt mit dem All-you-can-eat-Buffett jetzt endültig die Abrechung? Die Rache für Boxeraufstand und zwei Opiumkriege? So wie in dem Laden hier gespachtelt wird, würde es mich nicht wundern, wenn hier jeden Tag zwei, drei Zusammengeklappte diskret durch die Hintertür in Richtung Notaufnahme verbracht werden. Schon mal gefragt, warum in den meisten dieser Läden alle Oberflächen aus glatten, abwaschbaren Materialien sind? Damit man leichter putzen kann, werden Sie jetzt sagen. Jaja, aber was? Sie denken einfach nicht weit genug. Wenn einer platzt, ist das eine ziemliche Sauerei, habe ich mir sagen lassen. Na, klingelt's?

Ha, Kopp-Verlag, übernehmen Sie! Ich hätte da eine Idee. "Das China-Komplott. Wie unsere Zukunft am Buffett verspielt wird." Teaser: "Was Sie nie erfahren sollen." Exposé folgt auf Wunsch. Wenn das kein Bestseller wird in diesen Zeiten, dann weiß ich's auch nicht. Da kann Ulfkotte, der olle Paranoiker, mal glatt einpacken. 



3 Kommentare:

  1. kevin_sondermueller6. November 2015 um 15:44

    »Es soll in China und Japan ja dieses Ressentiment geben, dass es sich bei Europäern im Prinzip um nichts anderes als einen Haufen kulturloser, ungehobelter Bauerntölpel handelt, die sich nicht zu benehmen wissen und nur durch Foulspiel und dummen Zufall zu so viel Reichtum und Macht gekommen sind, dass sie die ganze Welt unterjochen konnten. Ich frage mich immer, was die aus Fernost stammenden Angestellten des Hauses so denken hinter ihren fein lächelnden Pokerfaces angesichts dieses Panoptikums des Wanstvollschlagens.«

    Im Prinzip hätten sie damit Recht – obwohl auch Chinesen gargantueske
    Essgewohnheiten entwickeln können. Sie machen es aber dann nicht wie die
    Römer mit künstlich erzwungenem Brechreiz, sondern spucken die ausgekauten Massen auf den Teller zurück (Augenzeugenbericht eines mir bekannten Heilpraktikers, der vor Ort TCM studiert hat).

    Und Geschäftsessen bei Tisch: vor Jahrzehnten war ich mal mit meiner
    damaligen Lebensgefährtin in einem HQ-Japanrestaurant in Köln. Das wirklich
    exzellente Essen wurde am Tisch zubereitet. An unserem Tisch schlugen dann
    drei (wie sich herausstellte) Werbefritzen auf, die das Essen in sich hinein spachtelten, als wäre das ihr tägliches Kantinenessen; und überhaupt (bis auf den Jüngsten, der noch irgendwie menschlich rüberkam) echt fiese Zeitgenossen waren:
    nix im Kopp als ihr schmieriges Business, wie ihrer »Konversation« zu entnehmen
    war. Besser hätte verdreckte und versoffene Penner am Tisch gesessen – die
    hätten das wirklich exzellente Menü weniger belastet als diese two-and-half-men …

    Nebenbei: Von den mediterranen Gastmitbürgern können wir wirklich alles lernen,
    was zu gesunder, weil angemessener Ernährung gehört und Leib und Seele im Lot
    hält.

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  2. Na, das mit den "ausgekauten Massen" scheint mir - TCM-vor-Ort-Studium hin oder her - ein interkulturelles Missverständnis zu sein. Eher erklärt sich das von dem erwähnten Heilpraktiker beobachtete Phänomen dadurch, dass in der traditionellen chinesischen Küche (im Gegensatz zum Essen im herkömmlichen Chinarestaurant, das sich davon eklatant unterscheidet) zwar das Fleisch in mundgerechte Häppchen zerhackt, aber nicht von Knochen, Knorpeln, Haut, Sehnen und dergleichen befreit wird. Denn auch solchen Bestandteilen (und natürlich diversen Gemüsen und Gewürzen) schreibt die traditionelle Überzeugung jeweils besondere Wirkungen auf die Gesundheit, die geistige Leistung und nicht zuletzt die Potenz zu. Also kaut und/oder lutscht man gewissenhaft darauf rum, um diese wertvollen Stoffe aufzunehmen. Die tatsächlich unverdaulichen Reste jedoch würgt man nicht hinunter, sondern spuckt sie auf den Tisch. Dass dahinter die Gier stünde, während einer Mahlzeit üppigere Mengen genießen zu wollen als in den Verdauungstrakt reinpasst, scheint mir ins Reich der Fabel zu gehören.

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    1. kevin_sondermueller7. November 2015 um 13:27

      »Dass dahinter die Gier stünde, während einer Mahlzeit üppigere Mengen genießen zu wollen als in den Verdauungstrakt reinpasst, scheint mir ins Reich der Fabel zu gehören.«

      Glaube ich nicht – der Mann war durchaus kein Depp.
      Das mit den Knochen etc. in den mundgerechten Happen
      weiß ich; die Thai-Küche hält es ebenso.

      Dass Chinesen Europäern und Amerikanern ´bezüglich Gier in Nichts nachstehen (Wirtschafts- waxtum & Ressourcensicherung um jeden Preis) ist ja wohl inzwischen eine Binse.
      Und es nun einmal kein Ammenmärchen, dass Chinesen Hundefleisch lecker finden und früher (?) beim Seegurkenfang auch lebende Köder (Haustiere und manchmal sogar Sklavenkinder) benutzten. Wurde durch Ethnologen qua Augenzeugen berichtet. Zweifel sind natürlich immer
      erlaubt …

      Der Durchschnittschinese ist und war ebenso wenig ein Lao Tse oder
      Konfuzius wie der Durchschnittdeutsche ein Kant oder ein Schopenhauer.
      Kann man gerade wieder hierzulande schmerzvoll genug erfahren.

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