Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Freitag, 11. Dezember 2015
Glück durch Arbeit
Viel um die Ohren gehabt, die Woche – but there are still monsters to be slain. Zum Beispiel diese kreuzdämliche Leier vom Glück durch Erwerbsarbeit. Die von zig Karriereberatern bzw. -coaches gepredigte Schnurre, es sei mit ein bisschen gutem Willen und ein wenig (kostenpflichtigem) Coaching jedem möglich, eine erfüllende, den eigenen Neigungen und Stärken entsprechende Arbeit zu finden. Die Ratgeberliteratur ist voll von inspirierenden Geschichten über glückliche Hackfressen, die ihrem Herzen gefolgt sind und nun als kernzufriedene Spaßbacken ihr Restdasein verbringen. Und der Restwelt damit nicht selten gehörig auf die Eier gehen. Das Problem ist ja nicht, dass es solche Menschen gibt, sondern dass uns suggeriert wird, jeder, bei dem das nicht so sei, mache gewaltig etwas falsch.
Sicher, es gibt mehr als genug Jobs, in denen die, die sie ausüben, maximal ausgebeutet werden, auf Dauer krank werden daran und für die ein Jobwechsel, so überhaupt möglich, wirklich die einzig gangbare Option ist. Natürlich gibt es Menschen, die in ihrem Traumberuf arbeiten und darin aufgehen bzw. welche, denen noch im fortgeschrittenen Alter der Wechsel dorthin gelingt. Nur handelt es sich bei so was eher um die Ausnahme als die Regel. Die allermeisten sehen ihre Arbeit nicht als Lebensinhalt, für den sie brennen, sondern als Mittel zum Zweck, als Geschäft auf Gegenseitigkeit, Zeit gegen Geld, um an die für den Lebensunterhalt nötigen Flocken zu kommen. Was auch gesünder ist, denn viele Arbeitgeber betrachten ihre Angestellten schließlich auch primär aus betriebswirtschaftlicher Perspektive. Warum sollte es auf der anderen Seite des Schreibtisches anders sein?
Manchmal finden auch blinde Hühner Körner. So wie manchmal auf 'Spiegel online' Brauchbares steht. Und ganz manchmal findet sich sogar in der Zunft der Karriere-/Bewerbungs- und Jobcoaches jemand, der nicht wirkt wie ein Duracellhase mit Uranstab im Arsch und der auch nicht den Eindruck macht, jeden Morgen vom Pfleger die extragroße Happyspritze verpasst zu kriegen. Der sogar halbwegs Vernünftiges schreibt, das etwas mit dem Leben durchschnittlicher Menschen zu tun hat. Volker Kitz scheint so jemand zu sein und wir wollen seinen Beitrag daher lobend hervorheben. Vielleicht ist's ein Ausrutscher, doch Ehre, wem Ehre gebührt.
Kitz schildert, wie auf einer Tagung sein Vorredner das anrührende Einzelbeispiel eines Zürcher Mittfünfzigers ausbreitete, der ein kärgliches Auskommen als Gehirnchirurg fristete. Obwohl er Chef einer Privatklinik war und auch sonst alles hatte, Geld, Haus, Familie, schicke Autos und Urlaube, war er unglücklich. Der Job füllte ihn nicht recht aus, denn insgeheim träumte er von einem Leben als Trucker. So schmiss er mit 56 Jahren alles hin und gurkte fortan mit schwerer Last durch die Gegend. Moral von der Geschicht: Lebe deinen Traum! Es ist nie zu spät.
Doch ist es sehr wohl. Kilz ließ bei seinem Vortrag dem Zinnober mit einem einzigen Gedanken komplett die Luft heraus: Man stelle sich vor, die Sache sei umgekehrt verlaufen. Ein Lkw-Fahrer habe mit Mitte fünfzig plötzlich sein Faible für Gehirnchirurgie entdeckt. Der Rest soll in allgemeinem Gelächter untergegangen sein. Wenn's nicht stimmt, dann ist es gut erfunden. Tatsache ist, dass es zig Branchen und Berufe gibt, in denen irgendwann der Zug abgefahren ist bzw. in die nicht jeder hineinkommt, ganz gleich wie dolle er träumt oder wie hart er im einzelnen arbeitet.
Die meisten dieser Wohlfühlszenarien funktionieren nur, wenn der oder die Betreffende in einen geringer qualifizierten Job wechseln will oder über das zur Verwirklichung der Träume nötige Kleingeld verfügt. Eine Mutter von Ende vierzig, die nach dem dritten Kind noch einmal ins Berufsleben einsteigen und Flugbegleiterin werden will, wo sie davon doch immer geträumt hat? Guter Witz! Ein älterer Leiharbeiter mit kaputtem Rücken, der zwar keinerlei Rücklagen hat, dafür aber ganz tolle Visionen? Die Banker, bei denen er nach einem Darlehen fragt, dürften eine halbe Stunde brauchen, um sich von dem Lachanfall zu erholen. Wie viele Ärzte gibt es umgekehrt, die nicht glücklich sind? Die den Beruf nur haben, weil sie von Kind auf darauf getrimmt wurden, in Vaters und Großvaters Fußstapfen zu treten?
Natürlich ist es in Ordnung, einer Erwebsarbeit nachgehen zu wollen, die man beherrscht, die man gern und mit Lust tut. Es ist nur völlig gaga, das um jeden Preis zu wollen und daraus auch noch einen allgemeingültigen Imperativ zu stricken. Das richtet sogar echten Schaden an. Wie viele, die einem Traumjob hinterherjagen, beispielsweise "was mit Medien" machen wollen, lassen sich dafür bereitwillig ausbeuten, mit Minibezahlung und prekären Jobs abspeisen? Weil man dafür doch auch mal Zugeständnisse machen muss? Solche Leute dürften bei denen, die Jobs vergeben, weit geschätzter sein als die, die ihren Arbeitseinsatz einer nüchternen Kosten-Nutzen-Analyse unterziehen und ihr Pensum nach Möglichkeit entsprechend anpassen.
Wer ferner Arbeit einseitig zur einzig sinnstiftenden Verwirklichung von Lebensträumen aufplustert, stempelt damit nebenbei auch alle zu Losern und Versagern, die einfach nur tagein, tagaus einen Job machen, sondern stigmatisiert auch die noch zusätzlich, die unverschuldet keine oder keine mehr haben.
Eine Garantie auf Zufriedenheit gibt es übrigens auch im vermeintlichen Traumberuf nicht. Den schweizerischen Neu-Trucker und Ex-Gehirnchirurgen gibt es wirklich. Er heißt Markus Studer und schmiss nach gerade mal zwei Jahren auf dem Bock wieder hin. Er hatte dem Wettbewerbsdruck in der Branche nicht standhalten können. Fragen wie die, wie man die Arbeitswelt so gestalten könnte, dass auch die, die einfach nur ihren Job machen wollen, darin in Gesundheit und Würde darin alt werden können, tauchen erst gar nicht auf. Wäre auch vielleicht ein bisschen viel auf einmal verlangt.
7 Kommentare:
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Starker Artikel.
AntwortenLöschenStimme Art Vanderley zu!
AntwortenLöschenDiesem Thema habe ich mich auch schon oft und intensiv gewidmet. Und bevor ich mich hier nur wiederhole, seien zwei Artikelhinweise erlaubt:
Schizophrene Zwangsentfremdung
Bürger, bettelt um Lohnarbeit!
Aber gern doch. Danke!
LöschenMoin Stefan, ich denke das hier ein Vergleich zum Stockholm-Syndrom vielleicht auch nicht ganz unpassend ist. Die meisten sind so konditioniert, das sie Müssiggang oder mal langsam machen für einen Verrat an Ihren Arbeitgeber halten. Sie merken schon wenn sie verarscht werden, ( Gürtel enger schnallen, dem Betrieb geht es schlecht, die Konkurenz sie wissen schon, blabla) aber sie wollen doch geliebt werden, ihren Job behalten und bei der nächszten Weihnachtsfeier wird dann andächtig den warmen Worten der Geschäftsführung gelauscht, gibt ja auch was zu trinken. Und sie werden ja auch gewarnt und angespornt gemeinsam den Herausforderungen des nächsten Geschäftsjahres gemeinsam zu begegnen. Na siehste unser Chef ist doch ein ganz LIEBER, er hat uns ja wieder lieb.
AntwortenLöschenMoinsen. Ob mans Stockholm-Syndrom nennen kann, weiß ich nicht. In jedem Fall zu beobachten ist dieser Demuts- und Bescheidenheits-Wettbewerb, mit dem Leute jeden Mist schlucken. Hach, wir müssen doch froh sein, überhaupt Arbeit zu haben, eigentlich gehts uns doch gold, anderen gehts noch viel schlechter.
LöschenMoin Stefan, ja das ist der spin, orientiert euch mal schön nach unten, euch gehts doch gut gemessen an einem .......
AntwortenLöschenWenn du nicht spurst wird es dir auch bald so ergehen. Hier nach oben kommst du Schmock eh nicht hin.
Tja, und wenn die Industrialisierung 4.0 in den nächsten 20, 30 Jahren so richtig reinhaut mit Automatisierung, dann werden am Ende wohl 80 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter arbeitslos sein - denn soviele Ingenieure und Softwareentwickler, wie Verrichter von Transport- und Verwaltungsarbeit durch Roboter und Software überflüssig werden, wird man niemals brauchen - das ist ja gerade der Sinn solcher Maßnahmen! Wenn wir dann eine human denkende (im rechtspopulistischen Arschlochjargon: gutmenschliche) Politik haben, wird man diesen Menschen eine "Überflüssigenrente" zahlen (die mag je nach Konjunktur nahe am Hartz-IV-Niveau oder auch erheblich darüber sein) und ihnen vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten in mehr oder weniger virtuellen Freizeitwelten bieten (wie wir sie zu einem guten Teil ja auch heute schon haben) - wenn nicht:
AntwortenLöschenSchmatzend graben sich die Mahlzähne des Schredderwerks in das käsige Fleisch der angelieferten Männer, Frauen und Kinder; die Todesschreie der bei lebendigem Leib in Stücke gerissenen Menschen gellen durch die stählerne Kaverne, doch es ist niemand da, der sie hört - die Vernichtungslager des 21. Jahrhunderts arbeiten vollautomatisch!
Oder die 80 % Überflüssigen lassen sich nicht freiwillig abschlachten, es gibt Bürgerkrieg in weiten Teilen der Ersten und Zweiten Welt, in dessen Verlauf die ganze schöne Hightech-Zivilisation gründlich in Scherben fällt... was für die Überlebenden natürlich das bisherigen Problem der mangelnden Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft lösen würde.
Das erstgenannte Szenario ist mir mit Abstand am sympathischsten... auch wenn die radikalen Linken es natürlich nach Kräften übelnehmen würden, dass es nicht etwa die proletarische Weltrevolution, sondern schnöder profitmotivierter technologischer Fortschritt wäre, der diese Fast-Paradieswelt ermöglicht hätte!