Montag, 5. Juni 2017

Was Wissen schafft


"Aber dass es Leuten weniger peinlich ist, mit Bettwäsche und Duftkerzen gesehen zu werden als mit Büchern, verstehe ich trotzdem nicht so ganz." (Florian Zinnecker)

Wissenschaft also. Wir waren ja gerade beim Thema.

In den Neunzigern begannen Universitäten plötzlich ihre Aufgabe darin zu sehen, studierenden jungen Menschen, wie es hieß, Leitbilder zu vermitteln. Nein und nochmals nein, dachte ich schon damals. In meiner mit galaktisch nur ansatzweise umrissenen Naivität hatte ich nämlich immer gedacht, Sinn und Zweck von Universitäten sei es unter anderem, vorwiegend junge Menschen mit ausreichend intellektuellem Rüstzeug auszustatten, dass sie in der Lage sind, mithilfe eigenständiger gedanklicher Arbeit die Vermittelei irgendwelcher wolkigen Leitbilder und andere Indoktrinationsversuche als den autoritären Tinnef zu durchschauen, der er ist. Und so etwas vor allem nicht nötig zu haben. Tempi passati. Besser geworden scheinen die Zeiten nicht.

Georg Schramm hat es schon vor einigen Jahren sehr schön auf den Punkt gebracht: In einer Gesellschaft, die unter anderem darauf beruht, dass möglichst viele mindestens alle zwei Jahre das allerneueste Smartphone und anderen modischen Schnickschnack haben wollen, ist zu viel an Bildung im Kantschen Sinne eher hinderlich. So wurde Bildung weitgehend degradiert zum bloßen Vermitteln wirtschaftlich verwertbarer Kompetenzen. Dass das alles seit mindestens zehn Jahren passiert und mehr oder minder schleichend, aber konsequent betrieben wird, war mir theoretisch also durchaus bewusst. Wie weit fortgeschritten das Elend in realiter aber bereits ist, das wurde mir schlagartig bewusst, als ich Stefan Gärtners gewohnt exzellente Sonntagskolumne las. Darin zitiert er einen Artikel seines Kollegen Leo Fischer. Der war auf das Programm 'Starker Start ins Studium' der Bankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität gestoßen, mit dem die Uni, wie es heißt, "in den nächsten fünf Jahre (sic) die Studieneingangsphase systematisch verbessern" will.

Wie das in der Praxis aussieht , darüber berichten welche, die das Programm durchlaufen haben. So weiß etwa eine gewisse Marie zu berichten:

"Die vermittelten Inhalte waren für mich sehr wichtig. […] Die ausgeteilten Blätter werden mir im Romanistikstudium sehr nützlich sein, da es teilweise einfache Erklärungsblätter sind (Metrik). Ich kann nun jedes Mal, wenn ich ein Gedicht lese, auf diese [sic] Blatt zurückgreifen und mich daran orientieren."

Aha. Und eine Kommilitonin namens Josefine meint:

"Mir hat es sehr gut gefallen, dass wir über verschiedene Autoren gesprochen haben, da ich mich bisher mit deutscher Literatur nicht so viel beschäftigt habe. Mir hat es auch gefallen, daß wir auf die Unterschiede zwischen Drama, Prosa und Lyrik eingegangen sind. Ich wußte natürlich, dass es welche gibt, aber die Frage ist dann: Welche? Jetzt weiß ich es."

Man kann jederzeit gern mit mir über Sinn und Unsinn des bürgerlichen Bildungskanons streiten. Ich frage mich aber schon, wieso da welche das Romanistik- bzw. Germanistikstudieren anfangen, die offenbar nicht den allerleisesten Tau haben, worum es dabei so gehen könnte und für die die Tatsache, dass da über verschiedene Autoren gesprochen wird, eine echte Überraschung zu sein scheint.

Natürlich war früher nicht alles besser. Aber die grundlegenden Unterschiede zwischen den drei großen Literaturgattungen haben während meiner Schulzeit mehrere Deutschlehrer uns zu vermitteln versucht. Und wenn jemand im Proseminar gefragt hätte, was ein Metrum ist, dann wäre die Antwort gekommen, hernach bitte die Bibliothek aufzusuchen und das gütigst selbst nachzulesen, verbunden mit der Bitte, den Laden nicht weiter aufzuhalten. Hätte die betreffende Lehrperson gute Laune gehabt, wäre vielleicht noch ein Literaturhinweis gefolgt. Das wäre deswegen passiert, weil Universitäten ihre Immatrikulierten damals noch für erwachsene, des Lesens kundige Menschen hielten und nicht für Kunden, die man in einer Tour umwerben und irgendwo abholen muss.

Wiewohl damals, wie gesagt, gewiss nicht alles Gold war, was glänzte, gefiel mir der eben beschriebene und von mir erlebte Ansatz weit besser als die stetige Gängelei, Überwachung und Disziplinierung, wie sie heutzutage offenbar üblich ist. Die ebenfalls von Fischer zitierte Selbstbeschreibung der ehrwürdigen Universität Heidelberg, zeigt jedenfalls sehr schön, dass es mittlerweile unwidersprochener Konsens zu sein scheint, Lernen überhaupt nicht mehr anders machbar zu imaginieren als unter den Vorzeichen von Dauerüberwachung (mit der Nebelvokabel 'Feedback' getarnt) und Leistungleistungleistung:

"Sie beschäftigen sich fünf Wochen lang intensiv mit einer praxisnahen Fragestellung und besuchen pro Fünf-Wochen-Block maximal zwei Fächer parallel. Jeweils am Ende eines jeden Fünf-Wochen-Blocks, also acht bis neun Mal pro Jahr, stellen wir Ihnen eine kompetenzorientierte Prüfung. Sie erhalten so von uns ein kontinuierliches Leistungsfeedback." (Zit. in: Fischer, a.a.O.)


Sicher, man kann einwenden, dass etwa die weiter oben zitierte Josefine möglicherweise eine angehende Grundschullehrerin ist und daher bloß ein, zwei Pflichtscheine in Germanistik abreißen muss. Nur wieso macht eine Uni dann Werbung mit einem solch herzigen O-Ton, mit dem sie in der Öffentlichkeit dasteht wie eine Klippschule, die Jodeldiplome verteilt? Die Antwort lautet, fürchte ich: das soll exakt so und nicht anders. Das alles ist von Universität im Humboldtschen Sinne ungefähr so weit entfernt wie der Nordpol von der Sahara. "Man könnte es fast rührend nennen, wie hier Fremd- und Selbstinfantilisierung Hand in Hand gehen. Idiotisch benannte Hilfsschulangebote sollen Studierende auf Wissenschaften vorbereiten, deren Grundbegriffe sie auf Handzetteln festhalten müssen, damit sie nicht sofort wieder aus den leeren Köpfchen purzeln." (Fischer, a.a.O.)

Die Tage wechselte ich im Treppenhaus ein paar Worte mit meiner jungen Nachbarin. Als ich meinte, die geplanten Mieterhöhungen für die sanierten Wohnungen ein wenig happig zu finden, meinte sie bloß, wohnen sei eben teuer, das sei normal heutzutage. In Köln sei es noch viel schlimmer. Wer sich's nicht leisten könne, der müsse eben woanders wohnen. Die junge Dame ist - Studentin. Lehramt. Jede Generation bekommt eben die Universitäten, Akademiker und dann auch Lehrer, die sie verdient. Und die die Wirtschaft will.



3 Kommentare:

  1. Kleine Korrektur: Die genannte "Josefine" hat einen "Vorbereitungskurs" der Literaturwissenschaft besucht, nicht der Germanistik (du hast das ja sogar verlinkt). Zumindest zu meiner Zeit war man in diesem einstmals wunderbaren Fach vor Primarstufenstudentinnen vollkommen sicher. ;-)

    Umso entsetzlicher ist das beschriebene Szenario.

    Aus einem Proseminar der Germanistik, in dem auch viele Primarstufenstudentinnen (es waren auschließlich Damen) wegen des "Pflichtscheins" saßen, ist mir noch ein Referat einer dieser Lehramtskandidatinnen zum Thema Georg Trakl erinnerlich, das die Vortragende mit den Worten beschloss (und das ist kein Witz):

    "Er starb in Agonien [ausgesprochen wie "Sibirien"]. Ich weiß leider nicht, wo das liegt."

    Liebe Grüße!

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    1. Autsch! Ich hatte die Nummer von dem Typen im Proseminar Geschichte immer für den Höhepunkt gehalten. Der fragte angesichts eines Textes, in dem der Begriff "Trotzkisten" vorkam, was denn bitte eine Trotzkiste sei, habe er noch nie von gehört. Der Typ hat sich vermutlich noch drei Wochen später gefragt, warum alle so lachten und der Prof seinen Kopf mit der Tischplatte benutzte...

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    2. Wer »agonien« sagt, sollte aber wenigstens auch »begonien« sagen.

      Unser bildungssystem war von anfang an nicht dafür da, menschen bildung zu vermitteln. Es war immer dafür da, menschen für den arbeitsmarkt zu selektieren. Und dafür taugt es heute wahrscheinlich besser denn je.

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