Mittwoch, 19. Juni 2019

Gretchenfragen


"Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!" (Joseph Wirth)

Hallo? Ich warte! Hat schon jemand aus dem konservativen oder rechten Lager darauf hingewiesen, dass der Tod von Walter Lübcke zwar eine ganz eine schlimme Sache sei, aber bei aller gebotenen Empörung und Betroffenheit niemals nie nicht vergessen werden dürfe, dass Linksextremismus noch viel, viel schlimmer sei? Gut, die schöne Einzelleistung von Max Otte (CDU), den Toten zum willkommenen Popanz für eine von ihm imaginierte linke Mehrheit zu degradieren, damit diese wieder einen NSU-Skandal und damit was zum Empören und Hexenjagen habe, war ein solider Anfang, aber nicht mehr.

(Dass Otte damit auch die NSU-Mordserie zum bloßen Empörungsfutter für Linke abwertet, lässt auch in anderer Hinsicht tief blicken. Waren ja bloß Döner-Morde. Deutschland ist schließlich kein Einwanderungsland, nicht wahr?)

Natürlich wissen wir nicht, ob der im Zuge der Ermittlungen festgenommene Tatverdächtige Stephan E. der Täter war. Daher ist es das Mindeste, sich diesbezüglich vor dem rechtskräftigen Urteil eines ordentlichen Gerichts bedeckt zu halten. Gewisse Begleitumstände aber, etwa die Tatsache, dass Walter Lübcke auf Todeslisten geführt wurde, und die unsäglichen Reaktionen aus einschlägigen Kreisen lassen die Ermittlungen der Behörden in Richtung rechts als zumindest nicht komplett unplausibel erscheinen.

Sascha Lobo schrieb da letztens - Ehre, wem Ehre gebührt - etwas recht Kluges: Konservativ zu sein habe nichts mit Bewahren von Traditionen zu tun oder so, sondern hieße, sich so lange gegen gesellschaftliche Entwicklungen zu stemmen, bis es gar nicht mehr anders ginge. Und kurz bevor man dann endgültig als komplett retardierter Volldepp mit Eselsmütze dastünde, irgendwie so gerade doch noch den Knall zu hören und die Kurve zu kriegen.

Bevor man da höhnisch lacht, muss man in dieser Hinsicht Betroffenen zugutehalten, dass das sehr lange einigermaßen gut funktioniert hat. Weil Deutschlands Herz in der Provinz schlägt, ließen sich lange Zeit Wahlen gewinnen, indem man diejenigen ansprach, die gern Sätze einleiten mit "Man wird doch wohl noch…", oder "Das hat doch früher auch immer…". Kein politischer Slogan der Bundesrepublik nach 1945 hat sich, zumindest im Westen, als wirkmächtiger und langlebiger erwiesen als das Adenauersche "Keine Experimente!".

Klar, es ist nicht immer leicht, konservativ zu sein. Wenn die Heranwachsenden auf finstere Gesellen machen und wüste Musik hören, in denen von Satan und Verderben die Rede ist, dann winken Pädagogen meist routiniert ab. Keine Panik, wächst sich aus. Die schwedische Klimagöre nimmt sich schulische Auszeiten und erfrecht sich, allen Unkenrufen zum Trotze, ein gutes Abschlusszeugnis anzuschleppen und die Weltordnung sinkt nicht ins Chaos? Unerhört! Und jetzt darf man noch nicht einmal Ausländern einseitig Maut abknöpfen? Menno!

"Dabei ist bekannt, dass sich politische Morde nur sehr selten ereignen, ohne dass es ein sympathisierendes Umfeld gibt. […] Seit Jahrzehnten dient das ja als Rechtfertigung dafür, dass Mitglieder anderer Gruppierungen - etwa Islamisten - überwacht werden, auch wenn sie individuell nicht straffällig geworden sind. Für Rechtsextremisten scheint das nicht zu gelten, wie die Öffentlichkeit jetzt erfährt. Auf die Erklärungen dafür darf man gespannt sein." (Bettina Gaus)

Zum Konservativsein scheint es für nicht wenige davon Betroffene auch zu gehören, siehe oben, rechtsradikale Gewalttaten, schlimmstenfalls auch mit Todesfolge, als aus dem Ruder gelaufene Lausbubenstreiche besoffener Einzeltäter abzutun (die wollen ja schließlich nix enteignen oder gar hacht achbeitenden Leistungsträgern die Steuern erhöhen. Und wenn sie dann mal ein bisschen über die Stränge schlagen und es mal was setzt dabei - Herrgott, wir waren doch alle keine Heiligen!), ein Che Guevara-Poster in einem Jugendzimmer hingegen für die konkrete Vorbereitung einer Weltrevolution zu halten.

Übertrieben? Einen Menschen aus politischem Motiven aus nächster Nähe per Kopfschuss hinrichten - so ist die RAF damals bei Jürgen Ponto und Hanns Martin Schleyer auch vorgegangen. Wenn wir es im Fall Lübcke mit einer rechten Terrororganisation zu tun haben sollten - wofür bislang das eine oder andere spricht - wo ist der hektische Aktionismus, wo sind die Krisenstäbe, die Fahndungsplakate, die Gesinnungsschnüffelei bei tatsächlichen oder vermeintlichen 'Sympathisanten'? Jahrzehntelang haben Konservative in Richtung links die Gretchenfrage gestellt: Wie hältst du‘s mit dem Kommunismus? Sieht ganz so aus, als ob jetzt sie mal dran sind.

Walter Lübcke schien diese Frage für sich klar beantwortet zu haben. Kein schöner Gedanke, dass es wieder Mut erfordert bzw. tödlich sein kann, Selbstverständlichkeiten auszusprechen.

Übrigens: Der eingangs zitierte Joseph Wirth, Reichskanzler von 1921 bis 1922, war Mitglied der katholischen Zentrumspartei und nach dem Krieg in der CDU. Dort galt er aber als 'linker Außenseiter'. Nur für‘s Protokoll.





5 Kommentare:

  1. Siewurdengelesen19. Juni 2019 um 23:12

    Siehe meine Antwort unter diesem Beitrag bei Burkhard Schröder.

    Eigentlich möchte man da nur noch mit dem leider kürzlich verstorbenen Wiglaf Droste antworten. Ein Wendehals von Gauck sieht das natürlich anders und leistet damit diesem Gesindel geringfügig mehr als nur Rückendeckung. Die treffenderen Namen für diesen Clown sind leider nicht druckreif.

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    1. Von Jockel Gauck habe ich noch gar nicht angefangen, sonst wäre auch ich wohl unhöflich geworden.

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  2. Das Schweigen, mit dem Rainer Wendt gerade keine erweiterten Kompetenzen für die Polizei fordert, ist dröhnend.

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  3. „Germanisch-depressives Irresein“, so beschreibt Winfried Martini 1949 den Kriegsverbrecher Ludendorff. Passt heute auf die AfD. Mal will man das ganze Volk retten, dann ist man wieder hilfloses Opfer.

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    1. CDU Sachsen-Anhalt will bekanntlich "das Soziale mit dem Nationalen versöhnen". Jetzt wurde bekannt, was sie außerdem miteinander versöhnen wollen:
      • "Vergessen" mit "Geschichts"
      • "Bügelhalter" mit "Steig"
      • "Löcher" mit "Arsch"

      @Chris: Überhaupt auffallend, dass noch niemand gefordert hat, das Grundgesetz zu ändern.

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