Montag, 19. August 2019

From my cold, dead hands


Da lacht des Linken Herz. Bernd Riexinger (Die Linke) will die klassenlose Gesellschaft einführen, so war zu hören. Gut, vorerst nur in Regionalzügen, aber es ist immerhin ein Anfang. Dort soll nach seinen Vorstellungen die erste Klasse in Zukunft entfallen. Die geringere Sitzplatzdichte und Auslastung in der First Class seien in Zeiten überfüllter Pendlerzüge nicht mehr zeitgemäß, findet er. Nun gut, ich bin schon länger nicht mehr Bahn gefahren, aber wenn ich mich recht erinnere, beschränkt die erste Klasse in diesen Doppelstockwagen sich eh bloß auf ein paar Sitzreihen am Ende einiger Waggons. Die abzuschaffen mag im Gegenzug vielleicht ein wenig Platz schaffen, dürfte an den grundlegenden Problemen, die der ÖPNV in Deutschland seit Jahrzehnten vor sich herschiebt, aber wohl nicht viel ändern.

Ferner meinte er, Fernbusse seien schließlich auch einklassig, da sollte das in Nahverkehrszügen doch kein Problem sein. Keine Ahnung, wie und wo der gute Mann sich üblicherweise bewegt, aber meines Wissens nach hat so ein Bus zirka 40-50 Sitzplätze, ein Regionalzug hingegen ein Vielfaches davon. Was die Wahrscheinlichkeit, nicht gesellschaftsfähigen Zeitgenossen ausgesetzt zu sein, deutlich erhöht. Das Ganze ist nichts weiter als ein weiteres Beispiel für jene Symbolpolitik, die so gut wie nix kostet, die Welt kein bisschen besser macht, aber den Eindruck erweckt, es bewege sich was, und deren Folgen viele andere dann ausbaden müssen.

Denn wer mit Pendlern zu tun hat oder selbst mit der Bahn pendeln musste bzw. muss, weiß eines: Wer in Regionalbahnen erster Klasse fährt, tut das weniger wegen des Luxus, der dort eh kaum wahrnehmbar ist, oder wegen der Beinfreiheit, sondern vor allem wegen der Ruhe. 

Vor allen, die den Unterschied zwischen privat und öffentlich nicht kennen. Und es sind viele.

Kaffee- und Feierabendbierverschütter, Zumüller, Säufer, Döneresser, Schuheauszieher, die ihre stinkenden Käsequanten auf dem Sitz neben einem parken, sich in einer Tour anbrüllende Großfamilien, Einsame, die einem ungefragt ihre Lebensgeschichte aufdrängen, zwanghafte Quasselstrippen mit obertonreichen Stimmen, die alle Welt an ihrem Privat- und Innenleben nebst ihren intimen Gewohnheiten teilhaben lassen, Wichtigmenschen, die in überfüllten Bahnen mit Gepäckstücken und Unterlagen ganze Viererabteile als Büro für sich reklamieren, Musiker, die den Waggon zwangsbeklampfen oder lange Monologe über ihre Leidensgeschichte halten und dafür Kleingeld erpressen wollen, Kegelclubs, Regenschirmausschüttler, Stinkmorchel, Überparfümierte, Hautkranke, die ihren nässenden, eitrigen Ausschlag nicht auf der Toilette versorgen, sondern auf dem Nebensitz, lärmende Kinder nebst deren Eltern, die nicht willens oder nicht in der Lage sind, selbigen irgendwelche Grenzen aufzuzeigen, Smartphone- und Tabletlärmer, Mobilfunkbrüller, Kopfhörerallergiker, jene, die es irre lustig finden oder völlig in Ordnung, im Zug zu rülpsen und zu furzen, und so weiter und so weiter.

Und alle haben sie zwei Dinge gemeinsam.

Erstens: Bittet man sie, gleich wie höflich, aufzuhören mit ihrem Generve, dann stellen sie sich entweder taub oder glotzen einen an wie einst bei Edgar Wallatze, wobei ihnen auch schon mal Spuckefäden am Mundwinkel herunterhängen. Oder sie sehen sich in ihrer imaginierten Ehre gekränkt, finden das unerhört, fordern einen barsch auf, sich gefälligst mal zu entspannen, nennen einen einen Faschisten oder drohen einem gleich Prügel an (hier kann es noch Ausnahmen geben, es sollen sogar schon welche gesichtet worden sein, die sich entschuldigt haben).

Zweitens: Sie fahren zweiter Klasse, und zwar alle wie sie da sind (no exceptions).

Fährt man nur gelegentlich mit der Bahn, lässt sich mit so was noch irgendwie umgehen. Ist ja nicht für immer. Ist man aber gezwungen, täglich Bahn zu fahren, vielleicht sogar längere Strecken, dann kann das auf Dauer gewaltig an den Nerven sägen. Vor allem im Ballungsraum. Da wird so ein Zusatzticket für die Erste Klasse zu einer sinnvollen Investition für die Schonung des Nervenkostüms. So formulierte es jedenfalls vor ein paar Jahren Freund P., der eine Zeitlang jeden Morgen nach Düsseldorf und abends wieder zurück musste und festgestellt hatte, dass die auf dieser Linie verkehrenden Züge offenbar ein beliebter Treffpunkt aller Honks und Soziallegastheniker der Region waren.

Und nein, antisoziales Verhalten strapaziert auch nicht erst in letzter Zeit meine Langmut, sondern von jeher. Schon als Heranwachsender fühlte ich mich ohnmächtig und hilflos angesichts der Dreistigkeit, mit der welche ihr Rumgenerve als völlig normal ausgaben oder es gar gleich zum politischen Programm adelten. Hinzu kommt, dass Respektlosigkeit gegenüber Schwächeren und welchen, die einem nichts getan haben, mich zuverlässig auf die Palme bringt. Und dergleichen Rücksichtslosigkeit ist eben  immer auch Respektlosigkeit. Vermutlich kann ich es deswegen doppelt nicht ab, wenn welche sich in einer Tour benehmen wie offene Hose und problemlos damit durchzukommen scheinen. Und sich, wenn ihnen doch mal jemand Grenzen zu setzen versucht, zum Diktaturopfer aufblasen.

Es sind natürlich nur punktuelle Beobachtungen meinerseits, aber es scheint mir, dass in von mir besuchten anderen Ländern auch ein anderer Komment herrscht, wie sich in einem vollen Bahnwaggon oder einem Flughafenterminal zu verhalten ist. In Deutschland hingegen scheint das Missverständnis, jeder habe das uneingeschränkte Recht, immer und überall nach Gutdünken seine Mitmenschen zu behelligen, großflächig etabliert. Weil wir halt alle so irre locker und authentisch sind. Nur hat es nicht zwingend etwas mit Authentizität, Lockerheit oder gar Individualismus zu tun, wenn man sich öffentlich gehen lässt. Wie es auch nicht unbedingt etwas mit Spießigkeit und Verkrampftheit zu tun hat, sich daran zu stören. Wildfremden Menschen auf den Sack zu gehen, ist auch nicht irre antiautoritär oder unangepasst, sondern schlicht unzivilisiert.

Es hat also absolut nichts mit Rumgeprotze oder Elitarismus zu tun, sich gegen einen bezahlbaren Aufpreis ein wenig Ruhe in der ersten Bahnklasse zu kaufen. Es handelt sich im Gegenteil eher um Notwehr. Müsste ich zum Beispiel täglich nach Essen, was etwa 35 bis 40 Kilometer einfache Strecke wäre, dann kostete das Monatsticket auch mit Erster Klasse-Zuschlag immer noch weniger als der Sprit, den ich verfahren würde. Und ICs/ICEs dürfte ich auch kostenlos nutzen. Momentan genieße ich das Privileg, meine Arbeitsstelle bequem mit dem Rad erreichen zu können. Sollte es aber irgendwann dazu kommen, dass ich wieder per Bahn pendeln muss, dann würde ich ernsthaft erwägen, mir Erste Klasse zu gönnen. Und das Ticket würde er mir aus meinen kalten, toten Händen reißen müssen, der werte Herr Riexinger.


4 Kommentare:

  1. Nö, mein linkes herz lacht da gar nicht. Ich fahre an sich täglich mit der bahn und bin ganz froh, daß es im zweifelsfall die option gibt, gegen einen aufpreis in die erste klasse zu wechseln. Beim hiesigen verkehrsverbund macht das im regio 3€ (in der s-bahn gibt es schon lange keine 1. klasse mehr), egal wie weit man fährt. Wenn man eine weitere strecke zurücklegen muß, kann sich das durchaus lohnen.

    Es bräuchte insgesamt mehr züge. Und mehr platz für gepäck und fahrräder. An wochenenden passiert es regelmäßig, daß die regios mit verspätung fahren, weil die leute ihre fahrräder nicht aus den überfüllten abteilen kriegen. Das problem wird nicht dadurch gelöst, daß man das kleine abteil erster klasse abschafft.

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    1. Das ist ja der Punkt. Reine Symbolpolitik, die an der Tatsache, dass die Bahn seit Jahrzehnten zugunsten des Straßennetzes unterfinanziert ist, mal so gar nichts ändern. Dass es auch anders geht, habe ich mal wieder gesehen, als ich kürzlich in Österreich war.

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  2. Also will Riexinger auch das Bärenticket für Ü60er abschaffen? Dieses Schwein will also älteren Menschen den Komfort wegnehmen, für einige
    80 € im Monat den ÖPNV 1. Klasse zu nutzen und ggfs. auch eine Begleitperson mitzunehmen?! Wahrscheinlich hat er noch nie von dieser Option gehört (und es will etwas heißen wenn die Bahn ein so kulantes Angebot ermöglicht) …

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    1. Das BärenTicket gibt's mWn nur im VRR, vielleicht auch im VRS - kann man von Berlin aus schon mal übersehen.

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