Dienstag, 7. Januar 2020

Bonlose Anarchie


Deutschland gilt ja vielen nicht nur, und das nicht zu unrecht, als Land der Unentspannten, sondern auch als das der Blockwarte und der Denunzianten. Vornehmlich, so will es das Klischee, sind es Rentner, die den ganzen Tag hinter der Gardine hängen, wo sie darauf lauern, dass einer seinen Wagen einen Millimeter falsch parkt. Um dann zum Telefon zu greifen und die Behörden zu alarmieren. Und da sie meist viel Tagesfreizeit haben, schrecken sie auch vor langwierigen Briefwechseln mit diversen Behörden nicht zurück. Ein vergleichsweise billiges Hobby.

Gut, es gibt Situationen, da geht es kaum anders. Zugeparkte Feuerwehrzufahrten oder Garageneinfahrten, wilde Müllkippen im Vorgarten oder ähnliches sind nämlich absolut kein Spaß, sondern schlicht unzivilisiert und können im schlimmsten Fall Menschenleben kosten. Da muss man eventuell, wenn der Verursacher nicht auszumachen ist, halt so zum Telefon greifen.

Aber es gibt ja auch noch die anderen. Die "[…] nicht in Frieden leben wollen, denen ihr Dasein Kränkung ist und die immer Streit suchen. Sie werden sich in jeder Situation dafür entscheiden, das Falsche zu tun, das Schlechte für die anderen, den nicht friedlichen Ausweg, den Kampf, den Streit, das Nörgeln, Krakeelen." (Sibylle Berg)

Die Hausmeister Krauses, die Prinzipienreiter. Die einem hinterherspionieren, die Mülltonnen kontrollieren, ob man auch brav richtig getrennt hat. Und, wenn nicht, einen nicht darauf ansprechen, sondern gleich petzen. Denen es ums bloße Rechthaben geht, um die pure Lust am Anschwärzen, darum, es jemandem zu zeigen, jemanden auf Linie zu bringen. Um ein bisschen Macht über andere zu spüren. Sich bei der als Obrigkeit begriffenen Verwaltung - Herr Lehrer, ich weiß was! - als Musterbürger liebkind zu machen. Vielleicht gar für selbst einst erlittenen Schmerz andere büßen zu lassen, weil das Leben sonst vollends unerträglich wäre. Keine Ahnung.

Normalerweise halte ich auch wenig von nationalen Stereotypen. Solche Leute gibt es, keine Frage. So wie es sicher auch noch Franzosen gibt, die ihr Baguette stilecht unter der Achselhöhle transportieren, Baskenmütze tragen und sich beim Boule schon tagsüber den Pastis reinlöten.

Zum Glück haben wir nun mit Beginn dieses Jahres die einmalige Chance, live und in Farbe zu studieren, was wirklich dran ist an dem Vorurteil. Denn es herrscht jetzt Kassenbonpflicht. Ich habe die Tage beim Bäcker Brötchen gekauft und keinen Bon bekommen. Auch niemand der anderen Kunden, soweit ich das beobachten konnte (es war einiges los, da dieser Bäcker die unbestritten besten Brötchen der Stadt macht). Eine Vorschrift, einfach schnöde ignoriert. In Deutschland! Mal sehen, wie lange dieser heitere Zustand der Anarchie noch anhält.





10 Kommentare:

  1. NAME UND ANSCHRIFT DER BÄCKEREI !!1!

    #sodom

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  2. Wie sind die denn drauf? Der Bäcker, bei dem ich nach Neujahr vorbeikam, hat brav Bons gedruckt. Die Kundschaft hat die Bons tunlichst ignoriert. Deshalb bog sich die Glastheke förmlich unter einer Schicht Bons. Wie das Umsatzbetrug eines solchen Bäckers eindämmen können soll, erschließt sich mir nicht recht.

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  3. Same in der Hauptstadt. Bisher bei drei verschiedenen Bäckern Brot oder Schrippen (beinahe hätte ich Brötchen geschrieben) gekauft, bei allen bonlos gegangen.

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  4. Auch bei meinem Bäcker gibt es den Bon nur auf Nachfrage (ich habe zufällig einen gebraucht). Neben der Kasse schlängeln sich allerdings mehrere Meter Thermopapier - sehr umweltfreundlich.

    Die Bonpflicht an sich erschließt sich mir auch nicht - sieht wie eine besoffene Idee von überbezahlten Sesselpupsern aus, die in einer anderen Realitöät leben.

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  5. Ganz so ausnahmslos und generell gilt die Bonpflicht nicht. Es gibt mehrere Bedingungen, zu beachtende Umstände, andererseits aber unter bestimmten Umständen unabweisbare Pflichten.

    Erstens gilt die Bonpflicht nur dort, wo auch elektronische Kassensysteme im Einsatz sind. Herkömmliche Registrierkassen sind davon nicht betroffen. Zweitens kann der Händler vor dem Ausdruck den Kunden fragen, ob er einen Bon möchte und bei Verneinung diesem Wunsch nachkommen. Drittens gibt es aber bestimmte Produkte/Abpackformen, für die ein Bon selbst trotz des Wunsches eines Kunden, keinen Bon haben zu wollen, verpflichtend ist.

    Ich habe mich allerdings damit noch nicht tiefergreifend beschäftigt. Meine Informationen habe ich nur nebenbei erfahren, daher sind sie vermutlich auch nicht vollständig.

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    1. Zunächst: Der brave Bäckersmann, von dem die Rede ist, hat so ein vollelektronisches Registrierteil am Start.
      @Kurbjuhn: Wir hier im platten Westdeutschland haben halt nicht so ein sexy Dialekt-/Slangwort für 'Brötchen'. Die nächste Variante ist hier das kölsch-rheinische 'Brüüdsche'...
      @gnaddrig: Keine Ahnung, wie der drauf ist. Ich denke, die lassens einfach mal drauf ankommen. Nachdem die städtischen Müllentsorger schon per Lokalzeitung vernehmlich über Silvester-Überreste stöhnten, ist das mit dem Abfall vielleicht (noch) ein wunder Punkt.
      @Eberling: Niemals! Informantenschutz. Sollte ein Medienunternehmer wissen. Übrigens: Deine Shift-Taste klemmt.

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  6. @ Bon Rosi

    Du kaufst deine Brötchen beim Informanten? Bei uns aufm Land gibt's wenigstens noch den traditionellen Aufbäcker mit Rohlingen aus Moldawien.

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  7. @ gnaddrig

    Rohlinge aus China benutzen wir, um Demonstranten zu verprügeln und Uiguren auf Linie zu bringen.

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  8. Wodurch 'Rohling' gleich einen reizvollen Subtext bekommt... Überhaupt sind osteuropäische Teiglinge bloß was für Plebbos und Habenichtse ohne Sinn für Ästhetik. Der wahre Connaisseur, der nicht weiß, wohin mit der ganzen Kohle, lässt sich seine auf den Philippinen handgeformten, in der Antarktis schockgefrorenen und in einem neapolitanischen Holzofen aufgebackenen Billigsemmeln im Privatjet via Frankfurt einfliegen und per Autokurier anliefern, bevor Johann sie noch einmal kurz im heimischen Le Creuset-Ofen aufknuspert. So geht Dekadenz in Zeiten von Flugscham!

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