Donnerstag, 24. Mai 2012

Wie versprochen: Eine Lobeshymne


Es gibt Anblicke, die fräsen sich förmlich ins Gedächtnis ein. "Die Weltpremiere! Und Tschüss auf Mallorca" - so drohte RTL einmal vor Jahren die Ausstrahlung einer viertklassigen Eigenproduktion an. Allzu inflationär werden abgeschmackte Jubelattribute verbraten a'la: "atemberaubend!", "brillant!", "Meisterwerk!", "Meilenstein!", "Sternstunde!" oder "bahnbrechend!". Im Fall der BBC-Serie Sherlock sind sie ausnahmsweise angemessen. Sherlock ist allerbestes Fernsehen auf der Höhe der Zeit und seinen Möglichkeiten. Die Abenteuer des soziopathischen Superdetektivs und seines getreuen Dr. Watson in die Gegenwart zu verlegen, ist eine radikale und großartige Idee, die dem Altbekannten jeden musealen Staub gründlichst aus der Jacke schüttelt.

Weil bei Arthur Conan Doyle vieles von dem, was noch heute in den meisten Krimis zu finden ist, zum ersten Mal auftaucht, sorgt das auch nicht für das kleinste Befremden. Im Gegenteil: Nach kurzer Zeit wirken alle vorherigen Verfilmungen, so gut die im Einzelnen sein mögen, hoffnungslos altbacken. Wie der Stoff durch diese gekonnte Umsetzung an Aktualität und Relevanz gewinnt, ist nebenbei ein schöner Schlag ins Gesicht all jener Erbsenzähler, denen es nie werkgetreu und historisch exakt genug zugehen kann. Wegen der Interpretationskunst der Autoren Steven Moffat und Mark Gatiss, beides profunde Doyle-Experten, ist ihre moderne Fassung paradoxerweise die vielleicht originalgetreueste von allen.

Die verschnarchte Betulichkeit, die deutschen Produktionen dagegen so oft anhaftet, liegt vor allem an der an Feigheit grenzenden, fehlenden Risikofreude und der Arroganz der hiesigen Programmverantwortlichen in Bezug auf ihr Publikum. Niemanden verprellen und bloß keinen überfordern, scheint fast immer das oberste Prinzip zu lauten. Man hält die Zuschauer für sedierte Vollpfosten, die mit allem, das den Anspruch eines Testbildes übersteigt, intellektuell überfordert sind. Wie wenig weit das hergeholt ist, zeigt das aussagekräftige Ergebnis der Anfrage der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bei diversen Sendern, warum niemand bereit ist, die vielfach preisgekrönte Serie The Wire auszustrahlen: Zu schwierig, kein Mainstream-Appeal, zu speziell, schlechte Erfahrungen mit The Sopranos (welch Überraschung, wenn man sie samstags nachts sendet) und so weiter.

Was für ein ausgemachter Blödsinn das ist und dass es auch ganz anders geht, beweist unter anderem der Erfolg der öffentlich-rechtlichen BBC mit Sherlock. Man vergleiche diesen Kracher mit einem der besseren Erzeugnisse deutschen Krimischaffens. Und, nein, ich bin nicht so arrogant und vermessen, denjenigen, die sich vom Fernsehen einfach nur passiv mit Seichtem berieseln lassen wollen, ihr Pantoffelkino wegnehmen zu wollen. Es ist nur so furchtbar deprimierend, wie wenig man sich hierzulande zur Prime Time traut.

Nach neunzig Minuten Tatort ist man bettschwer. Wenn's ein Münsterscher war, meist sogar durchaus amüsiert. Nach neunzig Minuten Sherlock hat man einen Adrenalinspiegel im Blut wie nach mehreren Runden Achterbahn. Ein gutes Beispiel ist das Finale der ersten Staffel, in dem Holmes (Benedict Cumberbatch) und sein ebenbürtiger Widersacher Moriarty (Andrew Scott) sich ein irrwitziges Katz-und-Maus-Spiel quer durch London und zurück liefern. Warum nur einen Kriminalfall pro Film abhandeln, wenn wir dem Zuschauer gleich vier reindrehen können, hat man sich vermutlich gedacht.

So geht Detektiv heute: Dr. Watson (Martin Freeman), Holmes (Benedict Cumberbatch), Inspektor Lestrade (Rupert Graves) - via daserste.de
Man kann streiten, ob einige der Freiheiten, die die Autoren sich nehmen, etwa die Aufwertung Moriartys, der bei Doyle nur am Rande auftaucht, der Sache einen Dienst erweisen. Auch dass Mycroft Holmes (die Britishness in Person: Co-Autor Mark Gatiss) mehr als nur ein schrulliger Sidekick ist, sondern eine zentrale Figur im Zentrum eines klandestinen Machtspiels, mag man diskutabel finden. Doch verleihen diese übergreifenden Elemente den neuen Fällen einen Spannungsbogen, ein Leitmotiv, ohne das sie nur eine zusammenhanglose Reihe in sich abgeschlossener, anekdotischer Geschichten wären.

Besetzung und Charakterisierung der Figuren sind fabelhaft. In den originalen Aufzeichnungen des Dr. Watson klingt eher indirekt an, dass der inselbegabte Sherlock Holmes nicht immer der angenehmste Mitbewohner ist. In der 2011er-Version hat er nichts mehr von einem leicht exzentrischen, viktorianischen Gentleman an sich, sondern ist meist ein echtes Ekelpaket. Langweilt er sich, weil sein Hochleistungshirn nicht mit Futter versorgt wird, ballert er zum Spaß auch schon mal Löcher in die Wand. Watson (Martin Freeman), in Erscheinung und Gestalt sowie in seiner Emotionalität ein Gegenpol zu Holmes, fällt dabei viel stärker als in älteren Versionen die Rolle zu, den nicht gesellschaftsfähigen Stinkstiefel halbwegs in geraden Bahnen zu halten. Das komische Potenzial, das solche Situationen oft bergen, wird meist voll ausgeschöpft. Die Nebenfiguren sind gleichermaßen überzeugend: Die resolute Nicht-Haushälterin Mrs. Hudson (Una Stubbs) ist keineswegs die naive ältere Dame, als die sie erscheint. Und Rupert Graves gibt als Inspektor Lestrade keinen begriffsstutzigen Dorftrottel, sondern einen seriösen, engagierten Beamten, der Holmes zwar bewundert, aber sich auch der Gefahr bewusst ist, die von einem wie ihm jederzeit ausgehen kann.

Wie meilenweit das Autorengespann seinen Epigonen voraus ist, wird daran deutlich, wie sie mit der gern kolportieren homoerotischen Dimension dieser Männerfreundschaft umgehen. Während zum Beispiel Guy Ritchie das als revolutionären Interpretationsansatz feiert, machen sich Moffat und Gatiss einen Jux und stricken einen Running Gag daraus. Obwohl es im sündteuren London nicht selten vorkommt, dass zwei erwachsene Männer aus finanziellen Gründen in einer WG leben, ist für die ach so tolerante und aufgeklärte Umwelt der Fall meist schnell klar: Kuck mal da, schwul, hihi! Während Watson regelmäßig schwer genervt davon ist, versteht Holmes, dessen Verstand in anderen Dimensionen schwebt, das Problem überhaupt nicht. Sein Sex ist die Logik. Das bekommt die ihn anhimmelnde Laborassistentin Molly Hooper (Louise Brealey) mehrmals schmerzhaft zu spüren. Sicher ist Watson eingenommen von seinem Mitbewohner, und zwar so sehr, dass regelmäßig seine Dates platzen. Aber es ist die Faszination für das Genie eines psychischen und sozialen Grenzgängers, die den traumatisierten Ex-Armeearzt in den Bann zieht.

Freundin? Vergiss es, Doc! Watson, Sarah (Zoe Telford) - via daserste.de
Die erste Folge der zweiten Staffel hält in allen Belangen, was das furiose Finale der ersten versprochen hat. Die zig Twists and Turns des psychologischen Hochseiltanzes zu verfolgen, den Holmes und die zwielichtige Irene Adler (Lara Pulver) miteinander veranstalten, ist ein Genuss, in den man nur selten kommt heutzutage. Will man irgend etwas kritisieren, dann könnte man anführen, dass die jeweils zweiten Folgen der ersten und zweiten Staffel ein wenig schwächer geraten sind. Doch steht das immer noch meilenweit über vielem, was sonst als Fernsehkrimi feilgeboten wird. Auch dass es immer nur drei Folgen pro Staffel gibt, ist ärgerlich. Andererseits: Solche Drehbücher schreibt man nicht am Fließband. Auf ein anregendes Pfingstwochenende immerhin dürfen wir uns freuen.

Weitere Sendetermine: Sonntag, 27. Mai (21:45 Uhr, ARD), Montag, 28. Mai (21:45 Uhr, ARD). DVDs der zweiten Staffel sind ab dem 29. Mai im Handel.



1 Kommentar :

  1. Ach schön, ein Lobgesang auf eine Serie die es verdient hat. Dann müssen wir es nicht mehr tun.

    Eine dritte Staffel ist wohl auch schon bestätigt, aber die Beteiligten sind alle schwer beschäftigt, somit kann es noch ein wenig dauern bis sie kommt.

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