Die von 1993 bis 2004 produzierte, in Deutschland von 1995 bis 2004 ausgestrahlte Serie 'Frasier' bescherte mir einst viele frohe Stunden und belehrte mich Ignoranten darüber, dass Sitcoms mitnichten seichter Quark sein müssen, sondern höchst geistreiches, clever gemachtes Kunsthandwerk sein können. Ich kaufte DVDs, ich besitze sie heute noch.
Worum geht es? Der Psychologe und Harvard-Absolvent Dr. Frasier Crane (Kelsey Grammer) hat seine Praxis in Boston (wo er auch Stammgast der Kneipe 'Cheers' war) aufgegeben, nachdem sich seine Frau Lilith hat scheiden lassen und das Sorgerecht für den Sohn zugesprochen bekommen hat. Als er das Angebot erhält, in Seattle eine Call in-Radiosendung zu moderieren, willigt er ein, zunächst widerstrebend, da er fürchtet, als Radioonkel seine hohen akademischen Standards nicht halten zu können. Andererseits würde ihm das Engagement so viel einbringen, dass er sein gewohntes gediegenes Leben würde fortführen können. Zumal sein Bruder Niles (David Hyde Pierce), ebenfalls Psychologe, der mit der Behandlung überspannter Superreicher ein Vermögen gemacht hat, auch in Seattle wohnt.
Die Sendung (Motto: "Ich bin ganz Ohr.") wird ein Erfolg, Frasier bezieht ein Luxus-Appartement mit Blick auf die Skyline von Seattle, das er exquisit einrichtet. Die Freude über sein neues ruhiges Leben währt nicht lange: Sein Vater Martin (der große John Mahoney), ein pensionierter Polizist, der bei einem Einsatz angeschossen wurde, am Stock geht und dessen Pension nicht zum Leben reicht, quartiert sich kurzerhand bei ihm ein. Nicht genug damit, dass Martin nichts anfangen kann mit dem ganzen Etepetete seiner Sohnemänner, mit Kunstausstellungen, Opernabenden, Maßanzügen, italienischem Kaffee und Gourmetrestaurants und er Chili, Nachos, Bier, Filterkaffee, Karohemden und Sportübertragungen bevorzugt. Nein, er besteht darauf, dass sein uralter, potthässlicher, zig Mal geflickter Fernsehsessel mit einzieht. Dort beleidigt er fortan das Auge des designverliebten Frasier.
Ein weiteres Problem ist, dass Martin regelmäßig Physiotherapie braucht und Frasier eine Haushaltshilfe, die ihm bei seinem aufwändigen Leben zur Hand geht. Beides in sich vereint Daphne Moon (Jane Leeves), die zu Frasiers Leidwesen bald auch im Hause Crane einzieht. Entweder nervt sie mit ihren esoterischen Anwandlungen oder rettet mit ihrer Bodenständigkeit und ihrem Sinn fürs Praktische die Situation.
Überhaupt lebt die Serie von ihren Gegensätzen: Hier die beiden Snobs Frasier und Niles, die sicher auch als platonisch-inszestuöses Brüderpaar glücklich würden, dort ihre Widerparts Martin und Daphne mit ihrem proletarischen Hintergrund. Hier Frasier, der sich als frisch Geschiedener eigentlich auf ein ausschweifendes Singledasein gefreut hat, aber jedes Date vermasselt, dort seine Produzentin Roz Doyle (Peri Gilpin), die ein ausschweifendes Sexualleben führt. Hier der neurotische Niles, von Pierce so schwul angelegt, wie es damals im Free-TV vermutlich gerade noch ging, dort die spinöse Daphne, in die er unsterblich verliebt ist, es aber über mehr als sechs Staffeln hinweg nicht hinbekommt, ihr das zu gestehen. Eine Nervensäge auch der laute, ordinäre Bob 'Bulldog' Briscoe (Dan Butler), der Sportmoderator des Senders, der den sensiblen Frasier regelmäßig zur Weißglut treibt.
Der wird auch sonst immer wieder damit konfrontiert, dass seine akademischen Meriten zwar schön und gut sind, ihn aber nicht lebenstüchtig machen und er tritt andauernd in irgendwelche Fettnäpfe. Dabei ist Frasier eigentlich ein grundguter Mensch. Er will helfen wo er kann, meistens geht das aber schief und mit seinen Versuchen, die Sache doch noch zu retten, macht er alles noch schlimmer. Ein weiterer Running gag, der in der ansonsten tadellosen deutschen Synchronisation allerdings nicht recht funktioniert, ist, dass in jeder Episode eine prominente Person in Frasiers Sendung anruft, der die anderen Hörer dann Fragen stellen können. Was aber nie passiert. Einmal jedoch ist Bill Gates am Apparat, woraufhin zig Verzweifelte in der Leitung sind, die Probleme mit der Installation von Windows XP haben, weswegen die Sendung sich bis in die späte Nacht hinzieht.
Aber ist das nicht alles irgendwie irre unglaubwürdig? Schnickschnack, das ist so glaubwürdig oder nicht wie Filme über einen bayerischen Dorfpolizisten, der Jeans zur Uniform trägt und um sich ballert. Oder eine Serie um ein kleines Eifeldorf, dessen Polizeirevier mit drei Vollzeitkräften besetzt ist. 'Frasier' funktioniert hervorragend, weil hier vor und hinter der Kamera echte Könner am Werk waren, die Typen unglaublich gut getroffen sind. Da verzeiht man sogar, dass Hauptdarsteller Kelsey Grammer, der bis dahin nur in der zweitklassigen U-Boot-Klamotte 'Mission: Rohr frei!' von sich reden gemacht hatte, ein Fan von George W. Bush und als einziger namhafter Promi bei dessen Vereidigung zugegen war.
Apropos Politik: Schaut man das heute wieder an, dann sind die Neunziger wieder da. Für Bewohner der westlichen Nordhalbkugel ein unschuldiges, unbeschwertes Jahrzehnt. Man sonnte sich darin, den Kommunismus besiegt zu haben, der Kapitalismus schien zu funktionieren, das Internet spielte noch kaum eine Rolle, wer schon mal eine E-Mail geschrieben hatte, war Avantgarde. Wir sehen eine überwiegend weiße Welt, die weder den 11. September 2001 noch die Finanzkrise von 2008/09 erlebt hatte. Fast. David Angell, Miterfinder und Co-Autor, befand sich mit seiner Frau am 11. September an Bord des American Airlines-Fluges 11. Es war die Maschine, die in den Nordturm des WTC krachte.
Wie komme ich darauf? Weil gerade eine Neuauflage von 'Frasier' an den Start geht. Frasier ist aus Seattle wieder nach Boston gezogen und bekommt es mit seinem inzwischen erwachsenen Sohn zu tun sowie seinem Neffen, dem Sohn von Niles und Daphne. Als Warnzeichen könnte gelten, dass außer Grammer kein einziger der alten Darstellerriege mehr an Bord ist. Und dass das nur auf Paramount plus zu streamen ist. Damit bin ich raus. Es genügt mir vollauf, dass ich mir seit Jahren ein Netflix-Abo leiste, das ich kaum nutze. Eben gestern wollte ich aus aktuellem Anlass endlich anfangen, mir die hoch gelobte israelische Serie 'Fauda' anzusehen und bin nach der ersten Folge eingeschlafen. 'Frasier' kam damals immer um Mitternacht auf SAT 1, da ist mir das nie passiert.
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