"Was stimmt mit dieser Kulturbranche nicht?", fragt David Baum sich. Die Frage ist berechtigt. Spätestens seit der gruseligen Abschlussveranstaltung der diesjährigen Berlinale am Sonntag. Was war geschehen?
"Während der Preisverleihung gab es Statements, die angeblich als Kritik an der israelischen Politik in Gaza und im Westjordanland gemeint waren, aber durch die Verwendung der falschen Begriffe Genozid und Apartheid klangen wie die Kürzel antisemitischer Propaganda. Niemand reagiert, niemand widerspricht mit Macht. Im Saal herrscht, so wirkt es auf den Aufnahmen, der gemütliche Konsens derer, die immer schon wussten, was alles an diesem kleinen Land Israel falsch ist, was es besser mal täte und sein ließe." (Nils Minkmar)
Der Regisseur Christian Petzold, Mitglied der Berlinale-Jury, soll als Reaktion darauf gesagt haben, er wolle gern wieder einmal wieder auf ein unpolitisches Festival gehen. Wenn er das so gesagt hat, dann offenbart das möglicherweise einen Teil des Problems: Das schräge bis naive Selbstverständnis von Künstlern, mit Politik nach Belieben nichts zu tun haben bzw. für sich in Anspruch nehmen zu können, irgendwie über den Niederungen der Tagespolitik zu stehen.
Wiewohl es inhuman wäre, das offenkundige Leiden der Palästinenser in Gaza zu ignorieren oder kleinzureden, macht die komplette Blauäugigkeit gegenüber palästinensischer Propaganda nur mehr sprachlos. Das Problem war ja nicht, dass da ein paar Wichtigkünstler eine Kufiya trugen. Das Problem war auch nicht, dass die und welche im Publikum sich für Palästinenser stark machten. Das Problem war, dass in ganzen Milieus, weit über Palästinenserkreise hinaus, Juden offenbar gar nicht mehr vorkommen. Redet noch wer vom Existenzrecht Israels? Sooo 20th century!
Es scheint da das eine oder andere in Vergessenheit geraten zu sein. Erstens: Israel führt keinen Krieg gegen die Palästinenser, sondern gegen die Hamas. Die wiederum hat diesen Krieg begonnen und kann ihn auch sofort wieder beenden. Durch Waffenstillstand und anschließende Verhandlungen. Dass sie das nicht tut, sondern die Zivilbevölkerung von Gaza lieber weiter in Geiselhaft hält und immer weitere Hekatomben von Toten unter den eigenen Leuten in Kauf nimmt, offenbart, wie es dieser Verbrecherbande um das Wohl von Palästinensern wirklich bestellt ist. Die von ihnen beweinten Opfer sind bloß Futter für weitere Spenden- und Mitleidskampagnen.
(Ist ein bisschen wie mit Deutschland im zweiten Weltkrieg: Das Deutsche Reich hätte die Bombardierungen der Zivilbevölkerung von einem Tag auf den anderen stoppen können. Obwohl der Krieg im Sommer 1944 verloren war, entschied man sich aber, Hitler weiter in den Untergang zu folgen und nebenbei der Mordmaschinerie der SS noch ein paar Monate Zeit zu verschaffen (von Sommer 1944 bis Kriegsende kamen übrigens so viele Deutsche, Zivilisten wie Soldaten ums Leben wie in den fünf vorigen Kriegsjahren zusammen). Und hinterher heißt es dann: Auch Deutsche unter den Opfern, Menno!)
Zweitens: Was haben Juden, die im Ausland leben, die nichts weiter getan haben als Juden zu sein, und nichts mit der Regierung Netanjahu und deren Politik am Hut haben, sich vielleicht sogar klar davon distanzieren und die Israel nur als Touristen kennen oder von Verwandtenbesuchen, mit dem Gaza-Krieg zu tun? Wenn man dafür Juden auf allen Kontinenten in Sippenhaft nimmt und sich berechtigt fühlt, sie wegen einer Kippa oder eines Davidssterns zu beleidigen, zu bedrohen oder gar zu verletzten -- was bitteschön ist das anderes als Antisemitismus?
Eine weitere Lebenslüge deutscher Kulturschaffender ergibt sich aus einem naiven-romantisierenden Umgang mit politischen Aktivisten. Die fordern exakt so lange, dass gefälligst immer 'alle Seiten' gehört werden müssten, bis sie irgendwo Diskurshoheit haben. Danach ist Essig mit 'alle Seiten', dann ist nur noch eine erlaubt. Und die wohlmeinenden Intellektüllen und Kulturmichel gucken bedröppelt aus der Wäsche. Und halten die Klappe. Und wollen es nicht wahrhaben, dass auch sie Propaganda auf den Leim gehen können. Oder sich gar immun dünken gegen jedweden Antisemitismus qua eigener hoher moralischer Standards. Nur muss man denen auch mal gerecht werden, wenn es ernst wird.
"Theater leidet oft darunter, von harmlosen Leuten gemacht zu werden." (René Pollesch +)
Man kann es sich nun einfach machen und auf die eingangs gestellte Frage so antworten: Die hiesige Kulturbranche, zumindest der Teil, der sich auf diesen Großereignissen zu tummeln pflegt, ist mehrheitlich fett, satt, gepampert (gern mit öffentlichen Mitteln), risikoscheu, opportunistisch und angepasst, immer auf der Suche nach der nächsten lauen Brise, in den man das inzwischen arg zerfledderte Fähnchen hängen kann. Schlimmer noch: Sie ist komplett feige. Wirft sich aber gern in Rebellinn:enpose und stellt sich dar als unbequem, edgy, irre kreativ und sowieso. Nichts könnte falscher sein.
Das deutsche Filmschaffen zum Beispiel ist, abgesehen von ein paar rühmlichen Ausnahmen (die man aber meist nicht zu sehen bekommt, zumindest nicht im Kino), mittlerweile eine einzige Beleidigung für Intelligenz und Geist all jener, die von einem Film mehr erwarten als bloß stumpf 'unterhalten' zu werden. Im Hinblick auf baldige TV-Verwertung rundgelutscht. Um "die Zuschauer abzuholen", wie das heißt. Und so zeigt man Kleinbürger, wie sie ihre öden Kleinbürgerprobleme breittreten und am Ende irgendwie 'zu sich' finden. Oder reaktionäre Komödien, deren Humor allein auf dem Prinzip basiert, Schwächere bloßzustellen. Oder platte Politschmonzetten mit Bildungsanspruch, bei denen die Aussageabsicht nach fünf Minuten klar ist und man problemlos das Kino verlassen kann, ohne etwas zu verpassen.
Gewiss, auch von woanders her, ganz zu schweigen von Hollywood, kam und kommt viel seichte und platte Massenware, aber immer noch auch Kunst. Jemand 'Oppenheimer' gesehen? 'Killers Of The Flower Moon'? Welcher deutsche Film außer 'Im Westen nichts Neues' hat zuletzt wirklich von sich reden gemacht?
Wie gesagt, das wäre die einfache Antwort. Aber das Problem sitzt, so ist zu befürchten, tiefer. Jede Saat braucht einen Nährboden.
"Ein Grund für den auffälligen Antisemitismus des Intellektuellenmilieus ist ein ganz banaler: Konkurrenz. Es gibt nicht so viele jüdische Tischler, Fabrikarbeiter und Maschinenschlosser; aber es gibt jede Menge jüdische Professoren, Ärzte und Juristen. Als die Nazis im April 1933 alle jüdischen Lehrer entließen, wurden auf einen Schlag tausende Stellen für Nichtjuden frei. Schon allein das war ein Grund, die Juden nicht zu mögen. Hinzu kamen natürlich die Minderwertigkeitsgefühle. Mittelmäßige Würstchen wie Günter Grass und Martin Walser ahnten, dass sie es nie so weit gebracht hätten, wenn ihre jüdische Konkurrenz nicht von den Nazis aus dem Weg geräumt worden wäre. Und diesen Umstand haben sie natürlich den Juden nie verziehen. Dass der deutsche Literaturbetrieb nach 1945 Juden immer wieder mit Verachtung behandelt hat -- Edgar Hilsenrath und Paul Celan sind die bekanntesten Beispiele --, war lediglich die Fortsetzung einer altehrwürdigen Tradition." (Hannes Stein)
Vom Himmel gefallen ist die "Schande von Berlin" (Minkmar, a.a.O.) also gewiss nicht. Man erinnere sich nur an das erbärmliche Lavieren der documenta fifteen-Leiterin angesichts offen antisemitischer Propaganda bei der Kunstschau.
Man kann problemlos woanders weiter machen im Bildungsbereich. Da ist das schwiemelige Eiapopeia der HU-Präsidentin, die angesichts massiver antijüdischer Störaktionen folgendes Statement sich aus der Birne wrang: "Wissenschaft lebt von Dialog und Austausch. Diesen Raum müssen wir auch an Universitäten anbieten, um konkurrierende Meinungen zu diskutieren."
Aha. Zur Erinnerung, Frau Präsidentin: Leuten, die offen propagieren, man müsse die Juden vom Antlitz der Erde tilgen -- nichts anderes bedeutet die Chiffre 'From the river to the sea', nicht dafür --, muss man genau überhaupt keinen Raum anbieten. Denen darf man gern auch die Tür weisen, nachdem sie ihre Meinung kundgetan und der Meinungsfreiheit somit Genüge getan wäre. Sie finden das zu hart? Nun ja, mit welcher Begründung würden Sie dann Rechtsextremen einen Raum verweigern wollen?
Oder die komplette Unfähigkeit des FU-Präsidenten, klare Kante zu zeigen und einem Studenten, der einen jüdischen Kommilitonen aus klar antisemitischen Motiven heraus krankenhausreif geschlagen hatte, nicht der Einrichtung zu verweisen. Das sei aus rechtlichen Gründen leider nicht machbar, meinte er. Die Wissenschaftssenatorin sprach dann ein Hausverbot aus. Geht doch, wenn man nur will.
Was soll dieses Einknicken vor dummdreisten Anwürfen, von wegen die Deutschen spielten sich als Moralweltmeister auf und wollten die Welt in Sachen Moral belehren? Könnte vielleicht an denen liegen, die das so empfinden. Und wenn schon! Vielleicht geschieht das in Deutschland aus gutem Grund. Also: Fuck off, lern Geschichte und krieg dein Leben in den Griff!
Diese Leute nehmen für sich in Anspruch Führungspositionen zu bekleiden. Wieso? Ist es mittlerweile Voraussetzung für so einen Job, ein maximal flexibles Rückgrat zu haben bzw. am besten überhaupt keines? Um Himmels Willen niemals irgendwo anzuecken? Selbst wenn man diese Frühstücksdirektoren beim Wort nähme mit ihrem maximal oberflächlichen "Man muss ja immer alle Seiten sehen", was streng genommen schon ein intellektueller Offenbarungseid allererster Güte ist, dann bliebe immer noch die Frage: Was ist mit der jüdischen Seite und warum wird die nicht zumindest mal ausdrücklich erwähnt?
Wird man ja wohl noch fragen dürfen.
Eine großartiger Rundumschlag, vielen Dank! Leider werden das vermutlich nicht jene lesen, die es angeht! Dass Celan "Juden mit Verachtung behandelt hat" wusste ich nicht, kenne von ihm ja nur die Todesfuge, die das nicht vermuten lässt.
AntwortenLöschenDas Verhalten der Uni-Leitungen finde ich auch skandalös! Nehme an, sie sind einfach feige und wollen möglichst schnell wieder "Ruhe".
Ups, Missverständnis! Es geht darum, dass Autoren wie Celan und Hilsenrath (und andere) in der Nachkriegszeit mit Antisemitismus zu kämpfen hatten. Vor allem die Gruppe 47, die ja so was wie ein Gründungsmythos der BRD-West-Nachkriegsliteratur ist, wird da immer wieder genannt.
LöschenDer Umgang vor allem der Gruppe 47 mit Celan und Hilsenrath wird vom zitierten Hannes Stein leider etwas undifferenziert wiedergegeben. Celan war mit Grass eng befreundet und er soll wohl verspottet worden sein, doch es ist zumindest umstritten, ob er auf der Tagung der Gruppe von 1952 auf antisemitisch motivierte Ablehnung stieß.
Bei Hilsenrath war die Abneigung wohl auf Gegenseitigkeit und er bezeichnete die Gruppe 47 als "Mafia" .
Ganz unrichtig ist die Kritik trotzdem nicht, wobei auch da nicht alle Künstler, Schauspieler, Schriftsteller oder andere Vertreter der Branche über einen Kamm geschert werden können.
LöschenTatsache ist aber auch, dass wie in der Phase der Pandemie manche meinen, über ihren gelegentlich auch nur eingebildeten Promi-Status Meinung machen zu müssen, denn nichts anderes war doch diese Nullnummer auf der Berlinale auch. Andererseits sind sie da auf derselben Welle wie der O-Ton in den Medien, wenn wie jüngst selbst die Tagesschau mal wieder in bester Phrase etwas von Israel unter Druck faselt, obwohl die Quellenlage uneindeutig ist und keiner weiß, ob es letzten Endes nicht einfach eine Massenpanik war, irgendwelche agent provocateurs die Stimmung angeheizt und es so zum Eskalieren gebracht haben oder einfach nur der Wettlauf um den ersten Platz am Transport das Ding hat platzen lassen.
Da nützt auch der Hinweis auf die Kriegsparteien und damit verbundene mögliche Propaganda nichts, sondern wenn ich keine Ahnung habe, dann halte ich eben die Klappe und bringe als Nachricht nur, dass es zu einem Konflikt kam mit Toten und Verletzten - Ursache unbekannt. Die ganze Orakelei um wie, warum, weshalb samt Gefühltem und Vermuteten hat in seriösen Medien nichts verloren.
Genau wie beim Eklat der Berlinale oder auf der documenta wird die Ursache "Überfall der Hamas" ausgeblendet und völlig ignoriert, dass genau dieses Verhalten und die Vorfälle teils bewusst von dieser provoziert und ausgeschlachtet werden. Ähnlich wie die FDP fühlen sich manche Medienschaffende dabei anscheinend ein wenig als das Zünglein an der Waage und fühlen sich zu Aussagen berufen, die nach der emotionalen Phase dann oft ziemlich dämlich wirken, noch dazu wenn es ein Lavieren ist, um sich beim Mainstream anzubiedern und nicht mit Aussagen anecken will, die einen eher isolieren. Da lieber "Israelkritik" auf Kindergartenlevel statt klarer Aussage, wer hier die Verbrecher sind. Hat was mit den Luftwaffenangriffen der Alliierten gemeinsam...
Teile der Linksalternativen Kulturszene pflegen eine ideologische Nähe zum Islamismus sowie eine Ablehnung des privilegierten, weißen Westens der in die Rolle von Kolonialherren gesetzt wird, besonders in Bezug auf Israel. Eine gewisse Ablehnung der westlichen Demokratie schwingt dann auch noch mit.... Gibt da ja sogar Leute die die Houthis toll finden. Dies dann irgendwie in die Nähe von Anti Kapitalistischem Freiheitskampf usw gerückt wird...
AntwortenLöschenHat aber viel mit der Postmodernen, Postcolonial und "Critical Whiteness" Ideologie zu tun, die an unseren Universitäten gelehrt wird.
In Folge haben wir eine Politische Linke die nicht mehr für Befreiung und Fortschritt eintritt sondern reaktionärste Islamisten bis hin zum Iranischen Mullah Regime in Schutz nimmt. Das erweist sich dann als fatal...
Es braucht endlich wieder Linke Gruppen die klar pro westlich, Pro Israel Pro Demokratie usw auftreten.
"In Folge haben wir eine Politische Linke die nicht mehr für Befreiung und Fortschritt eintritt sondern reaktionärste Islamisten bis hin zum Iranischen Mullah Regime in Schutz nimmt. Das erweist sich dann als fatal..."
LöschenEs ist halt auch nicht einfach, abseits extremer oder absoluter Positionen an allem zu kritisieren, was es zu kritisieren gibt, und gleichzeitig zu differenzieren und sich konstruktiv auseinanderzusetzen. Dabei ist ein reines "pro-westliches" Denken genauso Unsinn wie das Verherrlchen totalitärer Systeme, weil diese vermeintlich auf Seiten Unterdrückter im Klassenkampf stehen. Wenn wie im Fall Hamas Religion dabei mit im Spiel ist, wird es sowieso Brühe, denn mit Fanatikern ist kein rationales Diskutieren möglich;-)