Zu dem Schrecklichen, das vorgestern in Solingen geschehen ist, habe ich bereits 2016 das gesagt, was ich zu sagen habe. Mehr muss nicht. Zu glauben, Rechte und Nazis hätten da irgendwelche Lösungen anzubieten, ist gaga. Rechte können nicht als hetzen, Stimmung machen, utopische Forderungen stellen ("Grenzen dicht!", "Alle abschieben!!!") und schlimmstenfalls Mobs aufstacheln, deren Gewalt im Zweifel Unschuldige trifft. Es bleibt dabei: Solange man sich halbwegs darauf einigen kann, dass ein totales Kontrollregime a'la China, flächendeckende Kameraüberwachung und/oder ein kompletter Polizeistaat keine gangbaren Alternativen sind, wird ein Restrisiko bleiben. Leider.
"Und natürlich reklamiert der IS den Scheiß für sich. Und, was heißt das jetzt? Der IS faselt schon vom heldenhaften Kampf eines seiner Gotteskrieger gegen die Ungläubigen, wenn irgendwo ein Sack Reis umkippt oder so. Zur Information, Daesh-Wixer: Ich habe immer noch keine Angst vor euch, capisce? Wer klug ist (es geht wie immer nur um dumm gegen klug), wird lernen, mit euch und euren Taten irgendwie zu leben. So wie die Briten jahrzehntelang mit denen der IRA gelebt, man im Baskenland mit denen der ETA gelebt hat. Auch deren Bomben zerfetzten und verstümmelten wahllos Unschuldige." (Der dünne Firnis, 2016)
Solange dieses Land Teil internationaler Warenströme ist (wie sollte es nicht?) und davon profitiert, ist es illusorisch zu glauben, man könne sich hier eine autarke, vom Rest der Welt abgekoppelte Insel der Seligen zusammenbasteln. Wie viele Lkws kommen jeden Tag über die Grenzen? Welchen Aufwand bedeutete es, auch nur 20 Prozent davon zu durchleuchten und den/die Fahrer:in erkennungsdienstlich zu behandeln?
Herfried Münkler schlug damals in diesem Zusammenhang vor, sich eine Haltung "mürrischer Indifferenz" anzugewöhnen. Shit happens, Kopf zwischen die Schultern, das Leben geht weiter. Botschaft: Ihr könnt uns treffen, aber ihr brecht uns nicht. Nicht die dümmste Idee, will mir scheinen.
Die Links und Fundstücke des Monats:
Politik. Robert Misik über den Umgang mit Wähler:innen von Rechten.
"Es hat sich [...] eingebürgert, dass die Wähler und Wählerinnen rechtsextremer Parteien als verwundete Vergessene beschrieben werden, die aufgrund ihrer Frustrationen und auch wegen ihrer Tölpelhaftigkeiten Faschisten wählen, aber eigentlich nicht wissen, was sie tun. So als wären sie nicht geschäftsfähig.
Daran ist schon einmal bemerkenswert, dass dieselben Leute, die die Herablassung gegenüber den »einfachen Leuten« berechtigterweise anprangern, sie oft schon im nächsten Satz als einfältige Kleinkinder zeichnen, die nicht checken, dass sie Faschos wählen. Mal soll man »Sorgen« ernst nehmen, aber die Handlungen der Menschen werden nicht ernst genommen. Mir scheint ja, das ist die eigentliche Verachtung der Arbeiterklasse und zugleich eine Verniedlichung des Faschismus.
Wer Leute wie Björn Höcke oder in Österreich Herbert Kickl wählt, wer Leute wählt, die von »wohltemperierten Grausamkeiten« schwadronieren, und wer bei jeder bösartigen verbalen Entgleisung und Gewaltrhetorik in ekstatischen Jubel ausbricht, der will das, was er kriegt. Wer Rechtsextremisten wählt, ist ein Rechtsextremist und in der Regel kein besachwalteter Depp." (Misik, a.a.O.)
Stefan Laurin: Fremder Osten.
Dazu: Ein Interview mit dem Historiker James Hawes.
Dazu: Wie sehr nervt "Ost-, Ost-, Ostdeutschland"? Fragt Sebastian Bartoschek.
Bernd Rheinberg über deutsche Persilscheinpolitik gegenüber Russland.
Josef-Otto Freudenreich zeichnet nach, wie es bei der Schwäbischen Zeitung zum Rechtsruck kam.
Leander F. Badura über bürgerliche Mythen zum 30. Januar 1933.
Interview mit dem Historiker Gerd Krumeich zur aktuellen Forschung über den ersten Weltkireg.
Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Franz Schandl zum Phänomen des Overtourism.
Stefan Gärtner über Hermann Hesse, Franz Kafka und Lektüre im Zug sowie an Tankstellen.
Musik. Für Ulli Hannemann sind Adele-Konzerte kollektive Heul-Events.
"Es tut mir ja leid, wenn sie [Adele] Depressionen hat, aber dann wäre es, insbesondere für eine Patientin, die über die notwendigen Rücklagen für solche Fälle verfügt, allemal besser, sich vorübergehend aus dem Erwerbsleben zurückzuziehen, um die Krankheit erst einmal behandeln zu lassen. [...] Überhaupt scheint es für alle Beteiligten rundum eine rechte Jaulveranstaltung zu sein, ein wahres Open Plärr. Ein Sack Zwiebeln wäre sicher auch für weniger als die 400 Euro zu haben gewesen, die hier eine Eintrittskarte kostet; den braucht man dann bloß noch zu schälen und zu schneiden. Dabei kann man ja gern das Küchenradio laufen lassen, wenn man denn unbedingt zur Musik weinen will." (Hannemann, a.a.O.)
Zur Praxis. Die Band Hawkwind ist vor allem dafür berühmt, dass ein gewisser Lemmy Kilmister da mal Roadie und Bassist war, ehe er sich mit seinem eigenen Projekt namens Motörhead selbstständig machte. Das ist schade, denn Hawkwind, die ihre Musik als 'Space Rock' bezeichnen und noch dieses Jahr ein neues Album herausgebracht haben, sind mit dem Schicksal geschlagen, eine der großen unterschätzten Bands zu sein. Als Höhepunkt ihres Schaffens gilt das 1980er-Album 'Levitation', auf dem ein gewisser Ginger Baker Schlagzeug spielte. In diesem grieselig-analogen Promo-Video ihres Plattenlabels ist übrigens der aus der Autosendung 'Top Gear' bekannte James May am Bass zu sehen und zu hören. Für Bassisten haben sie halt ein Händchen.
(Video im erweiterten Datenschutzmodus. Anklicken generiert keine Cookies.)
Essen/Trinken/gut leben. Keine Freibadsaison ohne nostalgisches Gemache um die Freibadpommes. Was soll das? Mittlerweile gibt es die auch allen Ernstes als Tiefkühlware. Was unterscheidet die von normalen TK-Fritten? Jeweils ein Hauch Chlor, Sonnenmilch und säuerlich müffelnde Horrormayonaise?
Jörn Kabisch zur identitätsstiftenden Funktion des Essens. Das musste jenseits von Gourmetkreisen zunächst mal satt machen. Dann musste es schmecken und reichlich vorhanden sein. Dann sollte es leicht und gesund sein und nicht dick machen. Oder die Sehnsüchte bzw. Reiseerfahrungen ("mediterran") der Esser widerspiegeln. Jetzt auch noch deren Wertvorstellungen. Man darf gespannt sein auf das, was kommt.
Kennen Sie den Unterschied zwischen deutschem und österreichischem Suppengrün? Jetzt ja. Den Kochgenossen sei dank.
Das Rezept. Es ist immer lustig, wenn welche, die einem was erzählen von wegen, es müsse bitte alles von einem Tier verwertet werden (wird es), angewidert abwinken, wenn es Leber gibt oder Nierchen. Ich vermute, die Aversion gegen Leber kommt bei vielen daher, dass sie als Kinder zu dick geschnittene, schwammige Schweineleber vorgesetzt bekommen haben, die beim Essen immer mehr wurde im Mund. So ging es jedenfalls mir einst. (Welche, die sich auskennen, sagen übrigens, Schweineleber sei am besten in Pasteten und Würsten aufgehoben.) Als ich ein paar Jahre später beim Griechen einen Grillteller verputzte und damit auch mehr versehentlich ein paar hauchdünne, marinierte, knusprig gegrillte Streifen von der Rinderleber, war es um mich geschehen. Und weil das Zipperlein bislang netterweise einen Bogen um mich macht, kann ich mir das auch weiterhin gelegentlich mal genüsslich geben.
Leider herrscht beim Thema Leber oft arge Eintönigkeit. Neben der erwähnten gegrillten Leber beim Griechen, gibt es Geflügelleber als Ragout zu Reis, oder den ewigen Klassiker Leber Berliner Art, also mit Schmorzwiebeln, gedünsteten Apfelscheiben und Kartoffelpüree. Dagegen ist antürlich absolut nichts zu einzuwenden, aber warum nicht mal ein wenig mutig sein? Stevan Paul etwa kombiniert Kalbsleber mit Blaubeeren, Wacholderbeeren und Salbei. Und warum immer Kartoffelpü als Beilage? Gebratene Polentaschnitten wären eine Idee. Oder, oder...
Jörn Kabisch zur identitätsstiftenden Funktion des Essens. Das musste jenseits von Gourmetkreisen zunächst mal satt machen. Dann musste es schmecken und reichlich vorhanden sein. Dann sollte es leicht und gesund sein und nicht dick machen. Oder die Sehnsüchte bzw. Reiseerfahrungen ("mediterran") der Esser widerspiegeln. Jetzt auch noch deren Wertvorstellungen. Man darf gespannt sein auf das, was kommt.
Kennen Sie den Unterschied zwischen deutschem und österreichischem Suppengrün? Jetzt ja. Den Kochgenossen sei dank.
Das Rezept. Es ist immer lustig, wenn welche, die einem was erzählen von wegen, es müsse bitte alles von einem Tier verwertet werden (wird es), angewidert abwinken, wenn es Leber gibt oder Nierchen. Ich vermute, die Aversion gegen Leber kommt bei vielen daher, dass sie als Kinder zu dick geschnittene, schwammige Schweineleber vorgesetzt bekommen haben, die beim Essen immer mehr wurde im Mund. So ging es jedenfalls mir einst. (Welche, die sich auskennen, sagen übrigens, Schweineleber sei am besten in Pasteten und Würsten aufgehoben.) Als ich ein paar Jahre später beim Griechen einen Grillteller verputzte und damit auch mehr versehentlich ein paar hauchdünne, marinierte, knusprig gegrillte Streifen von der Rinderleber, war es um mich geschehen. Und weil das Zipperlein bislang netterweise einen Bogen um mich macht, kann ich mir das auch weiterhin gelegentlich mal genüsslich geben.
Leider herrscht beim Thema Leber oft arge Eintönigkeit. Neben der erwähnten gegrillten Leber beim Griechen, gibt es Geflügelleber als Ragout zu Reis, oder den ewigen Klassiker Leber Berliner Art, also mit Schmorzwiebeln, gedünsteten Apfelscheiben und Kartoffelpüree. Dagegen ist antürlich absolut nichts zu einzuwenden, aber warum nicht mal ein wenig mutig sein? Stevan Paul etwa kombiniert Kalbsleber mit Blaubeeren, Wacholderbeeren und Salbei. Und warum immer Kartoffelpü als Beilage? Gebratene Polentaschnitten wären eine Idee. Oder, oder...
Der Bericht über die Schwäbische Zeitung war hochinteressant - und erschreckend. Mich wundert plötzlich auch nicht mehr, daß es keine Lokalredaktion in meiner Heimatstadt (naja...) mehr gibt, und daß man dem braunen Gesocks zuviel Raum gibt, fällt mir sogar beim flüchtigen Durchblättern auf - ich habe glücklicherweise KEIN Abonnement. Dazu wird es wohl auch nicht mehr kommen.
AntwortenLöschenViele der damals in der DDR existenten „Antis“ haben die ostdeutschen Spiesser schon immer verachtet und das mMn zurecht- wenn ich nur an den Anschluss vom 3.10.90 denke: Für Bananen, Gordasää und Klimpergeld eine einmalige einmalige einmalige Chance verkackt. Da musste Birne Kohl nur seinen massigen Leib auf irgendeinem Marktplatz in der Zone zeigen, aweng nuscheln und schon war alles einig Vaterland. Na wie auch immer, die Typen, die es nun in Thüringen etc. mit einer konzeptfreien Rechten versuchen wollen, sind halt genauso wie ihre Alten und wählen den Weg des scheinbar geringsten Widerstands. Was würde eigentlich passieren, wenn bis Montag in ganz Dunkeldeutschland das Internet ausfiele? GroKo? Vielleicht wird ja das Putins Rache :-D
AntwortenLöschenIch schmeiß' die Rindsleber immer auf den Grill. In die Polentaschnitten würde ich noch Pecorino und eine Zehe Knoblauch pro 100g Trockenmasse hineinreiben. Dann braucht es auch keine Sauce.
AntwortenLöschenLeber vom Grill ist immer ne sichere Nummer. Das mit der Polenta probiere ich mal aus, danke.
Löschen@Anonym, 16:11: Na ja, im Westen war man 1998/90 ja auch eher indifferent. Das Versagen der Linken lag vor allem darin, dass man noch am diskutieren war, als Kohl et al. schon alles in trockenen Tüchern war. Und dann war man sauer, dass die Welt nicht gewartet hatte mit weiterdrehen, bis man mit diskutieren fertig war.
Was die aktuelle Situation angeht, sagte Wolf Biermann jetzt: "Die, die zu feige waren in der Diktatur, rebellieren jetzt ohne Risiko gegen die Demokratie."
Naja - das ist halt ein "typisch linkes" Problem, dass erst alles ewig durchgekaut wird, während sich rundherum die Realitäten schneller ändern. Zur Wende hatte Kohl ja zwecks Wiederwahl auch gute Gründe, die Ossis "zu verarschen" und über die Einheit seinen Wahlsieg halbwegs abzusichern. Einheitsbesoffenheit und Wedeln mit der D-Mark hat das gegen Ratio ganz gut hinbekommen.
LöschenMenschen wollen eben lieber das Angenehme als die Wahrheit, auch wenn sie eigentlich wissen, dass etwas nicht stimmt oder nicht funktionieren kann. Es liesse sich nun wieder endlos debattieren, ob diese so schnell durchgezogene Wiedervereinigung mit all ihren Folgen nicht auch einer der Gründe für das Erstarken Rechter ist, das jetzt in den Dauerkrisen dieser Gesellschaftsordnung kumuliert und das in ganz Europa und sogar weltweit in den Ländern des fortgeschrittenen Kapitalismus. Dem liegt nun einmal der Faschismus immer auch mit drin und die Frage ist am Ende nur, wann es wieder in einer Diktatur eskaliert und wie? Das "Bürgerliche" ist halt auch der treibende Keil dieser Denke.
Das so etwas wie Solingen derzeit super in die Agenda vieler passt und nicht besser hätte mit Absicht getimed sein können, ist schon wieder eine Art Treppenwitz. Terror wird sich trotzdem nie verhindern lassen, egal von welcher Seite er kommt.