Samstag, 30. September 2017

Notizen aus der Provinz


Promis, meinte die ostwestfälische Nachtigall einst, seien Erbrochenes auf der Windschutzscheibe des Lebens. Dem ist nur schwer zu widersprechen. Zumal damit ja nicht gemeint ist, Menschen, die der Menschheit wirklich etwas zu geben haben, den gebotenen Respekt zu versagen. Die sind oft gar nicht das Problem, denn die pflegen sich durch das mitzuteilen, was sie tun und ansonsten meist keine Lallbacken zu sein. Nein, es geht um Promis. Um jene Leute also, die aus irgendwelchen Gründen Medienpräsenz bekommen für irgendwas Belangloses und es deswegen gewaltig nötig haben. Und je belangloser das, was sie tun, desto mehr haben sie's oft nötig. So landet man am Ende bei ridikülen Phänomen wie 'It-Girls'. Normschöne junge Frauen, die für ihre bloße Existenz bezahlt werden sowie dafür, mit mehr oder minder Aufwand momentan gültigen ästhetischen Idealen zu entsprechen und zu den richtigen Events eingeladen zu werden.

Einer, der in die andere und damit sympathische Kategorie fällt, ist der Schauspieler Martin Brambach. Der war lange Zeit so eine Art Champion der zweiten Reihe. Außerhalb der Branche bekannt dafür, nicht bekannt zu sein. Einer, bei dem die Gespräche nicht ehrfurchtsvoll verstummen, wenn er den Raum betritt, sondern der die Leute sagen lässt: "Siehst du den da drüben? Mensch, ich könnte schwören, den kenne ich von irgendwoher. Aber ich weiß einfach nicht..."

Brambach steht im Rufe, ein aufgeräumter, überaus freundlicher und dezenter Mensch zu sein. Ihm ist es, wie zu hören und zu lesen ist, sehr um ein ruhiges und unbehelligtes Leben bestellt. Deswegen hat es ihn, seine Frau Christine Sommer, ebenfalls Schauspielerin, und die Patchworkkinder irgendwie in meine heimatliche Randständige Mittelgroße Ruhrgebietsstadt verschlagen. Und weil der Provinzler normalerweise reflexartig aufmerkt, wenn in seiner provinziellen Heimat mal was von größerem Interesse passiert (ob es auch was von Belang ist, steht selbstredend auf einem anderen Blatt), merke auch ich auf, wenn irgendwo ein längerer Artikel über Brambach erscheint. Mittlerweile nicht mehr nur wegen des Provinzlerreflexes, sondern auch, weil ich weiß: Das verspricht lustig zu werden.

Seit einiger Zeit gewinnt der Mann zusehends an Prominenz. Er ist nunmehr 'Tatort'-Kommissar und hat den deutschen Fernsehpreis bekommen. Das führt nun dazu, dass gelegentlich Journalisten sich aufmachen in unsere gemeinsame Heimatstadt, um ihn dortselbst zum Gespräch zu treffen. Und die Schreiberlinge tun dann immer so, als seien sie nicht etwa in einer ziemlich normalen, mittelgroßen und ziemlich durchschnittlichen Stadt gelandet, die kein großes Bohei macht um sich, sondern mitten in Sibirien. Oder im Mittleren Westen der USA. Oder sonstwo, wo man den Einheimischen nachsagt, das Licht mit dem Hammer auszumachen.

Vielleicht sollte ich das kurz erklären: In der Tat wirkt mein unauffälliges Heimatnest, vor allem in der knuffeligen Innenstadt, deutlich kleiner als es ist. Wer von woanders herkommt, sagt oft, man hätte das Gefühl, es hier eigentlich mit zwei Städten zu tun zu haben: Einem gemütlichen münsterländischen Landstädtchen im Norden, und mit einer waschechten Ruhrgebietsstadt im Süden. Das ist fein beobachtet, denn der Ruhrbergbau breitete sich weniger um die Ruhr, sondern vor allem um Emscher und Rhein-Herne-Kanal herum aus. Daher ging man in Städten, die nördlich dieser Demarkationslinie liegen, dem beschwerlichen und allzu oft tödlichen Schürfwerk im Süden nach. Wie dem auch sei: Man sieht dem Nest hier seine gut 110.000 Einwohner nicht an. Allein die reanimierten Ruhrfestspiele, eine durchaus empfehlenswerte Veranstaltung übrigens, vermögen es mal ins überregionale Feuilleton zu hieven.

Als Ruhrpöttler ist man's ja gewohnt, von Auswärtigen immer noch mit dieser Mischung aus Herablassung und Mitleid behandelt zu werden. So als ob wir immer noch jeden Morgen vonne Nachtschicht kämen, uns erstmal mit Kernseife den Kohlestaub runterschrubbten, Muckefuck zum aus den Fenstern gekratzten Kitt trönken und die nackte Glühbirne an der Decke anstaunten wie das achte Weltwunder. Inzwischen werden wir auch gern hergenommen als Metropole des Verbrechens, die dem Michel zwecks Bangemachen als gar erschröckliche Dystopie vor die Nase gehalten wird. Ob man etwa Zustände wolle wie in Duisburg-Marxloh, lautet dann gern die Frage (interessanterweise muss die Dortmunder Nordstadt, eine einschlägig bekannte Nazihochburg, weit seltener herhalten für so was, wie mir scheint). Zu funktionieren scheint das jedenfalls gut.

Vor Jahren saß ich im Zug gegenüber eines älteren, stark schwäbelnden Paares. Als draußen Gelsenkirchen vorbeizog und sie sich entsetzt und schüttelnden Kopfes ergingen darüber, wie furchtbar hier alles doch sei und wie sie von Leuten gehört hätten, die Leute kennten, wie man hier tagtäglich um sein Leben fürchten müsse, mochte ich nicht mehr an mich halten. Zwar sei das gerade nicht der schönste Anblick, meinte ich freundlich lächelnd, und es gäbe solche und solche Ecken, aber insgesamt lebe es sich recht gut und auch sicher hier. Ich wisse das, denn ich sei von hier. Woraufhin der ältere Herr zu mir meinte: "Nein, junger Mann, da sind Sie falsch informiert. Sehen Sie, ..." Da gab ich's dann auf und verabschiedete mich mit der Ausrede, aussteigen zu müssen. Aber zurück zu Martin Brambach bzw. dessen journalistischer Aufarbeitung. Sehen wir uns ein paar Kostproben an:

"Recklinghausen, ein verregneter Vormittag. Martin Brambach erscheint mit leicht zerknittertem Baumwollhemd im Café in der Innenstadt. Der Schauspieler wohnt mit seiner Patchworkfamilie in der Arbeiterstadt mitten im Pott." (Anke Schipp in der 'FAZ')

Die Frisur sitzt, möchte man da ergänzen. Nein, Frau Schipp, man ist hier eben nicht "mitten im Pott". Das ist man entlang der Linie Duisburg – Oberhausen – Essen – Bochum – Gelsenkirchen – Herne – Dortmund. Hier ist man eher mit einem Bein im Münsterland. Aber "mitten im Pott" klingt halt dramatischer, schon klar. Und Arbeiter, zumindest welche, die als solche aktiv sind, gibt es hier schon länger nicht mehr als woanders. Never mind.

"Martin Brambach sitzt in Caspers Café in Recklinghausen, der kleinen Stadt im Norden des Ruhrgebiets. Renate Künast, Ralf Möller und Hape Kerkeling wurden hier geboren, hier im Abseits. Recklinghausen hat noch kaum je eine Hauptrolle im Ruhrgebiet gespielt. Recklinghausen war stets ein geachteter Nebendarsteller. Das passt zu Martin Brambach." (Hans Hoff in der 'Süddeutschen')

O wohl der kleinen Stadt, welche Persönlichkeiten hervorbrachte wie Renate Künast, Ralf Möller und Hape Kerkeling! Trotzdem, schon besser. Vor allem die geographische Recherche und die Volte mit dem Nebendarsteller vermögen zu gefallen.

"Es wehen kräftige Böen ums Eck beim Café Eckstein in Recklinghausen, aber die Sonne scheint, Brambach ist gut gelaunt, seine bescheidene Haarpracht flattert lustig in alle Richtungen, und geraucht werden kann hier draußen auch. Brambach grüßt hin und wieder vorbeikommende Bekannte, aber nicht einmal in seiner Wahl-Heimat im Norden des Ruhrgebiets ist allen Menschen der Name des bekanntesten Unbekannten des deutschen Fernsehens geläufig." (Thomas Gehringer im 'Tagesspiegel')

Hach, der rasende Reporter, der sich unerschrocken aufmacht dorthin, wo die Sturmböen um die vereinzelt über die Einöde verstreuten Häuser fegen, nichts als seine Mission im Blick. Und das Wortspiel mit dem Eck beim Café Eckstein ist aber mal der Hammer.

"Martin Brambach, Stiefbruder von Jan-Josef Liefers (52) und Chef des Dresden-'Tatort', kommt mit dem Fahrrad ins Café Helene am Recklinghäuser Rathaus: „Anders als in der Hauptstadt-Hektik Berlins ist das Tempo nicht so aggressiv und es gibt weniger Wichtigtuerei. Das Ruhrgebiet ist entspannter.” (Marc Oliver Hänig)

Das wirklich Fiese ist nun, dass ich nicht anders kann als zu konstatieren, dass dieser handwerklich insgesamt gelungenste Beitrag zum Thema... Dass er... Ich weiß, ich sollte nicht, doch ich muss: Das wirklich Fiese ist, dass der handwerklich insgesamt gelungenste Beitrag zum Thema in Springers Meistverkaufter zu finden war. Man umschifft sogar die Klippe, 'Recklinghäuser' zu schreiben anstatt 'Recklinghausener'. Sieh' herab, ehrwürdige FAZ!

Ach so, für den Fall, dass es Sie mal hierhin verschlägt: Die genannten Cafés sind allesamt zu empfehlen.




4 Kommentare:

  1. Es gibt jedes Jahr jede Menge neue Millionäre. Wenn Berlin abgefrühstückt ist kommen die hier hin und dann ist Schluss mit einspanntem Leben im Pott. Ich hab den letzten Schwaben gesagt, die raus gefunden haben dass es ganz nett hier sein kann, sie sollen es für sich behalten

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  2. Recklinghausen? Die sind mir nur einmal näher untergekommen. Beim Entscheidungsspiel um den Aufstieg in die Oberliga Westfalen 1989, als der FC Recklinghausen (und seine Anhänger) reichlich arrogant gegen uns Dörfler aus Beckum antragen und.... mit 7 : 2 aus dem Stadion gepustet wurden.

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  3. Nun, der FCR war noch nie ein Aushängeschild der Stadt. Ich weiß gar nicht, in welcher Liga die zzt. so rumkicken.

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  4. "Renate Künast, Ralf Möller und Hape Kerkeling wurden hier geboren, hier im Abseits."
    Das Abseits ist ja meistens ein interessanter Ort;im Fußball sogar der interessanteste überhaupt und Objekt stundenlanger, Überflüssiger Diskussionen.
    Das Problem sind nicht Leute, die im Abseits sind, sondern Leute, die da rauswollen. Von daher: ein Hoch auf das Abseits.

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