Sonntag, 15. Oktober 2023

Vorlesungen, Chuzpe, Lippenbekenntnisse

 
Dass ich die einst durchaus respektablen Nachdenkseiten schön länger nur mehr am Rande verfolge, sollte bekannt sein. Ich habe den Feed nach wie vor im Reader, aber meistens vergeht mir schon bei den reißerischen Überschriften die Lust aufs Weiterlesen. Jetzt aber stieß ich auf das Lesestück eines gewissen Jürgen Hübschen, das sogar für NDS-Maßstäbe ein Tiefpunkt ist. (Wer Hübschen so ist und was er so macht, erfahren wir übrigens nicht. Wer weiß, vielleicht ist er ja ein "ausgewiesener Nahost-Experte" oder hat sich "lange intensiv mit der Thematik befasst".) Schauen wir uns ein paar Schlüsselstellen seines Aufsatzes mit dem Titel 'Der neue Krieg in Nahost: Eine vorhersehbare Katastrophe' einmal genauer an:

"Der Überfall der HAMAS hat gezeigt, dass die israelische Regierung nicht in der Lage ist, die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Die von Ministerpräsident Netanjahu geführte Koalition ist offensichtlich unfähig, die eigenen Grenzen zu sichern, und die israelische Luftverteidigung konnte einen solchen massiven Raketenangriff nicht vollständig abwehren. Das hat dazu geführt, dass sich die Menschen in Israel in ihrer Gesamtheit, egal, wo sie wohnen, zum ersten Mal nicht mehr sicher fühlen."

Öhm, ich glaube, der Großteil der Bürger Israels ist sich der strategischen Lage des Landes schon bewusst und erwartet auch dementsprechend gar keine totale Sicherheit von der Regierung. Weil mit Angriffen, unter anderem durch die Hamas, immer zu rechnen ist. Die Frage ist nur, ob ein Ausmaß an Terror, wie es jetzt geschehen ist, vorhersehbar war. War es im Falle des 11. September 2001 auch nicht wirklich. Außer, man hängt Verschwörungstüdelkram a'la Ganser an. Fun fact: Der Jom-Kippur-Krieg erwischte Israel damals auch auf dem falschen Fuß.

Und wer sagt, dass sich "die Menschen in Israel in ihrer Gesamtheit, egal, wo sie wohnen zum ersten Mal nicht mehr sicher fühlen"? Dafür hat es bis jetzt schon oft Anlässe gegeben, da Israel war in den 75 Jahren seines Bestehens meines Wissens nach mehrfach existenziell bedroht war. Was folgt, kann ich mir denken: Israel muss endlich einsehen, dass es 'verhandeln' muss. Ist so ein Gefühl.

By the way: Hat das was zu sagen, dass "HAMAS" konsequent in Versalien geschrieben wird? Egal.

(Richtiger wäre vielleicht: Noch nie sind so viele Israelis an einem Tag durch Feindeinwirkung zu Tode gekommen. Aber was weiß denn schon ich?)

"So bleiben Israel für die Zukunft grundsätzlich nur drei Möglichkeiten:"

Gleich drei? Na da bin ich aber gespannt.

"1. Die endgültige Zerschlagung und Vernichtung der HAMAS.
Das kann und wird nicht gelingen, weil eine Trennung/Unterscheidung zwischen den Bewohnern des Gaza-Streifens und der HAMAS nicht möglich ist. Auch die Unterstützung der HAMAS durch den Iran oder auch Katar wird Israel nicht unterbrechen können."

Mal eine Frage: Wer genau strebt eigentlich eine "endgültige Zerschlagung und Vernichtung der HAMAS“ an? Also jenseits von Propaganda und Politsprech? Eine Quelle wäre da echt hilfreich. Glaubt jemand ernsthaft, bei der israelischen Regierung und den IDF hielten sie das für machbar? Die Unterstellung, Israels Armee und Regierung hätten die totale Vernichtung der Hamas als Ziel ausgegeben (Ableitung: Weil die ja alle dumm/naiv/(von den USA) gekauft/kriegsgeil sind, im Gegensatz zu den Durchblickern bei den NDS), ist genau so ein Unfug wie 'der Westen' peile mit dem Ukrainekrieg den totalen Sieg über Russland an.

Das Argument, "eine Trennung/Unterscheidung zwischen den Bewohnern des Gaza-Streifens und der HAMAS [sei] nicht möglich", ist insofern Blödsinn, als dass es seit vielen Jahren Teil der Strategie der Hamas ist, die Bewohner des Gazastreifens als lebende Schutzschilde zu missbrauchen. Das sollte man zumindest erwähnen. Diskutieren könnte man auch die Frage, ob der Gazastreifen denn so eine Oase des Friedens und der Nächstenliebe wäre, wenn nur das böse Israel nicht wäre:

"Im Gazastreifen ist auch die Hamas der Unterdrücker. Gaza ist kein Warschauer Ghetto, sondern ein Koranknast, in dem wiederum irre religiöse Fanatiker zwei Millionen Geiseln gefangenhalten. In dem Demonstrationen mit dem Maschinengewehr aufgelöst, Frauen versklavt, »Ungläubige« und Linke ermordet werden. Die Hamas provoziert aussichtslose Kriege, damit die Trauer um die Geopferten neuen Hass schürt. Es geht ihr nicht einfach nur um die Befreiung der Palästinenser. Es geht ihr, auf Kosten der eigenen Leute, um die Vernichtung der Juden, aller Juden überall, und sollte es noch hundert Jahre dauern." (Pierre Deason-Tomory)

Aber weiter in Hübschens Text:

"Katar hat seit mehr als zehn Jahren eine diplomatische Vertretung in Gaza. Auch die Zusammenarbeit der libanesischen Hisbollah mit der HAMAS kann durch Israel nicht beendet werden."

Na und? Weil Israel mit Katar nix am Hut hat, lässt eine diplomatische Vertretung sich evakuieren und wegräumen. Und natürlich kann man die Zusammenarbeit zwischen Hamas und Hisbollah nicht völlig unterbinden, aber man kann sie erheblich erschweren und sehr risikoreich machen.

So weit Möglichkeit eins. Numero zwo lautet:

"2. Ein verstärkter Schutz der Grenzen durch elektronische Installationen wie Kameras, elektrische Zäune, Minengürtel und andere Formen der technischen, auch unterirdischen Absicherung. Ein solches Vorhaben ist letztlich zu 100 Prozent nicht zu realisieren."

Hm, es gab da mal einen Staat auf deutschem Boden, gar nicht so lange her übrigens, der hat es geschafft, eine knapp 1.400 Kilometer lange Grenze zwar auch nicht komplett zu 100 Prozent dicht zu machen, kam dem aber ziemlich nahe. Mit elektrischen Zäunen, Minengürteln, Selbstschussanlagen, Todesstreifen, Wachtürmen etc. Das kann man natürlich inhuman und verwerflich finden, aber es geht offenbar. Ist halt nur ein teurer, personalintensiver Spaß, so was.

Das ist eh ein beliebtes Argument von Schwurblern und Propagandisten, die nur Schwarz und Weiß kennen: Wenn eine Maßnahme nicht perfekt zu 100 Prozent funktioniert -- und welche Maßnahme tut das schon? -- dann taugt sie nix und man kann es eh gleich lassen. Manchmal funktionieren aber auch zweitbeste Lösungen ganz gut.

Es folgt Nummer drei, den Israelis ins Stammbuch geschrieben:

"3. Intensive Verhandlungen mit den Palästinensern über eine Zwei-Staaten-Lösung, die unbedingt auch eine Anbindung des Gaza-Streifens an das Westjordanland und eine einvernehmliche Lösung für den Status von Jerusalem enthalten muss."

Ahhh, Verhaaandlungen! Bingo. Der Zauberstab, der alle Krisen und Kriege sofort beendet. Man muss halt nur wollen. Ich wette ja, auf die Hammeridee, "eine einvernehmliche Lösung für den Status von Jerusalem" zu finden, ist da unten noch nie jemand gekommen. Alle Zwei-Staaten-Lösungen seit 1948 wurden bisher von den Palästinensern abgelehnt oder torpediert. Und wer sagt eigentlich, dass die Hamas sich verpflichtet fühlen sollte, die Ergebnisse von Verhandlungen mit den Palästinensern anzuerkennen? Überhaupt: Ist die Hamas jetzt doch auf einmal 'die Palästinenser'? Ich bin verwirrt.

Listen, love: Die Hamas hat absolut kein Interesse an irgendwelchen Verhandlungen, erst recht nicht an einvernehmlichen Lösungen. Nada. Niente. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Die Hamas verfolgt das erklärte Ziel, die Juden vom Antlitz der Erde zu tilgen. Was gibt es da zu diskutieren oder gar zu verhandeln?

Wie sollen diese Verhandlungen überhaupt aussehen? Erwartet Hübschen, dass israelische Unterhändler sich mit welchen an einen Tisch setzen, die gerade über 1.300 Israelis, überwiegend Zivilisten, massakriert, abgeschlachtet, vergewaltigt, verschleppt, gefoltert haben, und sagen: "Hey, da habt ihr uns aber schön erwischt. Das war aber nicht nett von euch, ihr Racker! Und jetzt lasst uns reden, wie wir aus diesem Schlamassel alle zusammen rauskommen, ja?", oder was? In was für einer Kindergartenwelt lebt der Mann?

So weit die drei Möglichkeiten. Mit anderen Worten: Heiße Luft. Vielleicht hat Hübschen ja sogar den Mut, den Israelis selbst zu erklären, was sie jetzt zu tun haben und welche Möglichkeiten sie haben. Für den Fall, dass dort ein eklatanter Mangel an genialen Ideen wie seinen herrscht.

Und warum soll es nur drei Möglichkeiten geben? Mir fällt zumindest noch eine vierte ein: Die Hamas entschlossen bekämpfen. Wer unbedingt Krieg will, kann ihn haben. Wer sagt, das funktioniere nicht? Von Al-Quaida und IS etwa hört man nur noch wenig. Klar, sie sind nicht völlig weg und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie irgendwann wieder zuschlagen, aber fürs erste scheinen sie weg vom Fenster zu sein. Warum? Weil man sie bekämpft hat. Ihre Waffen zerstört, ihre Kämpfer getötet und ihre Strukturen zerschlagen hat. Ich sage nicht, dass mir das behagt oder dass ich das gut finde. Aber von vornherein zu sagen, Terror zu bekämpfen, nütze nichts, ist halt Quatsch.

Natürlich kann man Terror auch durch Verhandlungen beenden. Als Beispiel kommt da Nordirland in den Sinn. Seit dem Karfreitagsabkommen herrscht da wohl weitgehend Ruhe. Scheint mir aber eher die Ausnahme zu sein denn die Regel.

Auf diese so anmaßenden wie hohlen drei Möglichkeiten folgt noch eine Menge, das näher zu zerpflücken mir Zeit und Ausdauer fehlen. Daher nur zwei kurze Ausschnitte:

"Vor diesem Hintergrund müssen die UNO, die EU und auch die Arabische Liga umgehend aktiv werden, um einen Stopp der Kampfhandlungen zu erreichen. Die von Israel geplante vollständige Blockade des Gaza-Streifens ist mit dem geltenden Völkerrecht nicht zu vereinbaren, weil das letztlich eine Geiselnahme der palästinensischen Bevölkerung ist."

Aha. Ist es nicht vielmehr auch so, dass die Hamas die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens in Geiselhaft hält? Frag ja nur.

Und schließlich:

"Der Überfall der HAMAS ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen,..."

Ach so! Na dann. Woran erinnert mich das gleich? Ach ja, hieran.

"... wäre aber aus meiner Sicht vermeidbar gewesen, wenn sich alle Beteiligten in den vergangenen Jahrzehnten ehrlicher und intensiver um die Realisierung einer Zwei-Staaten-Lösung bemüht hätten, anstatt sich mit regelmäßigen Verlautbarungen zu begnügen und zu beruhigen, dass man sich dieser verpflichtet fühle."

Ja, natürlich. Hätte, hätte, Käsebaguette. Wenn sie doch nur die Nachdenkseiten gelesen hätten, dann...

Jetzt will ich nicht sagen, dass alles, was Hübschen schreibt, Unfug ist. Aber die Chuzpe und Selbstgerechtigkeit, mit der hier Israel Vorlesungen gehalten werden, was gefälligst jetzt zu tun sei und gleichzeitig die Hamas bzw. die Palästinenser (die übrigens seit Jahrzehnten Weltmeister darin sind, grundsätzlich immer die ganz armen Opfer zu sein), jenseits von Lippenbekenntnissen allenfalls als 'beide Seiten' oder 'alle Beteiligten' vorkommen, lässt einen nur mehr sprachlos zurück. Wäre der Anlass nicht so traurig, man müsste schallend lachen.







2 Kommentare:

  1. Alter Schwede. Wo willst Du denn hin? Aus Zeitmangel nur 2 Punkte:
    "Die Frage ist nur, ob ein Ausmaß an Terror, wie es jetzt geschehen ist, vorhersehbar war. War es im Falle des 11. September 2001 auch nicht wirklich."
    Ich nehme an, Du glaubst an die offizielle Story? Dann würde ich mal die Ausmaße alleine anhand des Personal- und Materialansatzes betrachten und zum Ergebnis kommen, dass die nicht vergleichbar sind.

    "Hm, es gab da mal einen Staat auf deutschem Boden, gar nicht so lange her übrigens, der hat es geschafft, eine knapp 1.400 Kilometer lange Grenze zwar auch nicht komplett zu 100 Prozent dicht zu machen, kam dem aber ziemlich nahe. Mit elektrischen Zäunen, Minengürteln, Selbstschussanlagen, Todesstreifen, Wachtürmen etc. Das kann man natürlich inhuman und verwerflich finden, aber es geht offenbar. Ist halt nur ein teurer, personalintensiver Spaß, so was"
    Wo soll man da anfangen? Ne, ehrlich. Da musste selbst darufkommen. :)

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    1. Wo ich hinwill= Ganz einfach: Ich wollte mal aufzeigen, wie einfach es ist, Beiträge wie den von Hübschen als das vorzuführen was sie sind: Unausgegorenes Blabla, das keine Erkenntnisse liefert.
      Und nein, ich glaube bei 9/11 nicht einfach die 'offizielle Story' Es ist bislang halt niemandem gelungen, mich wirklich von etwas anderem zu überzeugen, that's it.

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