Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Dienstag, 6. März 2012
Das psychopathische Manifest
Ayn Rands Ideen sind zum Marxismus der neuen Rechten geworden
George Monbiot
Man kann mit einigem Recht sagen, dass es so ziemlich die widerwärtigste Philosophie ist, die die Nachkriegswelt bislang hervorgebracht hat. Selbstsucht, heißt es, ist gut, Altruismus böse, Mitgefühl irrational und zerstörerisch. Die Armen sind selbst schuld, wenn sie sterben, die Reichen hingegen verdienen uneingeschränkte Macht. Wo immer das bisher ausprobiert wurde, ist es katastrophal und mit Pauken und Trompeten daneben gegangen. Trotzdem waren die Thesen der vor dreißig Jahren verstorbenen Ayn Rand noch nie so einflussreich wie heute.
Rand entstammte einer wohlhabenden russischen Familie, die in die Vereinigten Staaten emigriert war. In ihren Romanen (wie Atlas wirft die Welt ab, auch: Wer ist John Galt?) und theoretischen Schriften (wie Die Tugend der Selbstsucht), breitet sie ihre Philosophie aus, die sie Objektivismus nennt. Kernaussage: Die einzig wahrhaft moralische Maxime ist Eigeninteresse. Niemand schuldet irgendjemandem etwas, behauptet sie steif und fest, nicht einmal Mitgliedern der eigenen Familie. Arme bezeichnet sie als „Abfall“ und „Parasiten“ und verurteilt alle, die versuchen, ihnen zu helfen. Abgesehen von Polizei, Justiz und Armee sollen Staaten keine weiteren Aufgaben haben: Kein Sozialsystem, kein öffentliches Gesundheits- und Bildungssystem, keine öffentliche Infrastruktur, kein öffentlicher Nahverkehr, keine Feuerwehr, keine Vorschriften, keine Einkommenssteuer.
In Atlas wirft die Welt ab, erschienen 1957, beschreibt sie ein Amerika, das durch Eingriffe der Regierung gelähmt ist und in dem heldenhafte Millionäre den Kampf aufnehmen gegen eine Nation von Schmarotzern. Die Millionäre, die für Atlas stehen, der die Welt auf seinen Schultern hochhält, verweigern irgendwann ihre Arbeit mit dem Ergebnis, dass das Land zusammenbricht. Die Rettung, propagiert von John Galt, einem der heroischen Plutokraten, kommt am Ende durch Gier und Eigennutz.
Die Armen sterben wie die Fliegen durch Regierungsprogramme sowie an ihrer eigenen Trägheit und Verantwortungslosigkeit. Wer ihnen helfen will, wird vergast. In einer besonders berüchtigten Passage heißt es, alle Insassen eines mit giftigen Dämpfen gefüllten Zuges hätten es nicht besser verdient: Einer war Lehrer, der den Kindern beibrachte, Teamplayer zu sein; eine andere eine mit einem Beamten verheiratete Mutter, die sich um ihre Kinder sorgte; eine andere Hausfrau, die glaubte, das Recht zu haben, Politiker zu wählen, von denen sie nichts weiß.
Rands Philosophie ist die einer Psychopathin, ein misanthropisches Gebräu aus Grausamkeit, Rachephantasien und Gier. Trotzdem ist sie, wie Gary Weiss in seinem neuen Buch Ayn Rand Nation aufzeigt, für die Neuen Rechten das geworden, was Karl Marx einmal für die Linken war: Eine unanfechtbare Halbgottheit an der Spitze eines chiliastischen Kultes. Einer aktuellen Umfrage zufolge, hat beinahe ein Drittel aller Amerikaner Atlas wirft die Welt ab gelesen und nach wie vor werden jedes Jahr hunderttausende Exemplare verkauft.
Die Tea Party-Bewegung hat Rand tief ins Herz geschlossen, wobei man über ihren fanatischen Atheismus großzügig hinwegsieht. Keine Tea-Party-Kundgebung wäre vollständig ohne Plakate, auf denen steht: „Wer ist John Galt?“ und „Rand hatte Recht!“. Ayn Rand liefert, wie Weiss meint, eine gemeinsame Ideologie, die diffuser Wut und dem Gefühl, zu kurz zu kommen, einen Sinn verleiht. Ihre energischsten Verfechter sind Radio- und Fernsehmoderatoren wie Glenn Beck, Rush Limbaugh und Rick Santelli. Für die Republikaner im Kongress ist sie ein Leitstern.
Wie alle Philosophien wird auch der Objektivismus weitgehend aus zweiter Hand übernommen von Leuten, die die originalen Schriften nie gelesen haben. Ich glaube, das beginnt sich langsam auch auf dieser Seite des Atlantiks bemerkbar zu machen: In den lautstarken Forderungen nach weiteren Steuersenkungen für Reiche oder in den spöttischen, höhnischen Beiträgen von Bloggern im Telegraph oder im Spectator, in denen über Mitgefühl und Empathie hergezogen wird und jeder Versuch, diese Welt ein wenig freundlicher zu machen, der Lächerlichkeit preisgegeben wird.
Es ist leicht zu verstehen, was Rand für Superreiche so reizvoll macht. Sie bietet ihnen etwas, das für jede erfolgreiche politische Bewegung unerlässlich ist: Das Gefühl, ein Opfer zu sein. Sie gibt ihnen das Gefühl, ausgesaugt zu werden von den undankbaren Armen und unterdrückt zu werden von aufdringlichen, regulierungswütigen Regierungen.
Schwieriger ist es schon, zu begreifen, was sie den kleinen Leuten von der Tea Party bietet, die unter einem weiteren Rückzug des Staates mehrheitlich ernsthaft zu leiden hätten. Fehlinformation und die Verbreitung des Willy-Loman-Syndroms (der zum Teil erhebliche Unterschied zwischen Erwartung und Realität) haben in den USA offenbar ein solches Ausmaß angenommen, dass Millionen sich fröhlich freiwillig zur Verfügung stellen als Fußabtreter der Milliardäre. Ich frage mich aber, wie viele von ihnen noch niederknien würden vor dem Schrein der Ayn Rand, wenn sie wüssten, dass sie gegen Ende ihres Lebens sehr wohl die Segnungen von Medicare und Sozialämtern in Anspruch nahm. Dabei war so was eigentlich Teufelswerk für sie, stand es doch für alles, was sie am starken Staat hasste. Ihre Überzeugungen kamen gegen Alter und Krankheit nicht an.
Doch gäbe es noch weit schlagendere Gründe, ihre Philosophie abzulehnen: Wie Adam Curtis’ letztes Jahr in einer Dokumentation gezeigt hat, war einer der treuesten Anhänger aus ihrem engeren Kreis ein gewisser Alan Greenspan. Aus seiner Feder stammen einige Essays in dem Buch Capitalism: The Unknown Ideal, das er mit ihr gemeinsam herausgegeben hat. Hier findet sich, klipp und klar erklärt, das wieder, was er später als oberster Notenbanker vertreten hat. Es gibt keinen Grund für Regulierung der Wirtschaft, denn die Gier des Geschäftsmannes - oder passender: sein Profitstreben - ist der beste Schutz des Konsumenten. Für Banker gilt, dass ihr Bestreben, das Vertauen ihrer Klienten zu gewinnen, garantiert, dass sie ehrenhaft und interger handeln. Der unregulierte Kapitalismus, meint er, sei daher ein unübertroffen sittliches System.
Einmal an den Schalthebeln der Macht, setzte Greenspan die Philosophie seines Gurus wortgetreu um. Er trat ein für Steuererleichterungen für Reiche und dafür, Gesetze aufzuheben, die Banken Beschränkungen auferlegten. Er weigerte sich, das räuberische Kreditwesen und den Derivatehandel, der das Wirtschaftssystem letztlich ruiniert hat, zu regulieren. Vieles davon ist inzwischen dokumentiert, doch Weiss führt auch vor, wie Greenspan versucht hat, das zu vertuschen.
Obwohl er viele Jahre in ihrer Nähe verbracht hat und entgegen seines früheren Geständnisses, dass es Rand gewesen sei, die ihn davon überzeugte, dass Kapitalismus nicht nur effizient und praktisch, sondern auch moralisch sei, erwähnt er sie in seinen Memoiren lediglich als Jugendsünde. Das ist, so scheint es, im Augenblick die offizielle Version. Weiss hingegen hat Beweise, dass Greenspan nach wie vor ein treuer Anhänger ist.
Gesättigt mit ihren Theorien, fordern die Neuen Rechten auf beiden Seiten des Atlantiks weiterhin den Rückzug des Staates, obwohl die Trümmer, die diese Politik bisher erzeugt hat, für alle sichtbar überall herumliegen. Die Armen gehen zum Teufel, die Superreichen kommen durch und gedeihen. Ayn Rand hätte das gefallen.
Erschienen im Guardian am 5.3.2012, eine mit Belegen versehene Fassung findet sich hier.
Unautorisierte Übersetzung (nicht für kommerzielle Zwecke): S. Rose
8 Kommentare :
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ähhh...begüterte russische familie??
AntwortenLöschenklar - ayn rands familie kam aus russland nach amerika.
wie so viele jüdische emigranten....
Es mag sein, dass ich den Bezug nicht klar gemacht habe, aber in Monbiots Original heißt es: "Rand was a Russian from a prosperous family who emigrated to the United States."
AntwortenLöschenIch habe das nicht weiter nachrecherchiert, weil ich den Artikel lediglich übersetzt habe.
Super Artikel. Russland, reiche Familie, Diktatur/Feudalismus innen, d.h. im Haus und Diktatur draußen. Wie zerstört man eine Kinderseele ? Genau so.
AntwortenLöschenDie Freiheitsehnsucht treibt sie nach Amerika. Doch auch da Armut und Machtlosigkeit auf der einen, Reichtum und Macht auf der anderen Seite.
Korruption gab es schon immer, genau wie es immer schon Psychopaten gab, die für eine derartige Philosophie offen war und heute noch offen ist.
Dass gerade diese Verarmungspolitik die Menschen immer hilfloser und damit auch aggressiver macht, setzt in den Reichen auch diffuse Ängste frei, bestohlen, beraubt, erschossen oder arm zu werden, welche dann wieder mit härteren Gesetzen beruhigt werden sollen. Ein Teufelskreis.
Am Ende des Lebens aber merkt Ayn Rand, dass sie auf Hilfe von anderen angewiesen ist, dass ein Leben ohne Hilfsbereitschaft, auch wenn sie bezahlt wird, nicht geht.
Aber die verheerenden Bücher sind geschrieben, ihre Ideen fallen auf psychopathischen Boden und Gegendarstellungen werden ignoriert und verleugnet. Wenn Psychopathen diese beachten und in ihr Denken eingliedern oder hinterfragen könnten, wären es keine Psychopathen.
Psychopathen hier wie überall, bei den Armen und Reichen und am Schädlichsten in politischen Ämtern.
Darum ist es gut zu wissen, wo die Ursachen liegen, wer wen inspiriert hat, wie und wo die Verbindungen sind um entsprechende Gegenmuster- und Strategien,z.B. Arbeitsmarkt- Sozial- Bildungspolitik entwerfen zu können, damit die Mehrheit der Kinder sich in einem gesunden, mitfühlendem Umfeld entwickeln können.
Ein langjähriges Lungenkrebsleiden ließ sie auch mit Hilfe des staatlichen Medicare-Programms behandeln und sie war auf Gelder aus der Sozialversicherung angewiesen.
AntwortenLöschenzit. Wikipedia
So ist das Leben im Gegensatz zu "objektiven" Spinnereien ...
begüterte familie?
AntwortenLöschenja. der vater hatte eine apotheke. ihm gehörte auch ein größeres mietshaus, in dem die familie dann nach einer kürzeren flucht (während der revolution) eine kleine wohnung bewohnen durfte.
mf.
habe 'Wer ist John Galt?' gelesen, man kann es nur als Gehirnwäscheprogramm bezeichnen, wichtigste Punkte:
AntwortenLöschen1. Auch A.Rand, die so schreibt, als sei sie selbst die 'Dagny'(iirc, es ist 13 Jahre her,dass ich das las), kommt nicht ohne Wunder aus (der Einflug in das 'goldene' Tal der Reichen und mächtigen), und die mysteriöse Maschine zur Energieerzeugung, die der zunächst anonyme Ingenieur entworfen hat.
2.Dann hat mich die seitenlange ideologische Rede des John Galt im letzten Drittel des Buches doch sehr ermüdet, denn dort wird zum X-ten Male die verquere Ideologie des mit finanziellen und Produktions- Mitteln begüterten Egoisten beschworen.
3.Unterscheidung von menschlichen Beziehungen in rechtens/gut (Dagny mit ihrem Mann, der nicht der Ihre ist...) und unrecht/böse (der Bruder der Protagonistin mit seiner Geliebten).
kurz: Ich hatte den Eindruck, dass Rand wohl unter Stalin gelitten haben muss, dass ihr Amerika wie eine Offenbarung vorkam. Diese Zeiten sind vergangen, und sie saß ihr Leben lang am falschen Ende des Tresens, ohne dass sie es bemerkt hätte; blinde Selbstgerechtigkeit.
Wenn ich zu etwas raten darf: Die Lebenszeit & Aufmerksamkeit, die ich gegeben habe, um das Werk zu studieren, hätte ich, im Nachhinein besehen, gerne woanders eingesetzt, am besten in die eigene Entwicklung; etwas bei dem 'Atlas Shrugged' wirklich nicht hilft.
Insofern, d'accord, es ist genau das: Das Psychopathische Manifest.
Don't buy it.
SK
danke für die übersetzung des interessanten beitrags.
AntwortenLöschenich bin vor jahren einmal über die hiesigen ableger der "objektivisten" aka rand-jünger gestolpert und habe damals dieses durchaus soziopathische treiben ein wenig kommentiert.
gruß
mo
Psychopathisch ist schon OK. Kolportiert wird von der Rand u.a. die Geschichte ihrer ersten großen Liebe. Der Typ hatte ein Kind entführt und dann nach der Lösegeldzahlung umgebracht. Um die Eltern weiter zu quälen hat er ihnen dann ihr Kind noch zerlegt und wieder zurück gebracht.
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