Dienstag, 29. November 2016

Herr S. wirft mit Dreck


Über den möglichen nächsten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz kann man sicher einiges Kritische sagen. Auf der untersten Ebene politischer Auseinandersetzung kann man ihn und seinen manchmal schwerzüngigen rheinischen Akzent schlicht unsympathisch finden oder sich meinetwegen auch ein wenig lustig machen darüber bzw. über seine provinzielle Herkunft, obwohl er dafür nichts kann. Wäre aber noch im Rahmen für mich. Ferner kann man ihn selbstverständlich für jede seiner Positionen angreifen, man kann ihn einen pupsgrauen Karrieristen nennen, einen abgehobenen Eurokraten, der die Knechtung Griechenlands und anderer angeblicher Pleitestaaten unter die Austeritätsknute mit entsprechend brachialer Rhetorik maßgeblich mitbetrieben hat. Kann man alles tun. Sollte man sogar. That's demoracy.

Samstag, 26. November 2016

Leistungsträger - im Cockpit und anderswo


Der legendäre Ewald Lienen meinte kürzlich in einem Interview, der Sektor des Profifußballs sei vor allem deshalb so üppig finanziert, die gezahlten Summen für Gehälter, Werbung und Übertragungsrechte so astronomisch, weil er - Panem et Circenses, der alte Klassiker - die Funktion habe, das Volk zu unterhalten, auf dass es nicht auf die Idee komme, an den herrschenden Verhältnissen etwas ändern zu wollen. Anders: Der Zirkus trage maßgeblich dazu bei, dass es noch ein wenig dauert mit der Revolution. Der kluge Mann weiß übrigens, wovon er redet, denn er hat 2012/13 bei AEK Athen gearbeitet. Einsichten wie die erstere jedenfalls hat er etlichen Redakteuren großer überregionaler Tageszeitungen definitiv voraus.

Freitag, 25. November 2016

Stolperstein


Termin in einer Schule in der Nähe. Es war mir vorher nicht bewusst, dass es sich um diese Schule handelt. So kam die Begegnung mit der an einer nicht zu übersehenden Stelle des Schulhofs angebrachten Gedenkstätte überraschend. Glupp. Einer dieser Momente im Alltagstrott, in denen einem unversehens klar wird, mit welch unwichtigem Kram man sich normalerweise so zu befassen pflegt.

Dienstag, 22. November 2016

Untote


Christian Krachts anstrengend ennervierender Roman 'Die Toten'

Jochen Malmsheimer, jener Großmeister des sprachlichen Floretts, merkte einmal schwer widerlegbar an, es gäbe Eigennamen, die in sich bereits ganze Sätze seien. Marion Kracht etwa. Oder Steffen Seibert. Den nicht mit Marion verwandten Christian Kracht hingegen erwähnte er nicht. Warum, will mir ein Rätsel bleiben. Was das mit dem Thema zu tun hat? Eigentlich nichts. Ich möchte halt ein Buch des Letztgenannten rezensieren und habe irgendwie nach einem Einstieg gesucht. Und weil es sein kann, dass es bei jenem Christian gewaltig kracht im Hirn. Sein 1995 erschienener Erstlingsroman 'Faserland' wirbelte damals einiges an Staub auf. Ein Jahrhundertbuch!, jubelte ditt noch janz frisch jesamtverdeutschte Föjetong. Der Retter und Erlöser der schwer an notorischer Walser-Grass-Sklerose leidenden deutschsprachigen Gegenwartsliteratur schien in dem schmalen blonden Jüngling endlich gefunden.

Sonntag, 20. November 2016

Über die Bleierne


"Ich glaube wirklich, dass Angela Merkels Technik darin besteht, Betäubungszonen auszudehnen. Also, ich habe in anderem Zusammenhang gesagt, "sie chloroformiert das Land", und zwar dadurch, dass sie bestimmte Dinge nicht mehr der Befragbarkeit übergibt. Dazu gehört, wenn Sie die Neujahrsansprache schon angesprochen haben: Es kommt NSU, NSA nicht vor. Es kommt nicht Lampedusa vor, Afghanistankrieg nicht vor, die neue Große Koalition kommt nicht vor, sondern sie hat begriffen, dass größtmögliche Reibungslosigkeit und damit auch kontinuierliche Unterforderungen unserer zerebralen Tätigkeit dazu führt, dass man sie mag, während Steinbrück mit einem einzigen Satz bereits etwas macht, was irgendwie Kontur hat.

Samstag, 19. November 2016

Die Neuerscheinungen


Und? Den Meilenstein mitbekommen? Gestern haben Metallica ihr neuestes Werk veröffentlicht. Angesichts der medialen Rezeption muss man feststellen, dass die vier älteren Herren einigen ihrer Rezipienten eine Erkenntnis offenbar voraus haben: Die, dass die Zeit sich nicht zurückdrehen lässt. Nicht falsch verstehen, ich finde es völlig okay, wenn Menschen sich halbwegs treu bleiben, alte Verbundenheit respektieren etc. Die Frage ist halt nur, ob man es nicht auch übertreiben kann. So frage ich mich mitunter, ob es Musikschreibern nicht irgendwann selbst zu blöd ist, jedes neue Album der kalifornischen Krachkünstler an den ganz alten Glanztaten zu messen. Jedes Mal aufs Neue: Sind sie noch so gut wie früher, bevor sie sich nach dem Schwarzen Album endgültig dem Kommerz an den Hals geworfen haben? Oder den Hardcore-Fans, die artig jedes neue Album kaufen in der Hoffnung, dieses mal endlich, endlich die neue 'Master Of Puppets' in Händen zu halten, die dort anknüpft, wo 'And Justice For All' einst aufgehört hat?

Dienstag, 15. November 2016

Über Wettbewerb


Seien wir doch offen: Wettbewerb wird schon ganz schön überschätzt. Damals in der Schule haben sie versucht, uns zu imprägnieren gegen die Rote Gefahr. Drüben im Kommunismus, hieß es also, blühten Korruption und Vetternwirtschaft, weswegen dort bloß inkompetente, senile Witzfiguren an die Macht gelangten. Bei uns in der Di-Da-Demokratie dagegen, auf der richtigen Seite der Eisernen Vorhangs, da sei das freilich ganz anders. Bei uns sorge der freie Wettstreit der Ideen und Argumente, der Wettbewerb um des Wählers Gunst, automatisch dafür, dass am Ende die Fähigsten und Fittesten regierten. So wie ja in der Marktwirtschaft auch die berühmte Unsichtbare Hand dafür sorge, dass das jeweils beste Produkt sich letztlich durchsetze. Schon damals in den Achtzigern fragten wir uns, ob daran nicht etwas faul sein könnte, wenn exakt dieser Wettbewerb Geistesgrößen wie Ronald Reagan und Totalausfälle wie Dan Quayle, Vizepräsident unter George Bush sen., in höchste Ämter bringt.

Sonntag, 13. November 2016

Ronny des Monats - November 2016


Kinder, wie die Zeit vergeht! Vor einem Jahr wurden zum ersten Mal die Ronnys des Monats vergeben, auf dass schöne Einzel- und Gruppenleistungen auf dem Gebiet des Rechtsradikalismus und Faschismus nicht der Vergessenheit anheim fallen. Und es sieht nicht danach aus, dass die Kandidaten mir ausgehen. Inzwischen mischt auch die CSU fast immer mit beim fröhlichen Niveau-Limbo. So etwa der dritte Bürgermeister von Altdorf bei Nürnberg, der sich angesichts der Tatsache, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland zu einer Veranstaltung anlässlich des Reformationstages eingeladen wurde, zu der Vokabel "Islamschweinerei" hinreißen ließ. Das erinnert nicht nur an längst vergangen geglaubte Zeiten, in denen man politischerseits ähnliches Vokabular benutzte, sondern hätte ihn auch gleich von Null in die Charts gebracht, wenn, ja wenn nicht wieder im letzten Moment die AfD ums Eck gekommen wäre.

Freitag, 11. November 2016

Ein Dammbruch?


So, nun, ja, Trump. Rückblickend wird natürlich einiges klarer und hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Trotzdem kam das überraschend. Und es bedeutet eine ganze Menge, bin immer noch am sortieren. Hat daher etwas gedauert. Ich lege mich mal fest: Die kommende Präsidentschaft Donald Trumps ist entweder eine politische Wetterscheide oder bleibt pure Episode, dazwischen scheint es nur wenig zu geben. Drunter mache ich es nicht. Vieles, leider allzu vieles, spricht dafür, dass die des öfteren anzutreffende Einschätzung, der 9.11.2016 sei der 11.9. für das liberale Zeitalter, wohl zutrifft. Die per se ja gar nicht üble Idee des Liberalismus wurde leider auf Jahrzehnte an die Wand gefahren durch die unter Ronald Reagan, einem von Trumps Vorgängern im Amte, begonnene neoliberale Verarmungspolitik der letzten 35 Jahre. Bei uns von den gegelten Klassensprecher-Schnullis von der FDP. Kein Wunder, dass niemand traurig ist. Vielleicht sollten wir aber.

Montag, 7. November 2016

Doppeltmoralinsaurer Demokratierest


"Die oberen Zehntausend dieser Gesellschaft sind ein Sumpf. Sollen sie fälschen, betrügen, sich schmieren lassen, koksen, wie es ihnen beliebt. Wenn sie uns nur verschonten mit ihrer Moral." (Hermann L. Gremliza)

Es kann hilfreich sein, sich klarzumachen, dass das, was wir bürgerliche Werte nennen, ursprünglich der Abgrenzung und Selbsterhöhung des etwa ab dem 18. Jahrhundert aufstrebenden Bürgertums gegenüber dem Adel diente. Blaublütige bildeten sich traditionell etwas darauf ein, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen, weil das das gottgegebene Los von Bauern und Plebejern war ("Im Schweiße deines Angesichts..."). Sonderlich sparsam war man in diesen Kreisen meist auch nicht. Die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes wäre ohne das entspannte Verhältnis zum Geld, das diverse Fürsten pflegten, um etliche repräsentative, kunsthistorisch bedeutende Bauten ärmer. Die Bürgerlichen setzten solcher Verschwendungssucht das Ideal des fleißigen, sparsamen, korrekten Frühaufstehers und Schaffers entgegen, der seine Finanzen im Griff hat. So kam auch das Denken in die Welt, (Erwerbs-) Arbeit sei ein Wert an sich und wer nicht arbeite, demnach nichts wert.

Samstag, 5. November 2016

The longer read: Literatur in Zeiten des Mega-Ich


Über dicke Bücher im Allgemeinen und den irrtierenden Erfolg des Norwegers Karl Ove Knausgård im Speziellen

Einen Hang zur Kürze pflege ich von jeher. Als Schüler hatte ich kein Verständnis dafür, wie man bei einer Oberstufenklausur Seite um Seite mit Geschwafel vollschmieren konnte, nur um der Quantität willen. Meine Klausuren waren in der Regel kurz und bündig und deswegen unterm Strich weder besser noch schlechter benotet als die der notorischen Vielschreiber. Seitdem ist es nicht besser geworden. Mit zunehmendem Alter reagiere ich unleidlicher, wenn ich das Gefühl habe, ein Redner, ein Regisseur oder eben ein Schreiber will mir mit endlos langem hohlem Geklapper die kostbarer werdende Zeit klauen. Wie an anderer Stelle erwähnt, sind mir Menschen höchst suspekt, die das Leistungsprinzip auf den Umfang ihrer Lektüre ausdehnen, will heißen: für die Bücher unter 500 Seiten bloß Prospekte sind. Bei mir verhält es sich umgekehrt. Ein Buch über 500 Seiten muss richtig gut sein, der Verfasser verdammt was draufhaben, damit ich nicht die Geduld verliere und es wieder beiseite lege.

Mittwoch, 2. November 2016

Sündenstolze Sippenhaft


Sicher ist der Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit so einiges, bestimmt aber nicht immer unproblematisch. Schlussstriche zu fordern ("Ja, das waren gewiss ganz schlimme Dinge, die diese Verbrecherclique, die aus dem Nichts über Deutschland gekommen war, angerichtet hat, aber irgendwann muss es auch endlich auch mal gut sein mit den alten Kamellen."), ist ungefähr so alt wie die Unterschriften der Wehrmachtsgeneräle auf den Kapitulationsurkunden. Etwas jüngeren Datums ist die seinerzeit von Hermann Lübbe geprägte Invektive vom 'Sündenstolz'. Was ungefähr bedeutet, die Deutschen seien in toto insgeheim ein bisschen stolz auf die Überverbrechen der NS-Zeit ("Den Holocaust macht uns so schnell keiner nach."), zumal das die Möglichkeit verschaffe, sich mittels besonders penetrant zelebrierter Vergangenheitsbewältigung als moralisch höher stehende Menschen zu gerieren. Logisch, dass entsprechend Interessierte Kreise das dankbar aufgriffen.