Wie gelinde gesagt es ist, Margaret Thatcher habe polarisiert, wird deutlich, wenn man sich einige Reaktionen auf ihren Tod in Großbritannien ansieht: Im Londoner Stadtteil Brixton stieg gestern eine spontane Straßenparty unter dem Motto 'Ding, dong, die Hex' ist tot!', ein ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär aus dem Norden soll zur Feier des Tages angestoßen haben, der Sänger Morrissey attestierte ihr gar, niemals auch nur ein Atom an Menschlichkeit besessen zu haben. Man mag so was geschmacklos finden, pietätlos gar, doch zeigt es, wie umstritten die Verstorbene nach wie vor ist. Sicher ist, dass sie auch weiterhin als einer der einflussreichsten politischen Köpfe des 20. Jahrhunderts gelten wird. 1979 zur ersten weiblichen Premierministerin gewählt, baute sie Großbritannien grundlegender und nachhaltiger um als irgendjemand anders in der Nachkriegszeit. Nicht nur Großbritannien. Als sie ins Amt kam, dürfte sie mit ihrer Position, den europäischen Sozialstaat der Nachkriegszeit nicht für eine Errungenschaft, sondern für einen historischen Irrtum zu halten, ziemlich allein dagestanden haben. Am Ende waren ihre Positionen weitgehend salonfähig.
Margaret Thatcher ist es Zeit ihres Lebens nie darum gegangen, gemocht zu werden. Eine Vorstellung wie die, Kompromisse könnten Ziel politischen Handelns sein, war ihr zeitlebens so fremd wie die, dass der Staat sich um die Armen oder um die Wasserversorgung kümmern müsse. Natürlich ist es küchenpsychologische Spekulation, doch scheint für die Tochter eines Gemischtwarenhändlers ein Staatswesen Zeit ihres Lebens nie etwas anderes gewesen zu sein als ein Kramladen. Durch die Heirat mit dem wohlhabenden Denis Thatcher nicht darauf angewiesen, Geld zu verdienen, konnte die begabte Stipendiatin, die in Oxford Chemie studiert hatte, sich der Juristerei zuwenden, bevor sie sich ein paar Jahre später der Politik zuwandte. 1961 trat sie zum ersten Mal als Kandidatin der Tories an, 1970 war sie Kultur- und Wissenschaftsministerin im Kabinett von Edward Heath. 1979 kandidierte sie selbst.
Ausgestattet mit den weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten, die das britische Wahlsystem Premierministern verleiht, machte Thatcher Großbritannien zum europäischen Brückenkopf des neoliberalen Experiments: Sozialleistungen beschneiden, Umverteilung von unten nach oben via Steuern, Märkte deregulieren, öffentliche Güter und Leistungen privatisieren, Gewerkschaften schwächen - das bestimmte seit Anfang der 1980er-Jahre die Innenpolitik auf der Insel. Ihre Reformen waren so radikal, wie ein demokratisches System es nur zuließ. Kritik an ihrer Politik der sozialen Kälte und an den Folgen der Verwerfungen, die ihre Maßnahmen auslösten, glich sie aus durch Patriotismus und aggressives Auftreten nach außen. Immer wieder verstand sie es, ihre Popularität im Inland zu steigern, indem sie sich als wehrhafte Verteidigerin britischer Interessen inszenierte.
Die argentinische Militärjunta besetzte 1982 die britischen Falkland-Inseln und setzte darauf, dass das schwächelnde Inselreich schon nichts unternehmen würde. Eine britische Regierung ohne Margaret Thatcher an der Spitze hätte vermutlich auch so gehandelt und sich um eine diplomatische Lösung bemüht. Die Premierministerin jedoch schlug alle Warnungen ihrer Berater in den Wind. Als gelte es, der Welt die fortdauernde Glorie des Empire zu demonstrieren, schickte sie eine Invasionsflotte los, die das unbedeutende Archipel unter allgemeinem, von der Murdoch-Presse angefeuertem Jubel wieder zurückeroberte. Der Popularitätsschub sicherte ihr 1983 die Wiederwahl. Legendär auch ihre rabiaten Auftritte auf europäischer Ebene. Dort setzte sie per Handtasche den noch heute geltenden Briten-Rabatt durch. Handbagging ist seitdem Bestandteil des englischen Wortschatzes. Auch das Prinzip TINA ('There is no alternative!') wird ihr zugeschrieben. Wirklich beliebt bei ihren Kollegen war sie nie. Auch ein durchaus machtbewusster Polit-Panzer wie Helmut Kohl ging ihr nach Möglichkeit aus dem Wege.
Gern wird sie mit Ronald Reagan verglichen, mit dem sie Zeit seines Lebens eine enge Freundschaft verband, doch waren Reaganomics und Thatcherism nicht das Gleiche: Zwar entfesselte auch Reagan Märkte und privatisierte auf Teufel komm raus. Doch weil er entschlossen war, den Ostblock kaputtzurüsten, legte er gleichzeitig auch das größte staatliche Investitionsprogramm aller Zeiten auf. Unter seiner Ägide flossen Abermilliarden an Staatsgeld in Rüstungsprojekte, mehr als jemals zuvor, und sorgetn für Wohlstand und Arbeitsplätze. Zwar tastete seine britische Kollegin das Militär nicht an, doch solcher Interventionismus war ihres nicht, mochte der Kalte Krieg auch noch so kalt sein.
Verfechtern neoliberaler Wirtschaftspolitik galt und gilt sie als große Pionierin. Die gefürchtete Eiserne Lady setzte vor gut dreißig Jahren als erste Reformen ins Werk, die wenige reich machten, einige besser stellten, mehr jedoch schlechter stellten als zuvor und viele an den Rand des Elends oder in die Armut brachten. Ihr berühmter Ausspruch, es gäbe keine Gesellschaft, nur Individuen, wurde zum Motto allgemeiner Entsolidarisierung, das heute europäische Innen- und vor allem Sozialpolitik prägt. Ihre Maßnahmen wurden zur Blaupause letztlich auch für die Agenda 2010. Am meisten bewundert wird sie von denen, für die Regierende vor allem Zuchtmeister sein müssen, die Sozialpolitik für überflüssige Kuschelei halten, weil Arme und Arbeitslose ihrer Meinung nach selbst schuld sind an ihrem Schicksal.
Ihre Bilanz ist weit umstrittener als es ihre Bewunderer und Verfechter gern hätten. Sicher stand Großbritannien zum Zeitpunkt ihres Amtsantritts vor großen Problemen, doch schoss die Radikalkur der Eisernen Lady in vielem weit übers Ziel hinaus und war erst recht nicht so alternativlos, wie gern behauptet wird. Entgegen jener Hagiographien, die bereits zu ihren Lebzeiten angestimmt wurden, kann von einem Wirtschaftswunder keine Rede sein: Am Ende, 1990, waren in etwa genau so viele Menschen arbeitslos und auf staatliche Unterstützung angewiesen wie zu Beginn ihrer ersten Amtszeit. Den endgültigen Verlust des britischen Großmachtstatus konnte auch sie nicht verhindern. Dass die von ihr stets befürchtete Dominanz Deutschlands über Europa nun ausgerechnet als Folge jener neoliberalen Wirtschaftspolitik droht, die sie stets so fanatisch betrieben hat, ist ein Treppenwitz der Geschichte.
Am 8. April 2013 ist Margaret Thatcher, Baroness Thatcher Of Kesteven, Europas dunkle Königin, im Alter von 87 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben. Man wird sich noch lange an sie erinnern, nicht nur positiv. Möglich, dass ihr das sogar gefallen würde.
"Dass die von ihr stets befürchtete Dominanz Deutschlands über Europa nun ausgerechnet als Folge jener neoliberalen Wirtschaftspolitik droht, die sie stets so fanatisch betrieben hat, ist ein Treppenwitz der Geschichte."
AntwortenLöschenInteressanter Punkt ,also ein klassischer Schuss ins Knie.
Typisch natürlich wieder diese Unart , selber finanziell frei zu sein und anderen den engen Gürtel zu verordnen , das ist keine Größe , das ist das genaue Gegenteil.
Thatchers Tod ist einer der wenigen Fälle , wo ein gewisser , vielleicht auch sehr englischer Sarkasmus in Ordnung ist , sie selber hatte immer diese hartherzige , militant engstirnige Art am Leib , zuviel Pietät wäre hier irgendwie unangebracht.
Die Briten werden noch mehr niedergehen. Nächstes Jahr gibt es in Schottland eine Abstimmung über die Unabhängigkeit. Mehr dazu auf meinem Blog (bitte auf meinen Nick klicken)
AntwortenLöschenDanke für Ihren Kommentar. Leider kann ich auf Ihrem Blog nichts zu dem Thema finden (wie auch zu fast allem anderen). Wenn Sie einen Artikel zu einem konkreten Thema geschrieben haben, dann können Sie ihn selbstverständlich gern hier verlinken, aber das Gespamme bitte ich höflichst zu unterlassen. Vielen Dank.
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