Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Donnerstag, 10. September 2015
Leave Eddie alone!
1977 brachten die Damals-noch-nicht-Rock-Dinosaurier von Uriah Heep das Album 'Innocent Victim' heraus. Das arg gewollte Cover kann man für damalige Verhältnisse als durchaus ein wenig gruselig bezeichnen. Im Jahr darauf befand die Band sich auf großer Tournee, die wohl auch in die Nähe meiner Heimatstadt führte. Neben der Grundschule, die ich damals zu besuchen die Pflicht hatte, war zu dieser Zeit eine größere Baustelle, die mit einem hölzernen Bauzaun abgesperrt war. Jede Menge Platz für Plakate also. Und er wurde genutzt. So auch für das Plakat für Uriah Heeps 'Innocent Victim'-Tournee. Das Teil zeigte im wesentlichen das Cover des Albums und wurde flächendeckend verklebt.
Man bedenke: Wir Kinder mussten jeden Tag auf dem Weg zur und von der Schule an zig dieser Dinger vorbei latschten. Trotzdem ist, wenn ich mich recht erinnere, obgleich sie auch in der Nähe von Kindergärten geklebt waren, nichts davon bekannt, dass die Schul- und Kindergartenkinder der Gegend zu dieser Zeit überdurchschnittlich oft traumatisiert gewesen wären. Würde mich auch sehr wundern. Die meisten Kinder reagieren auf Dinge, die Erwachsene gruselig finden, eher befremdet, wenn nicht gar belustigt. Und bei denen, die wirklich einen Schrecken bekommen, wäre es müßig zu versuchen, sie von allem fernhalten zu wollen.
Obwohl ich kulturpessimistische Litaneien darüber, wie viel besser alles doch früher gewesen sei, zutiefst ablehne, muss man schon einmal daran erinnern dürfen, dass es damals so einiges schlicht noch nicht gab. Internet zum Beispiel oder Facebook. Gentrifizierung war noch weitgehend unbekannt, über Jahrzehnte reichende Wohnverhältnisse waren noch die Regel. Der einzige SUV auf dem Markt hieß Range Rover und war nur was für wohlhabende Guts- bzw. Reiterhofbesitzer und kein massenproduzierter Heimschützenpanzer für dauerbesorgte Elternteile, die damit zwar nie ins Gelände, aber den ganzen Tag ihren Nachwuchs von A nach B nach C, wieder nach A und dann nach D karren.
Anderes hingegen gab es sehr wohl schon. Als 1980 das gleichnamige Debutalbum der englischen Band Iron Maiden erschien, trat auch Maskottchen Eddie auf den Plan, eine Kreuzung aus Knochenmann und Zombie, das seither nicht nur Plattencover und Tourplakate ziert, sondern auch T-Shirts, mit denen Jugendliche zum Teil in die Schule gingen. Ich wollte an dieser Stelle nur daran erinnern, dass der gute alte Eddie nun wirklich keine rasend neue, höchst gewagte Grenzüberschreitung darstellt, sondern im Gegenteil ein ziemlich alter Hut ist, an dem kaum einer außer evangelikalen Landeiern im Mittleren Westen und anderen Fanatikern jemals ernsthaft Anstoß genommen hat.
Ferner gab es natürlich auch damals schon das, was heute 'Helikoptereltern' genannt wird. Eltern also, vornehmlich Mütter, die sich und die Sorge um ihren Nachwuchs für das Zentrum des Universums hielten und glaubten, alles habe sich dem und ihren Vorstellungen von einer idealen Kindheit in einer idealen Umgebung unterzuordnen. Wenn sie auch noch keine SUVs hatten. Nur galten solche Leute, zumindest in den Kreisen, in denen ich mich so bewegte, als Glucken und Nervbacken, die auf dem Elternabend erzählt bekamen, sie sollten sich mal entspannen. Daher verbrachten die meisten dieser Supermuttis ihre Zeit mit sinnvollen Dingen wie Seidenmalerei, Töpfern, Makramee, Tennis, Tennislehrern, Kaffeekränzchen oder Frauenbewegung.
Heute ist das anders. Da kümmern sie sich, zumindest in Berlin-Kreuzberg. Und ein Plakat, das das neue Album von Iron Maiden mit einem Konterfei von Eddie in Nähe von Grundschulen und Kindergärten ankündigt, das geht natürlich mal gar nicht. Früher war es Seidenmalerei, heute bemalen sie offenbar alte Bettlaken und hängen sie auf. Weil sie einfach wissen und daher zu bestimmen haben, was im öffentlichen Raum wo hin gehört und was nicht. Immer wieder nett, wenn Menschen ihre Zeit opfern und sich für wirklich wichtige Dinge engagieren. Die Welt wird dadurch zwar kein besserer Ort, aber wieder ein bisschen mehr Bullerbü. Vielen Dank auch.
2 Kommentare :
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Kommentare zum Post
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Das hast Du, wie ich finde, wunderbar formuliert - vielen Dank dafür. Das olle Bettlaken ist förmlich ein Fanal der neu-grünen Spießigkeit, wie es offensichtlicher kaum sein könnte. Da könnte eine alte Version von Eddie geradezu als Inspiration für eine mögliche Reaktion dienen ... ;-)
AntwortenLöschenVielen Dank. Ich sehe durchaus auch in Europa Kämpfe auf uns zukommen, wie man sie in Amiland schon in den Achtzigern gefochten hat, z.B. als Judas Priest vor Gericht standen, weil sie mit entsprechenden Botschaften einen tragischen Selbstmord verursacht haben sollten...
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